Patenschaft für politische Gefangene in Belarus "Wir sind es den mutigen Menschen schuldig"

Sie leisteten inhaftierten Oppositionellen in Belarus humanitäre Hilfe: Deshalb drohen Yulia Syrykh und Anton Stashevsky selbst drakonische Strafen. Für politische Gefangene wie sie setzen sich Europaministerin Puttrich und andere hessische Politiker als Paten ein.
Wer sich in Belarus mit Diktator Lukaschenko anlegt, lebt gefährlich. Jetzt, am Ende des Jahres 2021, verhängen linientreue Richter immer mehr knüppelharte Freiheitsstrafen gegen führende Mitglieder der Demokratiebewegung. Das lässt Böses ahnen für die wohl rund tausend politischen Gefangenen im Land, auch für Anton Stashevsky und Yulia Syrykh.
Seit einem halben Jahr sitzen die beiden im berüchtigten Minsker Untersuchungsgefängnis Siso-1. Ihr Verbrechen: Sie haben Spenden für Häftlinge gesammelt und deren Familien unterstützt.
"Die Stimmung zum Jahreswechsel ist niedergeschlagen" – so beschreibt die oppositionelle Stiftung "A country to live in" die aktuelle Lage der zwei freiwilligen Gefangenenhelfer und ihrer Kollegin Tatiana Ostrovskaya. Moralische Unterstützung kommt auch aus der hessischen Landesregierung.
Was man mutigen Menschen schuldet
"Wir sind es den mutigen Menschen schuldig, dass wir ein klares Zeichen der Solidarität setzen und sie nicht vergessen", sagt Lucia Puttrich (CDU). Die Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten hat die Rolle einer Patin für Stashevsky und Syrykh übernommen. Ihre Aufgabe sieht sie vor allem darin, dazu beizutragen, "eine Öffentlichkeit in Deutschland für die Situation in Belarus herzustellen".
Diese Öffentlichkeit gab es. Doch längst nicht mehr schaut die Welt so aufmerksam wie anfangs auf die brutale Gewalt, mit der sich das Unrechtssystem in Belarus seit der manipulierten Präsidentenwahl im August 2020 an der Macht hält. Und das nicht nur, weil Themen wie die Corona-Pandemie, Bundestagswahl oder wachsende Kriegsgefahr in der Ukraine hierzulande die Schlagzeilen bestimmen.
Kandidatur angestrebt - Straflager
Der Diktator Lukaschenko selbst hat ein anderes Thema gesetzt. Er lässt Flüchtlinge an die Grenzen zur EU und ins Elend führen. "Damit versucht er gezielt, davon abzulenken, dass sein System immer aggressiver gegen Andersdenkende vorgeht", sagt Puttrich.
Kurz vor Weihnachten traf es den Blogger Sergej Tichanowski: 18 Jahre Straflager, weil er die Massenproteste organisiert habe. Er hatte zur Präsidentschaftswahl antreten wollen. Seine Frau Swetlana Tichanowskaja floh ins Exil nach Litauen, sie ist Anführerin und Gesicht des demokratischen Widerstands geworden.
Berlinale-Treffen gab Anstoß
In diesem Sommer traf sie mit Puttrich zusammen, als bei der Berlinale der Dokumentarfilm "Courage" des hessisch-belarusischen Regisseurs Aliaksei Paluyan gezeigt wurde. Auf die Frage aus Hessen, was man tun könne, kam der Hinweis, Gefangene wie Stashevsky und Syrykh zu unterstützen.

Die beiden warten auf ihren Prozess, wie viele andere in jenem Minsker Gefängnis, in das schon der Zar Regimegegner steckte und wo noch heute Hinrichtungen durch Erschießen stattfinden. Die Haftbedingungen sind hart: Die Gefangenen sind weitgehend isoliert, bekommen kaum Post, haben wenig Bewegung und einige sind krank geworden, wie die Stiftung "A country to live in" schreibt.
Die lange Trennung von der Familie falle den Gefangenen zum Jahreswechsel besonders schwer. "Jeder von ihnen hat zuhause Kinder, die Neujahr ohne Mutter oder Vater begehen werden. Und es gibt leider viele solcher Familien in Belarus."
In eine Falle gelockt
Fünf und sieben Jahre alt sind die Kinder Anton Stashevskys. 18 ist der Sohn Yulia Syrykhs, er soll pflegebedürftig sein. Und das Schlimmste kann wohl kein politischer Pate auf der Welt verhindern: "Sie müssen mit acht bis zehn Jahren Haft rechnen", sagt Puttrich. Den beiden droht die Verurteilung wegen angeblicher Unterstützung von Terroristen.
Das Vorgehen gegen die beiden Helfer lief nach Angaben ihrer Organisation besonders perfide ab. Anfangs duldete der Staat scheinbar, dass Helfer Päckchen mit Lebensmitteln und Kleidung in den Gefängnissen für jene abgaben, die es in der ersten Verhaftungswelle getroffen hatte. Wer etwas abgab, musste sich registrieren lassen – Daten, auf welche die Staatsmacht später offenbar zugriff, als sie in einer konzertierten Aktion auch aus den Gefangenenhelfern Gefangene machte.
Pulsadern aufgeschnitten
Mancher zerbricht an dem Unrecht, mancher protestiert dabei ultimativ. So wie der christdemokratische Lukashenko-Gegner Pavel Seviarynets, der schon vor mehreren Jahren als politisch Verfolgter in Haft saß. Er schnitt sich Medienberichten zufolge im vergangenen Jahr die Pulsadern auf. Auch in diesem Fall gab es einen hessischen Politiker, der auf Seviarynets' Schicksal aufmerksam gemacht hat.
"Ich kenne ihn persönlich und bin erschüttert", bekundete der Europaabgeordnete Michael Gahler (CDU). Zu erklären sei der Suizidversuch nur durch die vom Regime verhängten Zwangsmaßnahmen. Gahler gehört zu einer Reihe von hessischen Mandatsträgern verschiedener Parteien, die dem Ruf der deutsch-schweizerischen Nichtregierungsorganisation Libereco gefolgt sind: Sie wurden voriges Jahr bei der Aktion "#WeStandByYou" Pate oder Patin eines belarusischen Oppositionellen.
Weitere Paten aus Hessen
Seit der Gründung 2009 unterstützt Libereco nach eigenen Angaben die demokratische Zivilgesellschaft in der Ukraine und in Belarus. Als Lukaschenko die Opposition in Folge der Massendemonstrationen brutal verfolgen ließ, suchte die Organisation Paten. Sie sollten öffentlich für die Opfer ihre Stimme erheben, Druck machen, Freilassungen fordern, wie Libereco-Chef Lars Bünger dem Sender Arte seinerzeit sagte.
Zu denen, die daraufhin als Pate oder Patin auch in den sozialen Medien Flagge zeigten, zählt auch die hessische FDP-Politikerin Nicola Beer. Als amtierende Vize-Präsidentin des Europaparlaments ergriff sie das Wort für den Menschenrechtler Ales Bialiataski, der mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert wurde. Die Freilassung des Bloggers Siarhei Piatrukhin forderte der Frankfurter Grüne Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Und Ulli Nissen, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete aus Frankfurt, schloss sich dem Ruf "You are not alone" für den Journalisten Volha Klaskouskaya an.

Wirkung und Verpflichtung
Die bisher gefällten Urteile deuten nicht darauf hin, dass sich das System in Belarus von solchen Aktionen sonderlich beeindrucken ließ. Nicht einmal die Hoffnung, wenigstens auf die Länge der Haftstrafen Einfluss nehmen zu können, hat sich bisher erfüllt.
Mögliche andere Folgen des Protests sind nicht so leicht messbar wie die Höhe der Haftstrafen: etwa in welchem Maß die bekannten politischen Paten den Preis hochhalten, den die belarusische Diktatur für ihren Umgang mit der Opposition zahlt. Und ob der Umgang des Regimes mit seinen Gegnern und deren Angehörigen nicht noch schlimmer wäre, fühlte sich das Regime dabei unbeobachtet. In jedem Fall gilt laut Hessens Europaministerin Puttrich: "Als starke Demokratie haben wir die Verpflichtung, uns für die Opfer politischer Verfolgung einzusetzen."
Eine Postkarte gegen die Diktatur
Die Stiftung, für die Anton Stashevsky und Yulia Syrykh arbeiteten, fleht in ihrem aktuellen Aufruf geradezu um Zeichen der Anteilnahme - und sei es, indem man ihnen eine Postkarte schreibe. Wenn man sie schon nicht in die Arme schließen könne, dürfe man die "Helden von Belarus" nicht vergessen. "Bis zuletzt hielten sie Stand und halfen politischen Gefangenen. Jetzt brauchen sie Eure Solidarität."