Eva Kühne-Hörmann, Sven Schoeller, Violetta Bock und Isabell Carqueville stehen vor großen Bildschirmen, die den Titel der Veranstaltung zeigen: Wahl.Lokal, dazu ist ein gezeichneter Dönerspieß zu sehen.

Oberbürgermeister-Wahlkampf in einem Döner-Restaurant in Kassel: Auch der amtierende OB Geselle war zu einem Kandidaten-Check für junge Wählerinnen und Wähler eingeladen. Doch er sagte kurzfristig ab - wegen Sicherheitsbedenken.

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OB Geselle sagt Podiumsdiskussion wegen Sicherheitsbedenken ab

Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) bei der Eröffnung der documenta fifteen
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Ungewöhnliche Location für eine Wahlkampf-Veranstaltung: In einem Döner-Restaurant am Stern in Kassel haben sich am Dienstagabend die Kandidaten für die anstehende Oberbürgermeister-Wahl den Fragen junger Menschen gestellt.

Ein Hauptdarsteller fehlte bei der Podiumsdiskussion vor rund 100 Schülerinnen, geflüchteten Jugendlichen und Menschen aus betreuten Wohngruppen allerdings: der amtierende OB Christian Geselle (SPD). Aus Sorge um seine Sicherheit, wie er seine Absage knapp zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung begründete.

Auf dem Podium standen somit lediglich Eva Kühne-Hörmann (CDU), Sven Schoeller (Grüne), Violetta Bock (Die Linke) und Isabel Carqueville (SPD).

Podiumsdiskussion zur OB-Wahl in Döner-Restaurant in Kassel

Geselle berichtet von Polizeischutz

Er habe nach verschiedenen Vorfällen in jüngster Zeit von der Polizei Schutz zugeordnet bekommen, schreibt Geselle in seiner Mail an die Veranstalter. Er wolle das Gespräch nicht in der aufgeheizten Atmosphäre des Wahlkampfs führen, sondern zielgerichtet nach der Wahl. Geselle tritt bei der Wahl als unabhängiger Kandidat an. Mit seiner Partei hat er sich überworfen.

Eine Nachfrage bei Rosa Hamacher (SPD) von der Wählerinitiative Christian Geselle bestätigt Vorfälle aus den vergangenen Tagen, über die bereits die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA) in ihrer Ausgabe von Dienstag berichtet hatte. So habe die Bedrohungssituation gegenüber dem Kandidaten aber auch engen Unterstützern im Verlauf des Wahlkampfs zugenommen.

Hamacher berichtet von nächtlichen Besuchen am Haus von Geselle. So hätten vermummte Personen an die Tür geklopft. Und auch bei ihr sei es zu einem Vorfall in der Nacht gekommen. "In der letzten Woche wurde geklingelt und die Kamera der Gegensprechanlage zugeklebt", erzählt sie. Ein weiteres Mitglied sei von einem ihr unbekannten Mann angerufen und gefragt worden, ob sie denn überhaupt wisse, für wen sie da Wahlkampf mache.

Polizei bestätigt zwei Vorfälle

"Bedrohungen im Sinne des Straftatbestands § 241 des Strafgesetzbuches wurden bisher nicht bei der Polizei angezeigt", sagte ein Polizeisprecher auf hr-Anfrage, bestätigte aber den Vorfall an Geselles Wohnadresse.

So sollen mehrere unbekannte Personen lautstark gegen die Haustür geschlagen sowie etwas gerufen haben. Auf die Frage nach einem verschärften Sicherheitskonzept für den Oberbürgermeister wollte der Sprecher aus taktischen Gründen nicht näher eingehen, verwies aber auf eine "ständig aktualisierte Bewertung der Sicherheitslage". 

Polizeibeamte in Zivil

Ihr als Veranstalterin seien keine Sicherheitsbedenken mitgeteilt worden, sagt Dagmar Krauße von der Initiative "Offen für Vielfalt". Man habe sich eng mit Polizei und Ordnungsamt abgestimmt und ein Sicherheitskonzept erarbeitet.

Einlass und eine Hintertür waren durch Mitarbeitende einer Security-Firma gesichert, außerdem seien eigene Sicherheitskräfte eingesetzt worden, sagt Krauße und ergänzt: "Zusätzlich waren Polizeibeamte in Zivil bei unserer Veranstaltung anwesend."

Veranstalter enttäuscht

Die Initiative, die von Vereinen, Unternehmen und Kommunen getragen wird, hatte gemeinsam mit dem Jugendbündnis "Ohne Jugend läuft nichts" zu der ungewöhnlichen Veranstaltung im Döner-Restaurant eingeladen.

Krauße zeigt sich auch einen Tag später überrascht von der Absage. Man habe die Diskussion monatelang vorbereitet und den Termin zunächst mit Oberbürgermeister Geselle und allen Kandidatinnen und Kandidaten mehrere Monate im Voraus abgestimmt. Man bedauere die kurzfristige Entscheidung sehr.

Zuletzt war Geselle bei einem HNA-Lesertreff mit dem 17 Jahre alten Julius Jasperbrinkmann (Stadtschulrat) aneinandergeraten und dafür im Anschluss von einigen Zuhörern hart kritisiert worden, wie die Zeitung berichtete. Ebendieser Jasperbrinkmann stand jetzt gemeinsam mit Maximilian Zindel von der Initiative 'Offen für Vielfalt' als Moderatorenteam auf dem Podium.

Stadtschulrat: Abwesenheit "peinlich für einen amtierenden OB"

Michel Scherbaum vom Stadtschulrat (SSR) hält Geselles Entscheidung für unbegründet. Er habe die Podiumsdiskussion als abgesichert empfunden. SSR-Vertreterinnen und Vertreter hätten die Veranstaltung zudem mit vorbereitet und auf einen Austausch mit Geselle gehofft, so Scherbaum. Jetzt fehle der Eindruck, was der OB für Jugendliche tun wolle.

"Der SSR findet es peinlich für einen amtierenden OB, dass er sich bei einer Podiumsdiskussion für Jugendliche nicht zeigt", kritisiert Scherbaum. Es bestätige den Eindruck, dass Geselle Themen von Kindern und Jugendlichen nicht wichtig seien.

Drei Themenblöcke und überraschende, interaktive Elemente

Podiumsdiskussion zur OB-Wahl in Döner-Restaurant in Kassel

Das Publikum hat trotzdem diskutiert und die Kandidatinnen und Kandidaten in drei Themenblöcken mit ihren Fragen konfrontiert. Für Kühne-Hörmann, Schoeller, Bock und Carqueville war es definitiv eine etwas andere Wahlkampfveranstaltung.

Neben den üblichen Fragen aus dem Publikum mussten sie sich beispielsweise in einer Schnellfragerunde für Themen und Orte aus Kassel entscheiden, darunter Begriffe wie "Taxi oder Schaddel" (alternatives Angebot zu Bus und Bahn in Randzeiten), "Aue oder Bergpark" oder "Graf Karl oder Frau Tanz" (beides Clubs in Kassel).

Die Besucherinnen und Besucher konnten im Nachgang mithilfe ihrer Smartphones abstimmen und darüber entscheiden, wer den besten Eindruck auf sie gemacht hatte. Während Linken-Kandidatin Bock den Sieg am "Wahl.Lokal"-Abend feiern konnte, bekam sogar Christian Geselle eine Stimme in Abwesenheit.