Der Schatten von Linken-Bundeschefin Janine Wissler mit Partei-Logos

Der Linkspartei droht der Absturz, der Bundesparteitag wird zur Zerreißprobe. Die hessische Fraktionschefin Elisabeth Kula mahnt im Interview zur Geschlossenheit und stärkt der angeschlagenen Parteichefin Wissler den Rücken.

Die chronisch zerstrittene Linkspartei kämpft ums Überleben, am Freitag und Samstag beim Bundesparteitag in Erfurt droht die Eskalation. Für die Delegation aus Hessen wird es besonders nervenaufreibend. Ihr Aushängeschild Janine Wissler will als eine von zwei Bundesvorsitzenden wiedergewählt werden. Mehr noch als der Richtungszoff lastet die Serie von Wahldesastern auf der Frankfurterin.

Ex-Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht macht Stimmung gegen Wissler, forderte gerade im Interview mit Ippen-Media eine runderneuerte Parteispitze. Und Wissler und die hessische Linke müssen sich gegen Kritik aus den eigenen Reihen wehren, mutmaßliche Opfer von sexuellen Übergriffen allein gelassen zu haben.

Elisabeth Kula, Wisslers Nachfolgerin an der inzwischen zweiköpfigen Spitze der Landtagsfraktion, ist als Delegierte in Erfurt dabei.

hessenschau.de: Frau Kula, ist Ihnen schon bange vor Freitag? Das dürfte ein besonders heftiger Parteitag werden.

Elisabeth Kula: Nein. Ich glaube, dass es ein wichtiger Parteitag mit einigen Richtungsentscheidungen sein wird. Und er wird am Ende ein positives Signal nach außen senden: Die Linke ist da, sie wird gebraucht, sie wird diese Krise überleben und gestärkt aus ihr hervorgehen.

hessenschau.de: Eine dieser Entscheidungen wird sein, ob Janine Wissler überhaupt Bundesvorsitzende bleibt. Bleibt sie es?

Kula: Davon gehe ich aus. Der hessische Landesvorstand unterstützt ihre Kandidatur ja auch einstimmig. Mehr als 100 Kreisvorsitzende aus dem Bundesgebiet haben das in einem Brief an die Partei auch getan. Janine hat nicht nur große Erfolge in Hessen gehabt, wo wir mit ihr an der Spitze mehrmals den Landtag eingezogen sind. Mit ihrer charismatischen Art und mit ihrer politischen Orientierung kann sie die Partei auch zusammenführen.

hessenschau.de: Das hat bisher nicht funktioniert. Seit Wissler Parteichefin ist, hat die Linke alle Wahlen krachend verloren. Zuletzt misslang der Einzug ins nordrhein-westfälische Landesparlament. Auf dem Parteitag werden ihre Gegner mit ihr abrechnen wollen.

Kula: Janine Wissler wird auf dem Parteitag eine gute Rede halten und am Ende mit einem guten Ergebnis gewählt werden. Sie ist unter schwierigen Umständen Bundesvorsitzende geworden. Es war Corona und ein halbes Jahr, nachdem sie mit Susanne Hennig-Wellsow im Vorsitz eingestiegen war, war schon Bundestagswahl. Sie hat ja in Hessen gezeigt, dass sie erfolgreich in Wahlen führen kann.

Elisabeth Kula, Co-Vorsitzende der Linksfraktion
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Zur Person: Elisabeth Kula

Linken-Politikerin Elisabeth Kula ist seit 2019 im Landtag, zuvor war sie Kommunalpolitikerin in Marburg. Seit Oktober des vergangenen Jahres bildet die 32-Jährige mit Jan Schalauske das Führungs-Duo der Landtagsfraktion.

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hessenschau.de: Auch nicht wegen der MeToo-Affäre der Linken in Wiesbaden? Die Parteijugend und andere Wissler-Gegner dürften sich in Stellung gebracht haben.

Kula: Das wird auf jeden Fall Thema sein. Es ist am Freitagabend eine Debatte vorgesehen. Die Linksjugend Solid wird den ersten Redebeitrag haben. Mit fundamentaler Kritik an Janine Wissler rechne ich aber nicht. Ein Antrag, den ich mitgezeichnet habe, formuliert einen Grundkonsens zur Erneuerung der feministischen Linken. Er hat viele Unterstützer. Wir müssen als Partei Konsequenzen ziehen und neue feministische Strukturen aufbauen.

Es stehen aber auch andere, zentrale Entscheidungen an. Für den großen Leitantrag, der den ökologischen Umbau an die soziale Frage knüpft, erwarte ich eine breite Zustimmung. Über den Leitantrag zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wird es eine größere Diskussion geben. Es wird sich zeigen, ob der Antrag des Parteivorstands durchgeht oder einer der Ersetzungsanträge ...

hessenschau.de: ... von denen einer von Sahra Wagenknecht und ihrem Lager stammt. Sie hat ihn zwar ein bisschen geglättet, er zielt mit seiner russlandfreundlichen Haltung aber immer noch direkt auf Janine Wissler.

Kula: Der Parteitag ist das höchste Organ einer Partei. Es ist gut, wenn dort Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Wir haben uns in der Vergangenheit schon häufiger ordentlich gefetzt auf Parteitagen, aber danach mit der politischen Orientierung, die Parteitage gebracht haben, immer wieder zueinandergefunden. Das wird uns auch diesmal gelingen. Ich erwarte allerdings, dass sich danach auch alle Verantwortlichen öffentlich hinter die Beschlüsse des Parteitags stellen. Wir werden gebraucht.

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Linken-Parteitag in Erfurt

Die Linke wählt auf ihrem Parteitag vom 24. bis 26. Juni in Erfurt ihren gesamten Vorstand neu. Die bisherige Vorsitzende Janine Wissler will trotz der schweren Krise der Partei wieder kandidieren, gesucht wird eine weitere Person für die Doppelspitze.

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hessenschau.de: Ihr Parteikollege Bodo Ramelow, der thüringische Ministerpräsident, scheint nicht so zuversichtlich. Er vergleicht die Linke mit einem Rohbau, dessen Statik erodiert und dem das gemeinsame Treppenhaus fehlt.

Kula: Dieses Nebeneinander und Gegeneinander der vielen Stimmen muss aufhören. Die Menschen wissen nicht mehr, wofür die Linke steht. Auf dem Parteitag muss es deshalb das klare Commitment geben: Diese Partei wollen wir retten. Wir haben einen Angriffskrieg Krieg in Europa, massive Armut in diesem Land durch steigende Inflation, Armutslöhne, rasant steigende Mieten und die existentielle Bedrohung durch den Klimawandel. Da braucht es eine Partei als soziales und ökologisches Gewissen, die eine grundsätzliche andere Politik macht und sie einig nach außen vertritt.

hessenschau.de: In Hessen gibt es diese Geschlossenheit, und Frau Wissler sollte sie auf den Bund übertragen. Jetzt müssen Sie befürchten: Statt von ihrer Strahlkraft in Berlin zu profitieren, könnten Ihnen Wisslers Rolle bald bei der Landtagswahl 2023 schaden.

Kula: Bis zur Landtagswahl ist noch ein bisschen hin, das sind eineinhalb Jahre. Janine Wissler hat sich in Hessen zu Recht einen herausragenden Ruf erarbeitet. Als Parteivorsitzende hat sie mit der Kandidatur von Gerhard Trabert zum Bundespräsidenten ebenfalls einen herausragenden politischen Erfolg erzielt, sodass das Thema Armut in Deutschland auf einmal bei dieser Wahl eine Rolle gespielt hat. Ein Mensch der sich aktiv jeden Tag auf der Straße um Obdachlose oder Geflüchtete kümmert, hat sich von uns aufstellen lassen - das ist ein großer Erfolg.

hessenschau.de: Sie und ihr Co-Fraktionsvorsitzender Jan Schalauske sind allerdings vergleichsweise unbekannt. Können Sie das bis zur Wahl noch aufholen?

Kula: Über die Spitzenkandidatur zur nächsten Landtagswahl entscheidet die Vertreterversammlung der Partei in Hessen. Wir stellen uns gerade programmatisch auf. Als Fraktionsvorsitzende ist es unsere Aufgabe, die Fraktion bis zur Wahl gut zu führen, und ja klar, auch uns bekannter zu machen. Deswegen sind wir täglich unterwegs bei Streiks, Bündnispartnern und sozialen Bewegungen, bei Mieterverbänden oder an Schulen - da wo der Schuh drückt und wo Landespolitik unter Schwarz-Grün versagt.

hessenschau.de: Die Fünf-Prozent-Hürde in Hessen zu nehmen war selbst bei besseren Gesamtwetterlagen für die Linke schwierig genug.

Kula: Wir haben es aber immer wieder geschafft, auch wenn es knapp war. Vielleicht denken manche: Da sind jetzt nach Wissler nur zwei Leute aus der zweiten Reihe, die kennt eh keiner. Denen werden wir zeigen, dass wir uns nicht in den Schatten stellen. Wir nehmen die Herausforderung an.

Das Gespräch führte Wolfgang Türk.

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