Senkung im Sinne von Biontech? Gewerbesteuer belastet junge Marburger Koalition

Eine geplante Senkung der Gewerbesteuer stößt in Marburg auf Widerstand. Die Frage nach der Rolle von Biontech könnte zur Belastung für die neue Koalition werden.
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Diskussion um Gewerbesteuersenkung

Im November erst hat sich - nach Monaten der Verhandlung - ein Viererbündnis aus Grünen, SPD, Linken und Klimaliste in der Marburger Stadtverordnetenversammlung gefunden und einen gemeinsamen Koalitionsvertrag unterzeichnet.
Nur wenig später wird die Koalition zum ersten Mal auf die Probe gestellt: In dieser Woche soll nicht nur der Haushalt für 2022 verabschiedet werden, sondern auch eine Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes von 400 auf 357 Punkte - und das, so vermutet die Marburger Linke - auf Druck des Pharmaunternehmens Biontech.
"Keine Auskunft zu konkreten Gesprächen"
Die Stadt stehe "mit allen großen Gewerbesteuerzahlern in Marburg im engen Kontakt", teilte der Magistrat auf hr-Anfrage mit, ohne auf den Vorwurf der Linken-Fraktion einzugehen: Zu konkreten Gesprächen könne man keine Auskunft geben.
Die Impfstoff-Produktion durch Biontech hatte der Stadt in diesem Jahr einen Geldsegen beschert. Kolportiert wird, dass Biontech allein rund 300 Millionen Euro Gewerbesteuer produziert hat. Die geplante Senkung des Hebesatzes würde Biontech und alle anderen ansässigen Unternehmen entlasten.
"In Unterbietungswettbewerb gedrängt"
Ein Teil der Koalition lehnt diese nun vom Magistrat vorgeschlagene Senkung strikt ab: Private Unternehmen hätten eine öffentliche Verantwortung, findet etwa Renate Bastian, Fraktionschefin der Linken. Das Unternehmen habe bei der Entwicklung seines Impfstoffs auch von öffentlichen Mitteln profitiert. Zudem stünde in Marburg hochqualifiziertes Personal und "eine hervorragend entwickelte Infrastruktur zur Verfügung".
Die Linke befürchtet, dass die Standortkommunen "in einen Unterbietungswettebewerb gedrängt werden", so Bastian. Die rheinland-pfälzische Hauptstadt Mainz hat im November angekündigt, den Hebesatz für die Gewerbesteuer von jetzt 440 auf 310 Prozentpunkte zu senken. Auch am Biontech-Standort Idar-Oberstein wird derzeit über eine Gewerbesteuersenkung diskutiert. Beide Städte hatten in erheblichem Maße von Biontechs Impfstoff profitiert.
"Sehen das als Stärkung des Standorts"
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Marion Messik teilte dagegen mit, ihre Fraktion werde der Gewerbesteuersenkung in Marburg "nach sorgfältiger Abwägung" zustimmen. "Wir sehen dies als eine Stärkung des Standorts und eine Unterstützung der Gewerbetreibenden, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen sowie des lokalen Einzelhandels und der Gastronomie - gerade angesichts der Corona-Pandemie."
Für die SPD-Fraktion gehört die Gewerbesteuersenkung zu einer Gesamtstrategie, "mit der der Wirtschaftsstandort Marburg insgesamt weiterentwickelt werden kann". Positiv äußerte sich auch die Opposition: CDU und FDP etwa "begrüßen die Entwicklung des Gewerbesteuerhebesatzes".
"Koalitionsvertrag mit Überzeugung unterschrieben"
Die Koalition infrage stellen möchte niemand: Die Linke teilte mit, sie habe den Koalitionsvertrag "mit voller Überzeugung unterschrieben und setzt sich für seine Verwirklichung ein. Ebenso steht die Fraktion zur Koalition dieser vier Parteien." Und doch: "In der Abstimmung im Parlament wird sie einer Senkung der Gewerbesteuer nicht zustimmen."
Protest gegen Steuersenkung
Unter dem Titel "Gegen die Gewerbesteuersenkung - für eine Koalition des sozial-ökologischen Fortschritts!" haben sich verschiedene Gruppen und Einzelpersonen aus der Marburger Stadtgesellschaft zusammengeschlossen. In einem offenen Brief fordern sie die Regierenden auf, sich gegen eine Senkung der Gewerbesteuer zu stellen.
Diese helfe nur wenigen Großkonzernen, "die Koalition muss zusammenhalten und darf sich nicht erpressen lassen", heißt es in dem Brief. Am Dienstag tagte dazu der Haupt-, Finanz- und Wirtschaftsausschuss, am Freitag die Stadtverordnetenversammlung.