Begrüntes Flachdach in einem Hinterhof in Darmstadt

Heiße Tage und tropische Nächte bekamen die Menschen in den Innenstädten in den vergangenen Wochen extrem zu spüren. Inzwischen haben mehrere Kommunen in Hessen der Hitze den Kampf angesagt - und nehmen dafür viel Geld in die Hand.

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Grün statt Grau: So wird es kühler in der Stadt

Hitze in der Stadt
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An vielen Stellen blitzt noch rot-braunes Substrat zwischen den grünen Pflänzchen hervor. Hausbesitzer Fabian Axthelm blickt dennoch zufrieden über die etwa 150 Quadratmeter große Dachfläche seines Bungalows, der im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses in der Darmstädter Innenstadt steht. Seine Investition in sechsstelliger Höhe habe sich gelohnt, sagt er. Denn sie bringt vor allem eines: Abkühlung.

"Vorher war das ein gewöhnliches Flachdach mit schwarzer Dachpappe und einer enormen Hitzeausstrahlung im Sommer", sagt Axthelm. Für die Mieterin aus dem angrenzenden Haus, deren Balkon zum Innenhof geht, hat das begrünte Dach die Hitze laut Axthelm in den vergangenen Wochen spürbar gemildert. Die Pflänzchen bevölkern das Flachdach seit rund einem Jahr.

Bis zu 70 Grad Unterschied

Nachdem im Zweiten Weltkrieg große Teile Darmstadts dem Erdboden gleich gemacht worden waren, sei in der Innenstadt eine Betonwüste entstanden, wie Hausbesitzer Axthelm es nennt. Damals ahnten die Bauherren noch nicht, welche Konsequenzen dies Jahrzehnte später für das Stadtklima haben würde - dass sich die graue Wüste aus Beton, Stahl und Stein in heißen Sommern tagsüber aufheizt und nachts kaum abkühlt.

Ein begrünter Innenhof in der Darmstädter Mollerstadt

Wie groß der Einfluss von grünen Flächen auf das Stadtklima ist, weiß Klimaprofessor Wilhelm Kuttler von der Universität Duisburg-Essen. Man spreche hier nicht nur von ein paar Grad. "Zwischen schwarzer Dachpappe und grünen Dächern können mittags bis zu 70 Grad Unterschied liegen", sagt Kuttler.

Immer mehr "heiße Tage" in den Innenstädten

Spätestens seit dem Rekordsommer 2018 ist das Klima in den Städten nicht nur unter Forschern, sondern auch in den Städten selber ein großes Thema. Allein in Darmstadt gab es im vergangenen Jahr 51 "heiße Tage" mit Temperaturen jenseits der 30 Grad. 16 solcher Tage wären für Darmstadt, gemessen am langjährigen Mittel, normal, erklärt der Deutsche Wetterdienst (DWD). Dieses Jahr musste Darmstadt schon elf heiße Tage ertragen, dabei hat der Sommer gerade erst begonnen.

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Die Stadt Darmstadt hat ein Klimagutachten in Auftrag gegeben und vor zwei Jahren ein Förderprogramm initiiert. Bis zu 15.000 Euro Zuschuss erhalten seither Hausbesitzer, die in der Mollerstadt, dem Gebiet westlich des Luisenplatzes, für mehr Grün sorgen. Ob in Innenhöfen, Vorgärten, auf Dächern oder an Fassaden - die Begrünung sei "ein wesentliches Mittel, das Mikroklima in dicht bebauten Stadtquartieren zu verbessern", erklärt Umweltdezernentin Barbara Akdeniz.

Bis zu 50.000 Euro Zuschüsse

Aber auch andere Städte stellen viel Geld bereit, um Bürger bei der Begrünung ihrer Gebäude zu unterstützen und so das Mikroklima zu verbessern. Insbesondere "Maßnahmen im Bereich der Dachflächen sind besonders effektiv", rät auch der DWD. In Frankfurt werden bis zu 50.000 Euro, maximal allerdings 50 Prozent der Kosten, übernommen. "Der heiße Sommer im vergangenen Jahr hat dazu geführt, dass die politische und öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema gewachsen ist", sagt Janina Steinkrüger vom Umweltdezernat der Stadt.

Offenbach übernimmt in einigen Teilen der Innenstadt bis zu 25 Prozent der Kosten. Fulda bezuschusst Begrünungsprojekte mit bis zu 85 Prozent der Kosten. Maximal werden 20.000 Euro je Liegenschaft übernommen. Wiesbaden plant ein solches Förderprogramm. Mit einer Zustimmung sei nach der Sommerpause zu rechnen, teilte die Stadt mit.

Erste Verbote von Schottergärten

Schottergarten als Vorgarten eines Hauses

Zuschüsse seien ein erster Ansatz, für viele aber nicht Anreiz genug, findet der Darmstädter Hausbesitzer Axthelm. Die Städte müssten Bauherren dazu verpflichten, Grünflächen zu schaffen. Hier sind die rechtlichen Möglichkeiten jedoch begrenzt. Das gilt auch für ein Verbot von Stein- und Schottergärten, wie es Umweltschützer immer häufiger fordern.

Die bestehenden Grün- und Vorgartensatzungen der Städte helfen hier meist nicht weiter. In vielen Satzungen steht als Vorgabe lediglich, dass unbebaute Flächen gärtnerisch zu gestalten seien – das schließt Schottergärten nicht aus. "Steingärten oder Schottergärten sind gewissermaßen eine Grauzone", erklärt Mark Gellert vom Frankfurter Planungsdezernat. 

Bebauungspläne könnten für mehr Grün sorgen

Die Lösung könnten Bebauungspläne sein: In Nordrhein-Westfalen haben erste Städte Bebauungspläne erlassen, die vorschreiben, dass bei Neubauten Vorgärten begrünt werden müssen und nicht versiegelt werden dürfen. "Sterile Schottergärten speichern wie der Straßenasphalt die Sonnenwärme und tragen so völlig unnötig zur Überhitzung im Siedlungsbereich bei", warnt der Naturschutzbund (Nabu) schon lange. Zwar können Bebauungspläne nicht rückwirkend eingreifen, aber in zukünftigen Bebauungsplänen können Verbote erlassen werden.

Auch die Stadt Hanau hat nun zu diesem Instrument gegriffen. Im Pioneer-Park entsteht auf dem Gelände einer ehemaligen US-Kaserne Wohnraum für bis zu 5.000 Menschen. Hier hat die Stadt Steingärten strikt verboten. "In Vorbereitung auf wärmere Temperaturen und mögliche Starkregenereignisse in der Stadt dient das Ganze als Anpassung an die Folgen des Klimawandels", sagt ein Sprecher. Begrünungen in den Städten seien essentiell für die Kühlung in den Innenstädten.

Ein Luftbild zeigt die riesige Fläche der ehemaligen Pioneer-Kaserne in Hanau.

In Gießen werden Anträge für Neubauten zum Teil abgelehnt, wenn sie zu viele Kies- oder Schotterflächen vorsehen. In Fulda enthalten Bebauungsplänen von Neubaugebieten zum Teil bereits Klauseln, die Grünflächen vorschreiben und Schottergärten so verhindern. In Kassel werden bei der Aufstellung neuer Bebauungspläne ebenfalls Schottergärten verboten.

Offenbach fordert in Bebauungsplänen neuerdings die Begrünung von Flachdächern für Neubaugebiete, zum Beispiel im Quartier am Kaiserlei. Und auch in Frankfurt gibt es bereits Bebauungspläne in Neubaugebieten, die Vorgaben bei der Dachbegrünung machen.

In Darmstadt sind inzwischen auch andere Hausbesitzer dem Beispiel von Fabian Axthelm gefolgt. In der Nachbarschaft sind drei weitere Gebäude begrünt worden. Axthelm hofft, dass sich noch viel mehr Nachahmer finden. Weil Grün auch einfach viel schöner sei als Grau, sagt er. Für das Stadtklima wäre das sicher gut.

Die Autor*innen studieren am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Hier finden Sie Infos über das Projekt der Uni Mainz in Kooperation mit hessenschau.de.