Regiekabine im Landtag mit Blick auf den Plenarsaal

Wenn Hessens neuer Ministerpräsident gewählt wird, darf bei Schwarz-Grün keiner fehlen. Ausnahmsweise können diesmal auch mit Corona infizierte Abgeordnete im Landtag abstimmen.

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Ministerpräsidenten-Wahl mit "Seuchenzimmer"

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Es steht 69:68. Gerade mal eine Stimme mehr als die Opposition hat Schwarz-Grün, um am Dienstag in Wiesbaden wie geplant Boris Rhein (CDU) zum neuen Ministerpräsidenten von Hessen zu wählen.

Eine Sorge plagt die Koalition: Was noch nie seit Beginn der Legislaturperiode 2018 geschah, könnte Corona bewirken: dass diese denkbar dünne Mehrheit wackelt bis zum Umfallen.

Wahl-GAU droht

Was, wenn eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter sich infiziert? Dann droht dem Regierungslager der größte anzunehmende Wahl-Unfall: Der Kandidat für die Nachfolge Volker Bouffiers (CDU), der nach zwölf Jahren aufhört, könnte glatt durchfallen.

Doch die Verwaltung des Landtags, dessen Präsident Rhein derzeit noch ist, hat alle Hebel für eine vollzählige Abstimmung in Zeiten der Pandemie in Bewegung gesetzt. Wegen der Bedeutung der Wahl dürfen corona-positive Politiker in den Landtag kommen. Die Pflicht zur häuslichen Isolation gilt für sie nicht.

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Die Wahl im hr

Die entscheidende die Sitzung des Landtags mit der Wahl des neuen hessischen Ministerpräsidenten beginnt am kommenden Dienstag, 31. Mai, um 13 Uhr. hessenschau.de und das hr-fernsehen übertragen live.

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Ausnahme, weil's so wichtig ist

Die Corona-Verordnung des Landes ermöglicht solche Ausnahmen bei wichtigen Gründen. Es seien Vorbereitungen getroffen, "Wahlhandlungen mit Infizierten ohne direkten Kontakt zu anderen Abgeordneten durchzuführen", heißt es deshalb aus der Landtagsverwaltung. Auf den Fluren des Parlaments ist von "Seuchenzimmern" die Rede.

Drei Räume sind für die Corona-Isolation reserviert: die Bibliothek zum Aufenthalt und zwei andere Räume, in die sich Betroffene für Abstimmungen begeben. Dazu zählt eine kleine Regiekabine mit derzeit zwei Sitzplätzen ganz hinten im Plenarsaal.

Statt "Seuchenzimmer" könnte man in diesem Fall auch vom Logenplatz sprechen. Durch das Kabinenfenster hat man einen prima Überblick - mit Hilfe von Monitoren sogar aus jeder Perspektive. Denn eigentlich sitzen hier die Techniker, die den Landtag-Livestream betreuen.

Sehen und gesehen werden

Die Glasscheibe ist aber vor allem fürs Gesehenwerden wichtig. Zum Einsatz kommt die Kabine nur, wenn per Akklamation abgestimmt wird. Dann muss von den Sitzplätzen des Landtagspräsidiums aus gut erkennbar sein, für was oder wen Abgeordnete die Hände heben.

Auf diese Weise wird vermutlich am Dienstag die neue Landtagspräsidentin gewählt, die schwarz-grüne Koalition schickt Astrid Wallmann (CDU) ins Rennen. Die Ministerpräsidenten-Wahl geht mit Gewissheit geheim über die Bühne. Auch dafür gibt es eine spezielle Corona-Lösung.

Vorsicht, frisch gestrichen!

Wem nichts fehlt, der kreuzt bei der geheimen Wahl unter Boris Rheins Namen "Ja" oder "Nein" wie üblich in einer Wahlkabine an. Ein Handwerker hat sie am Freitag noch frisch und strahlend weiß angestrichen. Positiv Getestete müssen ihr Kreuzchen dagegen in einem abgesonderten Raum setzen.

Die Wahlkabine im Landtag wird gestrichen.

Es wird sogar extra Betreuungspersonal geben, das darauf achtet, dass alle nötigen Abstände eingehalten werden. Der Betriebsarzt des Parlaments und das zuständige Wiesbadener Gesundheitsamt haben dieses Corona-Havariekonzept "für gut und sicher befunden", heißt es aus dem Landtag.

Aber was ist mit Diskretion und Datenschutz? Jeder kann ja sehen, wer isoliert wählen muss. "Wir gehen davon aus, dass die Medienvertreter trotz der Offenlegung dieser Details die Persönlichkeitsrechte möglicher Infizierter an diesem Tag entsprechend achten werden", sagt eine Sprecherin des Landtags.

Fairness-Abkommen gilt nicht

Diese enormen Corona-Vorkehrungen wären überflüssig, wenn auch für die Wahl des Ministerpräsidenten ein eigens ausgehandeltes Fairness-Abkommen zwischen Regierungslager und Opposition greifen würde: das sogenannte Pairing.

Motto der aus England stammenden Pärchenbildung: Fällt bei euch einer aus, stimmt auch von uns einer nicht mit. So sollen die Mehrheitsverhältnisse auch gesichert sein, wenn Abgeordnete aus triftigen Gründen fehlen.

Bei so einer bedeutenden Sache wie der Wahl des Regierungschefs gilt das aber nicht. "Die Mehrheit festzustellen ist Sache der Regierung und nicht der Opposition", sagt SPD-Fraktionschef Günter Rudolph beinah genüsslich. Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir (Grüne) habe ja selbst einmal festgestellt: Regierung sei Regierung, Opposition Opposition.

Die Angst vor U-Booten

Zuletzt fehlten coronabedingt allerdings kaum noch Abgeordnete, und die Inzidenz sinkt. Man hoffe deshalb, "dass unsere umfangreichen Vorbereitungen nicht zum Tragen kommen", sagt die Landtagssprecherin.

Rhein könnte dann immer noch scheitern - an einem sogenannten U-Boot in den eigenen Reihen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine geheime Wahl nicht wegen kranker Kollegen aus dem eigenen Lager misslingt, sondern wegen unzufriedener.

Bündnistreue zur Union und "grünes Licht für nächste Woche" verspricht Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner. Seinen Fraktion brenne darauf, den Koalitionsvertrag weiter umzusetzen.

Warum wählt Bouffier noch mit?

Die CDU sieht sich dagegen seit einiger Zeit dem Verdacht ausgesetzt, sich selbst nicht so sicher zu sein. Hintergrund sind Spekulationen über eine Kabinettsumbildung im Zuge des Wechsels im Regierungschefsessels und die Tatsache, dass Noch-Ministerpräsident Bouffier sein Landtagsmandat erst danach abgeben will.

Die Theorie: Rhein könnte seine Parteikollegin Eva Kühne-Hörmann als Justizministerin durch jemand anderen ersetzen. Die Ministerin selbst hat kein Landtagsmandat.

Ausgerechnet sie wäre aber über die CDU-Landesliste Bouffiers Nachrückerin im Parlament. Und wenn Bouffier schon am Dienstag für sie Platz machen würde, könnte sie sich an Rhein in geheimer Abstimmung rächen. Aus der CDU wird das als abwegig zurückgewiesen.

Warum Rhein-Gegner Rhein wählen könnten

Dass Rhein im Fall einer oder eines Abtrünnigen aus den eigenen Reihen scheitert, ist nicht einmal ausgemacht. Mancher Abgeordneter der Opposition, so eine andere Überlegung, könnte insgeheim aus sehr privaten Gründen den CDU-Mann wählen.

Erhält der CDU-Kandidat keine Mehrheit und kommt es zu Neuwahlen, können nämlich längst nicht alle Abgeordneten mit einem Wiedereinzug in den Landtag rechnen. Dann drohen Prestige- und Einkommensverluste.

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