Das umstrittene Banner hängt nur noch halb, Menschen stehen auf einem Gerüst und lösen es.

Der Antisemitismus-Eklat auf der documenta hat den Bundestag erreicht. Die Verantwortlichen in Kassel wurden abgewatscht. Die Entrüstung ist groß - die Wortwahl hart.

Die Verantwortlichen der documenta haben am Donnerstagabend bei einer Debatte im Bundestag von allen Parteien Schelte bekommen. Dass im Vorfeld der Kunstausstellung etwas mächtig schiefgelaufen sei, war parteiübergreifend Konsens. Es sei lückenlose Aufklärung nötig, hieß es einhellig, Antisemitismus dürfe nicht geduldet werden.

CDU: "Antisemita"

Die Empörung gipfelte bei einigen Rednerinnen und Rednern in harte Worte: Die Union schmähte die Ausstellung als "Antisemita" und sah eine "gesellschaftspolitische Katastrophe", laut FDP war die Künstlerauswahl "zum Schneeballsystem ausgeartet", die AfD erklärte sich zur vordersten Antisemitismus-Bekämpferin und sah die documenta gleich als "Schande für das ganze Land".

Aufhänger der Aufregung ist seit Wochen das Bild "People's Justice" vom indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi, das antisemitische Darstellungen zeigt. Nachdem es abgehängt worden war, holte sich die documenta fachliche Unterstützung von der Anne Frank Bildungsstätte in Frankfurt. Die kündigte allerdings am Freitag die Zusammenarbeit auf, weil der Wille bei der documenta-Leitung fehle.

Augen zu, Ohren zu, Mund zu

Trotzdem sah die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann Antisemismus als den "roten Faden", der sich durch die Ausstellung ziehe. Das Verhalten der documenta-Verantwortlichen im Vorfeld - als es bereits Vorwürfe wegen der Nähe einzelner Kuratoren und Künstler zur antiisraelischen Boykott-Bewegung gab - beschrieb Connemann als das der drei Emoji-Affen aus gängigen Messenger-Apps: Augen zu, Ohren zu, Mund zu.

Warnungen vom Zentralrat der Juden, der im Vorfeld erhebliche Bedenken geäußert hatte, seien "weggebügelt" worden, sagte sie im Plenum. Bei Kuratoren, den Künstlern von Taring Padi und beim Oberbürgermeister von Kassel, Christian Geselle (SPD), sei keine Einsicht vorhanden. Ein Antrag der Unionsfraktion, der forderte, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen und die Planungen für die nächste documenta vorerst zurückzustellen, scheiterte. Nur die AfD stimmte noch dafür.

Suche nach den Schuldigen

Die documenta sei kein Pilz, der plötzlich aus dem Boden sprieße, sagte Erhard Grundl (Grüne) - es sei vier Jahre Zeit gewesen, so einen Skandal zu verhindern. Er schob die Verantwortung weg von der aktuellen Regierung hin zur alten: Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) habe sich aus dem Aufsichtsrat der documenta gGmbH zurückgezogen und das Ganze zu locker laufen lassen.

Der nötige Dialog mit den Kuratoren Ruangrupa und der documenta-Leitung sei also schon von der Union verpasst worden, während die jetzige Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) seit Januar versucht habe, das noch aufzuholen. In Kassel habe es trotzdem klare Verfehlungen bei documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann und OB Geselle gegeben, sagte Grundl, es brauche nun neue Strukturen.

Anikó Merten (FDP) beschrieb das Problem als ein "Kontrolldesaster". Die Aufarbeitung sei allerdings bereits in vollem Gang. Sie verwies wie andere Abgeordnete auf Pläne von Kulturstaatsministerin Roth. Diese hatte Änderungen in der Struktur der documenta gefordert. Im Kern will Berlin mehr Einfluss, sonst soll es kein Geld mehr geben. Roth hatte der documenta am Mittwoch im Kulturausschuss in Berlin Versagen vorgeworfen.

Antisemitismus in ganz Deutschland

Simona Koß (SPD) erinnerte das Plenum daran, dass Antisemitismus ein Problem in ganz Deutschland sei. "Während wir im Bundestag tagen, werden sieben Juden beschimpft und angegangen", erklärte sie mit Blick auf Statistiken zu antisemitischen Taten. Im vergangenen Jahr seien 2.700 antisemitische Vorfälle erfasst worden: "Judenhass ist leider Alltag und kommt zum Großteil aus der Rechtsextremen- und Querdenkerszene", erklärte sie.

Die Linken-Abgeordnete Petra Sitte sah das Versagen bei Land, Bund und Kuratoren. Aber auch Taring Padi mache nicht den Eindruck, dass sie den Kern der Debatte mittlerweile verstanden hätten, sagte sie. Die ganzen Entschuldigungen der vergangenen Wochen würden da wenig helfen.

AfD kämpft gegen "postkoloniale Ideologie"

Der AfD-Abgeordnete Marc Jongen bemühte sich, seine Partei als Speerspitze der Israelsolidarität an der Seite des Zentralrats der Juden darzustellen - ohne zu erwähnen, dass der Zentralrat sich schon lange deutlich gegen das Anwanzen der Partei wehrt, weil sie antisemitisch und rassistisch sei. Auch der Bundesverfassungsschutz sieht laut MDR zahlreiche Belege dafür, dass AfD-Vertreter antisemitische Haltungen vertreten.

Die documenta-Debatte nutzte die rechtspopulistische Partei für ein ganz anderes Manöver: Sie stellte einen Antrag, der forderte, jede Finanzierung von "postkolonialistischer Ideologie" einzustellen, weil sie "Ressentiments gegen Weiße" fördere. Auch dieser Versuch führte zu einer harten Wortwahl: "Wie dämlich, klein und dumm ist das?", reagierte Helge Lindh (SPD) auf den AfD-Vorstoß. Der Antrag scheiterte an den Stimmen aller anderen Parteien.

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Wie die documenta finanziert wird

Die documenta wird von der Stadt Kassel, dem Land Hessen und der Kulturstiftung des Bundes finanziert. Im Laufe der Antisemitismus-Debatte hatte Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) zuletzt angekündigt, die Stadt wäre bereit, die documenta auch ohne Bundesgelder zu finanzieren. Geselle ist Aufsichtsratsvorsitzender der documenta gGmbH. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte zuvor Änderungen in der Struktur der documenta gefordert - sie will an die Gelder vom Bund auch Einflussnahme durch die Politik knüpfen.

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