Bundesinnenministerin Nancy Faeser (EPA)

Tritt die Bundesinnenministerin bei der Landtagswahl 2023 als SPD-Spitzenkandidatin gegen Ministerpräsident Rhein an? Nancy Faeser weicht einer Antwort darauf aus, berichtet aber von Erfahrungen mit kurzfristigen Karrieresprüngen.

Nancy Faesers Umzug von der Oppositionsbank im hessischen Landtag an die Spitze des Bundesinnenministeriums im Dezember 2021 kam überraschend: Viele Beobachter hatten auf die heutige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) als erste Frau in diesem Amt getippt. 

Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur berichtet Faeser, wie kurzfristig ihr Wechsel nach Berlin eingetütet wurde. Die 51-Jährige erklärt zudem, warum die Bekämpfung des Rechtsextremismus für sie auch eine Herzensangelegenheit ist. Zu den Spekulationen über eine Rückkehr von Berlin nach Hessen als Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl 2023 blieb sie erneut vage. Just Lambrecht hatte ihre Parteikollegin deswegen zuletzt in Erklärungsnot gebracht.

Mal zurückgeschaut zu den Koalitionsverhandlungen: Da waren Sie ja schon eingebunden, dennoch kam Ihre Ernennung zur Bundesinnenministerin für viele überraschend. Wie viel Bedenkzeit hatten Sie, als Olaf Scholz Sie gefragt hat, ob Sie das machen wollen?

Faeser: Ich hatte nicht viel Bedenkzeit. Olaf Scholz hat mich sonntags angerufen, und montags stand ich vor der Kamera. Für mich ist es eine sehr schöne Aufgabe, weil ich ja vorher 15 Jahre lang Innenpolitik gemacht habe und jetzt die Dinge auch umsetzen kann.

Innere Sicherheit ist für mich eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es geht mir darum, dass alle Menschen frei und sicher in unserer Gesellschaft leben. Ich bin mit vollem Herzen und ganzer Leidenschaft Bundesinnenministerin - in schwierigen Zeiten.

Sie haben schon bei Amtsantritt die Bekämpfung des Rechtsextremismus als Priorität benannt. Hat das auch persönliche Gründe?

Faeser: Ja, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Neonazi ist mir sehr nah gegangen. Ich kannte ihn gut. Und der rechtsextremistische Anschlag in Hanau hat mich sehr geprägt, weil ich die Familien der Opfer so gut kennen gelernt habe und mich ihre Schicksale bis heute bewegen.

Zitat
„Der rechtsextremistische Anschlag in Hanau hat mich sehr geprägt, weil ich die Familien der Opfer so gut kennen gelernt habe.“
Zitat Ende

Ich habe aber auch andere Formen des Extremismus erlebt. Bei den Aktionen gegen den Autobahnbau im Dannenröder Forst habe ich mich sehr scharf gegen den gewalttätigen Linksextremismus gewandt. Da wurden Drähte gespannt, quer durch den Wald, in Kopfhöhe von Polizeibeamtinnen und -beamten. Und als Bundesinnenministerin beschäftigt mich natürlich auch die weiterhin akute Bedrohung durch islamistischen Terrorismus.

Die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine war eine Herausforderung - bewältigt Deutschland sie?

Faeser: Zu Beginn des Krieges hat mich geärgert, dass es viel Diskussion über die Frage gab, was man hinkriegt und was man nicht hinkriegt. Währenddessen haben unglaublich viele Bürgerinnen und Bürger und die staatlichen Stellen angepackt und bis heute mehr als 850.000 Geflüchtete - vor allem Frauen und Kinder - aufgenommen und versorgt. Wir haben vieles sehr viel besser gemacht als bei der letzten großen Fluchtbewegung 2015.

Die Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge hier in Deutschland und auch in anderen EU-Staaten läuft vergleichsweise unbürokratisch, auch was den raschen Zugang zu Leistungen der Grundsicherung angeht und zu den Beratungsangeboten der Jobcenter. Es gibt jetzt Forderungen, so müssten alle Schutzsuchenden künftig behandelt werden. Wie stehen Sie dazu?

Faeser: Es ist ein historischer Erfolg, dass es uns gelungen ist, in der ganzen EU Geflüchteten vor dem furchtbaren Krieg in der Ukraine unmittelbaren Schutz zu gewähren - schnell und unbürokratisch. Es war schwierig, das hinzubekommen. Ich bin auch sehr froh, dass es uns jetzt gelungen ist, auch für andere Geflüchtete auf der europäischen Ebene einen Schritt weiter zu kommen. Wir werden unserer humanitären Verantwortung gerecht.

Was heißt das?

Faeser: Wir öffnen auch die Integrationskurse in Deutschland für alle Menschen, sofort nach ihrer Ankunft. Unsere Werte und unsere Sprache zu vermitteln, ist immer wichtig, auch wenn Menschen nur vorübergehend hier in Deutschland sind. Für Afghaninnen und Afghanen habe ich das ganz kurz nach meinem Amtsantritt schon geändert.

Wir schaffen jetzt das Chancen-Aufenthaltsrecht, das wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Damit geben wir Menschen, die schon längst gut in unsere Gesellschaft integriert sind, endlich eine sichere Perspektive. Wir beenden die bisherige Praxis der Kettenduldungen - und damit auch die Bürokratie und die Unsicherheit, die damit verbunden war.

Zitat
„Den Geflüchteten vor dem Ukraine-Krieg schnell und unbürokratisch zu helfen, haben wir in der EU gut hinbekommen.“
Zitat Ende

Von Kritikern wird gesagt, das hätte einen Pull-Effekt (Sog-Effekt). Das ist Unsinn. Denn es geht ja nur um gut Integrierte, die schon fünf Jahre hier leben. Es geht um Menschen, die sich einbringen wollen. Insbesondere die Städte und Gemeinden haben sich ein Chancen-Aufenthaltsrecht schon lange gewünscht. Ich erfahre da sehr positive Rückmeldungen. Und selbst bei der Union gibt es einige, die mich da unterstützen. Beispielsweise Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hat meine Initiative ausdrücklich begrüßt.

Mit Franziska Giffey und Manuela Schwesig gab es schon zwei SPD-Politikerinnen, die erst Bundesministerinnen waren und dann in einem Land Regierungschefin wurden. Ist das der Königsweg für SPD-Politikerinnen?

Faeser: Beide sind starke Ministerpräsidentinnen, die ihren Weg gegangen sind. Wenn Sie mich damit ansprechen wollen: Ich bin mit Leib und Seele Bundesministerin des Inneren und für Heimat. Meine volle Kraft gilt diesem Amt.

Gesetzt den Fall, Sie sollten nicht bis zum Ende der Legislaturperiode Innenministerin sein, sondern vielleicht eine andere Aufgabe finden, wäre es dann automatisch so, dass es wieder eine Frau sein müsste, so wie beim Wechsel im Familienministerium?

Faeser: Das ist eine Frage, die sich überhaupt nicht stellt. Mit mir trägt erstmals eine Frau die Verantwortung für die innere Sicherheit in unserem Land, dafür wurde es Zeit. Ich spekuliere nicht über mein Amt, ich fülle es aus.

Die Fragen stellte Anne-Beatrice Clasmann (dpa).

Formular

hessenschau update - Der Newsletter für Hessen

Hier können Sie sich für das hessenschau update anmelden. Der Newsletter erscheint von Montag bis Freitag und hält Sie über alles Wichtige, was in Hessen passiert, auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbstellen. Hier erfahren Sie mehr.

* Pflichtfeld

Ende des Formulars