Analyse Wer wird's? Die Hessen-CDU und die Bouffier-Nachfolge
Ministerpräsident Volker Bouffier und die Hessen-CDU wollen demnächst entscheiden, wie es an der Spitze von Regierung und Partei weitergeht. Dass es sich so lange hinzieht, deutet auf ein größeres Problem hin. Ein Kandidat hat sich gerade offenbart.
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Debatte um Bouffier-Nachfolge

Das Dutzend voll, das klingt nach einer runden Sache. Im Jahr 2010 übernahm Volker Bouffier erst den CDU-Landesvorsitz, dann das Amt des Ministerpräsidenten. Verkündet der 70-Jährige wie von vielen erwartet am 25. Februar, dass er sich zurückzieht und vielleicht noch im Sommer geht, hat er zwölf Amtsjahre hinter sich gebracht. Noch sieht es runder aus, als es ist.
Was schon an der Kleinigkeit liegt, dass die Nachfolge ungewiss ist. Der Abgang Bouffiers selbst ist es auch. Für ihre Verhältnisse hat sich in der Hessen-CDU die innere Unruhe deshalb gerade auf ein ungewöhnliches Maß gesteigert.
Wer wird es, wer wird es nicht, wen will Bouffier, wer will es selbst, wen akzeptieren Fraktion und Partei, wen der grüne Koalitionspartner? Und eben: Tritt der 70-Jährige nicht doch in eineinhalb Jahren noch einmal als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl an? Diese Fragen treiben die Union im Hessenland um. Manche Antwort ist Spekulation, aber nicht jede.
1. Was hat es mit dem 25. Februar auf sich?
Am Freitag nach Weiberfastnacht steigt das traditionelle Künzeller Treffen der Hessen-CDU. Der Landesvorstand, Abgeordnete aus Europaparlament, Bundestag und Landtag kommen in Fulda zusammen. Es gilt als gewiss, dass Bouffier am Ende verkündet, wie es an der Spitze der Landesregierung und der Landespartei weitergehen soll.
Auch über eine Trennung beider Ämter wird nachgedacht. Das hatte Bouffier selbst im Dezember ins Spiel gebracht. Gerade sind die CDU-Mitglieder online gefragt worden, was sie davon und vom aktuellen Spitzenpersonal der Partei in Wiesbaden halten.
2. Warum (erst) jetzt?
Die Nachfolgefrage stellt sich schon lange - mit wechselnder Intensität. Sie war informell geklärt, bis der damalige Finanzminister Thomas Schäfer zu Beginn der Corona-Krise starb. Bouffier selbst ist 70, erkrankte zwischenzeitlich an Hautkrebs, das scheint überwunden. An der Herausforderung der Pandemie wuchs er nach zwischenzeitlich offensichtlich schwerer Erschöpfung wieder. Doch die krachend verlorene Bundestagswahl vergangenen Oktober erhöhte den Druck auf den Regierungschef, sich endlich über seine Zukunft zu erklären.
Eine Revolte drohte nicht, aber Bouffiers Position war geschwächt. Er hatte den glücklosen Armin Laschet als Parteichef gegen Friedrich Merz und als Kanzlerkandidat gegen Markus Söder mit durchgeboxt. Bouffier kündigte an Weihnachten an, bis zum Frühjahr Klarheit zu schaffen.
3. Wer ist im Rennen?
Bouffier schweigt öffentlich, und weil er maßgeblich ist, traut sich kaum einer aus der Deckung. Gerade wagte es der erste: Kultusminister Alexander Lorz. In der Diskussion sind viele. Die offizielle Deutung der Partei: Wir haben eben eine ganze Reihe fähiger Leute. Es zeigt aber vor allem: Der oder die eine, die sich unumstritten aufdrängt, fehlt der CDU.
- Die Fraktionschefin: Ines Claus hat, von Bouffier gefördert, einen rasanten Aufstieg hingelegt. Die 44 Jahre alte Juristin war zwei Jahre im Landtag, als sie 2020 an die Fraktionsspitze kam. Eine taffe, vergleichsweise junge Frau, modern und konservativ zugleich: Was Bouffier als Weichenstellung im Alleingang durchsetzte, hat manchen Altgedienten vor den Kopf gestoßen. Gebremst hat es Claus nicht, seit Januar sitzt sie wie ihr Mentor Bouffier im Präsidium der Bundespartei. Ihr Vorteil: Sie hat noch Zeit.
- Der Innenminister: Wäre das Maß an Ablehnung durch die Opposition das entscheidende Kriterium - Peter Beuth hätte den Job schon. Kein Kabinettsmitglied geriet so unter Druck wie er infolge von Affären wie der um rechte Umtriebe bei der Polizei. Doch der wenig geschmeidige Beuth bewies Nehmerqualitäten wie einst Bouffier, als der noch Innenminister war. Auch beim Ehrgeiz, Regierungschef zu werden, sehen Parteikollegen den 54-Jährigen vorne. Und als früherer Generalsekretär ist er ausgezeichnet vernetzt - auch an der Basis.
- Der Landtagspräsident: Eine verlorene OB-Wahl 2012 in Frankfurt hätte der Karriereknick von Boris Rhein sein können, zumal sein Verhältnis zu Bouffier nicht das beste sein soll. Der 50-Jährige musste von der Spitze des Innenministeriums ins weniger beachtete Wissenschaftsresort wechseln. Als er das Kabinett ganz verließ, gewann er als Landtagspräsident eine Rolle zum Glänzen und an Profil: ein fairer, weltoffener, jovialer Geist, der über dem trüben Wasser des Parteienstreits schwebt.
- Der Finanzminister: Für einen Aufbruch stünde Michael Boddenberg mit seinen 62 Jahren nicht. Aber für Professionalität, Verlässlichkeit und Pflichtgefühl. Das sahen auch die meisten Oppositionsvertreter so, bis der Streit um Boddenbergs später vom Verfassungsgericht kassiertes Corona-Sondervermögen entbrannte. Dass er stetig daran ackert, Regierungschef zu werden, berichtet niemand. Wird er selbst gefragt, dementiert er aber auch nicht.
- Der Kultusminister: Der 56 Jahre alte Alexander Lorz hat sich nun für den Fall, dass Bouffier nicht mehr antritt in der FAZ gerade selbst ins Gespräch gebracht. Regierungserfahrung hat er: Gerade in der Pandemie stand der Jura-Professor oft im Rampenlicht und bewies Stehvermögen. Davon, dass er ein erfolgreicher Wahlkämpfer ist, müsste er aber wahrscheinlich noch einige überzeugen in der Hessen-CDU.
4. Wen will Bouffier?
Dass Bouffier sich immer noch selbst für den Besten in der Rolle hält, ist nicht unwahrscheinlich. Mit Murren, wenn er in seinem Alter doch noch einmal anträte, wäre zu rechnen, mit großem Widerstand in der auf Loyalität getrimmten Hessen-CDU allerdings kaum. Dass er wirklich verlängert, dafür spricht aber wenig. Am ehesten wohl, wenn es keine Einigung auf jemanden anderen gäbe. Ausgeschlossen sei jedenfalls, dass Bouffier es Merkel nachmacht und erst am Ende der Legislaturperiode aufhört - so heißt es aus der Parteispitze.
Plausibelstes Szenario: Bouffier gibt den Ministerpräsidenten-Posten bis zum Sommer ab. Dafür, dass er Ines Claus für die Rolle der Nachfolgerin aufbauen wollte, spricht viel. Aber im Alleingang und per Machtwort ist diese Sache anders als die Besetzung der Fraktionsspitze nicht zu regeln. Dabei geht es nicht nur um den innerparteilichen Frieden. Die CDU regiert nicht allein, die Wahl zum Ministerpräsidenten im Landtag ist geheim. Und Schwarz-Grün hat nur eine Stimme Mehrheit.
5. Was hat das mit den Grünen zu tun?
"Die CDU stellt den Hessischen Ministerpräsidenten", heißt es am Ende des aktuellen Koalitionsvertrags. Von Volker Bouffier ist nicht die Rede. Trotzdem hat Grünen-Fraktionschef Matthias Wagner gerade im hr zur Nachfolger-Debatte in der CDU betont, man habe Bouffier gewählt. Gleichgültig kann es den Grünen jedenfalls nicht sein, mit wem an der Spitze die Union in die Landtagswahl geht - und ob er oder sie dann den möglichen Amtsbonus des Ministerpräsidenten gegen einen grünen Herausforderer hätte.
Die Koalition hat den hessischen Grünen zwar eher genutzt, wie das Ergebnis der letzten Wahl zeigt. Die frühere Neigung eines großen Teils der Partei zu einem anderen, linken Bündnis ist nicht verschwunden. Und die Ampel in Berlin oder das neue Vierer-Bündnis in Frankfurt zeigen, was auch in Wiesbaden kommen könnte. Bislang waren die Grünen jedenfalls perfekt koalitionstreu.
6. Drohen vielleicht sogar Neuwahlen?
Kaum. Aber die CDU muss trotzdem auf der Hut sein, das macht die Sache noch verwickelter. Eine Kandidatur von Innenminister Peter Beuth (CDU) zum Beispiel könnte die Treue der Grünen auf eine ziemliche Belastungsprobe stellen. Und selbst wenn alles einvernehmlich ausgelotet scheint, ist das Risiko bei so knappen Mehrheiten wie im Landtag vorhanden. Bekanntestes Beispiel: Schleswig-Holsteins frühere Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD), der seinerzeit eine Stimme aus dem eigenen Lager ("Heide-Mörder") zur Wiederwahl fehlte.
Allerdings hält die Ein-Stimmen-Mehrheit von Schwarz-Grün eben schon drei Jahre. Und wer weiß: Vielleicht käme sogar die ein oder andere Stimme bei einer Ministerpräsidentenwahl dazu. Neuwahlen würden nicht nur für Abgeordnete der Koalition berufliche Unsicherheit bedeuten, weil sie das Mandat dann verlieren könnten.