Porträt des Bundestagsabgeordneten Armand Zorn.

Je vielfältiger die Abgeordneten, desto besser die Politik, findet Armand Zorn. Im Interview spricht der Frankfurter Bundestagsabgeordnete über seine persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und führt aus, warum die Politik noch mehr Menschen mit Migrationsgeschichte braucht.

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Neue hessische Abgeordnete im Bundestag

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Der neue Bundestag ist so divers wie nie zuvor. Mit Awet Tesfaiesus (Grüne) aus Kassel hat es zum ersten Mal eine schwarze Frau über eine Landesliste nach Berlin geschafft. Ebenfalls erstmals zogen mit Nyke Slawik und Tessa Ganserer (beide Grüne) zwei Transfrauen ins Parlament ein.

Doch noch immer hinkt der Bundestag der Diversität in der Gesellschaft hinterher: Nicht alle Parteien sind so divers wie die Grünen. Insgesamt liegt der Frauenanteil bei gerade einmal 34,7 Prozent, noch immer gibt es zu wenige Abgeordnete mit Migrationsgeschichte, zu wenige Junge, zu wenige Menschen im Rentenalter.

Im Interview erklärt Armand Zorn (SPD), Wahlkreisgewinner aus Frankfurt, warum der Bundestag noch diverser werden muss - und welche Perspektive er persönlich in den Bundestag einbringen will.

hessenschau.de: Herr Zorn, ist es überhaupt erwähnenswert, wenn Abgeordnete mit Diversitätsmerkmalen wie jetzt Frau Tesfaiesus als erste schwarze Frau in den Bundestag kommen? Oder sollte das eigentlich keine Rolle spielen?

Armand Zorn: Wir arbeiten natürlich darauf hin, dass es in zehn Jahren völlig normal sein wird, dass eine junge, dunkelhäutige Frau für den Deutschen Bundestag kandidiert und gewählt wird. Aber wir kennen auch die jetzigen gesellschaftlichen Realitäten, daher finde ich das leider immer noch erwähnenswert.

hessenschau.de: Ob Digitalisierung oder Bekämpfung von Kinderarmut: Sie haben sich verschiedenste Themen auf die Fahnen geschrieben. Angesprochen werden Sie allerdings auch - und da sind wir mitschuldig - immer wieder auf Ihren Migrationshintergrund. Nervt Sie das?

Zorn: Nein, solange ich nicht auf meine Migrationsbiografie reduziert werde, nervt das nicht. Ich finde, darüber zu sprechen, ist auch ein Stück weit meine Verantwortung. Da sehe ich eine Vorbildfunktion für jüngere Menschen. Aber ich glaube auch, dass ich mehr mitbringe als nur meine Migrationsgeschichte. Solange auch meine Fachkompetenz und Expertise zu Wort kommen, bin ich damit absolut einverstanden.

hessenschau.de: Bis zu einem Bundestagsmandat ist es ja ein langer Weg. Hatten Sie das Gefühl, dass Ihnen Ihr Migrationshintergrund dabei mal im Weg stand?

Zorn: Jeder hat seine eigene Art und Weise, damit umzugehen. Ich habe recht früh für mich entschieden, dass ich erfahrene Diskriminierung als Motivation nehmen möchte, noch mehr zu arbeiten und meine Themen, meine Fachkompetenz in den Mittelpunkt zu stellen und nicht meine Hautfarbe. Natürlich gab es mal Situationen, in denen ich mich gefragt habe, ob es vielleicht anders gelaufen wäre, hätte ich eine andere Hautfarbe. Aber das ist Spekulation. Damit habe ich mich nie tiefgründig auseinandergesetzt.

hessenschau.de: Warum muss der Bundestag überhaupt diverser werden?

Zorn: Worum geht es denn in der Politik? Es geht darum, unser gesellschaftliches Zusammenleben zu organisieren und das Leben der Menschen zum Besseren zu gestalten. Das kann uns natürlich nur gelingen, wenn wir dafür Sorge tragen, dass möglichst viele Menschen, die eine breite Mehrheit in der Gesellschaft repräsentieren, am politischen Diskurs teilhaben und Entscheidungen treffen.

Wir beide werden zum Beispiel nie wissen, wie es ist, schwanger zu werden und dann Kind, Job und vielleicht noch ein Ehrenamt auszubalancieren. Politik funktioniert meines Erachtens mit Sachverstand und Kompetenz, aber auch mit Empathie und Herz. Dazu brauchen wir eine breite Mehrheit der Gesellschaft, damit die Entscheidungen wirklich alle Lebensrealitäten widerspiegeln.

hessenschau.de: Welche Perspektive bringen Sie persönlich mit in den Bundestag?

Zorn: Ich würde - ohne mich jetzt selbst loben zu wollen - sagen, da bringe ich durchaus ein paar Perspektiven mit. Erstens habe ich in den letzten Jahren als Unternehmensberater gearbeitet und gesehen, wo wir in der Wirtschaft Nachholbedarf haben. Auf der anderen Seite gibt es aufgrund meiner Hautfarbe bestimmte Erfahrungen, die ich gemacht habe, die vielleicht ein anderer Abgeordneter oder eine andere Abgeordnete so nicht gemacht hat - zum Beispiel, wenn wir über das Rassismus-Problem in der Polizei sprechen oder über Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt.

hessenschau.de: Aber sollten sich nicht alle Abgeordneten, egal welchen Hintergrund sie mitbringen, für die Interessen aller Wählerinnen und Wähler einsetzen?

Zorn: Ich gehe davon aus, dass jeder Kollege und jede Kollegin das nach bestem Wissen und Gewissen macht. Aber es gibt gewisse Grenzen. Innenminister Seehofer sagte zum Beispiel, es gebe keinen Rassismus in der Polizei, weil er das persönlich nie erlebt habe. Ich glaube, diese Diskussion wäre anders gelaufen, wenn wir im Innenministerium oder im Innenausschuss viel mehr Leute mit einer sogenannten Migrationsgeschichte hätten.

Sie hätten dann vielleicht sagen können, dass sie andere Erfahrungen gemacht haben, und auf einer Studie bestanden, um das Ausmaß an Rassismus in der Polizei zu untersuchen. Ich glaube nicht, dass Menschen mit Migrationsgeschichte, Frauen oder Krankenschwestern per se eine bessere Politik machen. Aber ich glaube, dass Politik qualitativ besser und nachhaltiger wird, je diverser die Menschen sind, die die Politik machen.

Die Fragen stellte Nasir Mahmood.

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