Der neue hessische Ministerpräsident Boris Rhein im Landtag, umgeben von applaudierenden Fraktionsmitgliedern

"Keine Aufbruchsstimmung": Bei zwei Oppositionsparteien kommt die Wahl von Boris Rhein zum Ministerpräsidenten nicht gut an. Eine allerdings hielt sich mit einem Urteil auffallend zurück.

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Boris Rhein ist neuer Ministerpräsident Hessens

hessenschau vom 31.05.2022
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Mit 74 Stimmen ist Boris Rhein (CDU) am Dienstag im Landtag zum neuen hessischen Ministerpräsidenten gewählt worden. Da seine schwarz-grüne Koalition nur über 69 Sitze verfügt, müssen mindestens fünf Abgeordnete aus der Opposition für ihn gestimmt haben. Wer es war, darüber lässt sich aufgrund der geheimen Wahl nur spekulieren. Dass jemand von SPD oder Linkspartei das Kreuzchen bei Ja für Rhein machte, dürfte aber ausgeschlossen sein.

Zwar gratulierte der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Rudolph dem neuen Regierungschef anstandshalber zur Wahl. Der Oppositionsführer wies auch darauf hin, dass Rhein "das Amt in schwierigen Zeiten übernimmt, die von Krisen, Krieg und Unsicherheit geprägt sind", also "vor gewaltigen Herausforderungen" stehe. Jedoch sei mit der Wahl des neuen Ministerpräsidenten "keine Spur von Aufbruchsstimmung" verbunden, bemängelte Rudolph.

SPD: Noch mehr Minister müssten gehen

Die Ablösung der bisherigen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann durch Roman Poseck (beide CDU) sei zwar "längst überfällig angesichts der langen Liste dessen, was sich während ihrer Amtszeit an politischen Fehlern und organisatorischen Mängeln in der hessischen Justiz ereignet hat". Jedoch sei dies längst nicht genug.

Ginge es nach Rudolph, müssten weitere CDU-Minister ihren Hut nehmen: Michael Boddenberg (Finanzen) wegen des vom Staatsgerichtshof als verfassungswidrig beschiedenen Corona-Sondervermögens; Kristina Sinemus (Digitales) wegen Untätigkeit; und Peter Beuth (Inneres) aufgrund "einer rekordverdächtigen Anzahl an Affären und Skandalen um rechtsradikale Tendenzen in den Sicherheitsbehörden". Auch die Ministerinnen und Minister der Grünen konnten bei der SPD nicht punkten.

Für die Linke wiesen die Fraktionsvorsitzenden Elisabeth Kula und Jan Schalauske darauf hin, dass Rhein zwar als Landtagspräsident "für seinen kommunikativen und zugewandten Stil" zu schätzen gewesen sei. Als Innenminister habe er jedoch Skandale zu verantworten gehabt, als Wissenschaftsminister sei er farblos geblieben. "Boris Rhein ist politisch Fleisch vom Fleische der Hessen-CDU", als Innenminister habe er in der Tradition der Hardliner Roland Koch, Alfred Dregger und Manfred Kanther gestanden.

Linke: "Sozialabbau, Versagen gegen rechts, ökologischer Stillstand"

Interessanterweise steht auch für die CDU-Fraktionsvorsitzende Ines Claus der neue Regierungschef "für eine Fortsetzung der Politik" - aus ihrer Sicht der langjährigen Regierungspartei freilich "in Kontinuität der bisherigen Erfolge, die auf Ausgleich und Kompromiss setzt". Zugleich bedeute Rheins Wahl eine Verjüngung an der Spitze des Landes und ein wichtiges Signal für die Zukunft Hessens.

Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Mathias Wagner, lobte die bisherige Zusammenarbeit: "Wir Grüne brennen darauf, die Inhalte des Koalitionsvertrags weiter umzusetzen und wo nötig, auch neue Akzente zu setzen." Man freue sich darauf, "in den nächsten Wochen und Monaten weiter ein Jahrzehnt des ökologischen und sozialen Wandels zu gestalten", so Wagner.

Die CDU-geführten Landesregierungen seit 1999 stünden für "Sozialabbau, marode Infrastruktur, Versagen im Kampf gegen rechts und ökologischen Stillstand", zählten dagegen die Linke-Politiker auf. Sie plädierten für die Landtagswahl 2023 nicht nur für einen Wechsel der Farbkonstellation in der Regierung. "Notwendig ist ein echter Politikwechsel."

FDP: "Hessen aus dem Mittelmaß führen"

Gnädiger ging der FDP-Fraktionschef René Rock mit dem neuen Ministerpräsidenten um. Rock nannte Rhein "einen erfahrenen Politiker, von dem wir erwarten, dass er sofort an die Arbeit geht". Als Regierungsauftrag gab ihm der Liberale auf: "Er ist aufgefordert, Hessen aus dem Mittelmaß zu führen."

Könnten also FDP-Abgeordnete Rhein mit ins neue Amt gewählt haben? Im Gespräch mit dem hr machte Rocks Parteifreund Yanki Pürsün klar, dass er dies - ungeachtet der Meriten, die sich der bisherige Landtagspräsident erworben habe - für seine Fraktion ausschließen könne. Er vermute, die zusätzlichen Stimmen für Rhein seien aus den Reihen der AfD gekommen und von Landtagsalterspräsident Rolf Kahnt, der früher der AfD angehörte.

AfD will noch kein Urteil fällen

Die Überlegung, die hinter dieser Vermutung steht: Angesichts etlicher Wahlen auf Landes- und Bundesebene, die zuletzt für die AfD mit teils herben Stimmverlusten endeten, könnten ihre Abgeordneten am wenigsten Interesse an Neuwahlen haben, die wohl nötig geworden wären, wäre Rhein am Dienstag im Landtag gescheitert.

Jedenfalls fiel auf, dass sich die AfD in ihrer ersten Reaktion nach der Wahl des neuen Ministerpräsidenten am Dienstag auffallend zurückhielt: "Bevor wir ein erstes Urteil über seine Leistung als Ministerpräsident fällen, stehen ihm wie jedem neuen Amtsinhaber 100 Tage im Amt zu", so Fraktionschef Robert Lambrou. Zu Rheins Vergangenheit stellte er lediglich fest, er habe als Landtagspräsident gute Arbeit geleistet.

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