Hohe Infrastrukturkosten Städte im Ballungsraum Frankfurt wollen nicht mehr wachsen

Wohnraum im Rhein-Main-Gebiet ist knapp. Gleichzeitig plant die Landesregierung, den Flächenverbrauch zu senken. Mörfelden-Walldorf und Obertshausen sehen schon jetzt die Grenzen des Wachstums erreicht.
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Städte im Rhein-Main-Gebiet an ihren Grenzen

Ein letztes Stück Acker am Rand von Mörfelden-Walldorf, umgeben von Büschen, Bäumen und Einfamilienhäusern. Hier sollten in den kommenden Jahren rund 1.000 Wohnungen entstehen. Doch kein Bagger rollt. Und wie es aussieht, wird hier auch keiner mehr rollen.
Mit dem im Frühjahr neu gewählten Stadtparlament sind die Baupläne vom Tisch, wie Bürgermeister Thomas Winkler von den Grünen sagt: "Wir haben unsere Lebensqualität, die wir hier bewahren wollen." Noch mehr Wohnhäuser würden da nur stören. Neubaugebiete soll es in der Doppelstadt im Kreis Groß-Gerau vorerst nicht mehr geben.
Neubaugebiete sind für Kommunen teuer
Mit etwa 34.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Mörfelden-Walldorf die zweitgrößte Stadt im Kreis. Sie liegt im Einzugsgebiet der Rhein-Main-Metropole Frankfurt. Geht es nach den politisch Verantwortlichen, soll ihre Stadt nicht mehr größer werden - auch aus Geldgründen.

Die Kosten, die durch Baugebiete entstehen, sind hoch, wie der Bürgermeister erklärt. "Mit einem weiteren Neubaugebiet hätten wir viel in die Infrastruktur investieren müssen, in Verkehrswege, Kanalisation und eine Kläranlage", sagt Winkler: "Das geht in die Millionen und belastet Kommunen schwer."
Kleinere Projekte für Wohnungsbau
Deshalb will Mörfelden-Walldorf nicht mehr wachsen. Zumindest nicht in der Fläche, höchstens durch behutsame Nachverdichtung innerorts. So gibt es kleinere Projekte, etwa im alten Ortskern und auf dem bisherigen Gelände der Feuerwehr in Walldorf, nachdem deren Wache ihren Standort gewechselt hat. In den nächsten zehn Jahren entstehen auf solchen bereits erschlossenen Flächen nach Winklers Angaben etwa 300 bis 400 Wohnungen.
Gebaut werden soll dort umweltverträglich. "Es muss energetisch perfekt sein, so dass keine Flächenversiegelung stattfindet", fordert der grüne Bürgermeister: "Man muss vielleicht ein Stückchen höher bauen, als in die Breite zu gehen. Und schauen, dass das Regenwasser abfließen kann." Mörfelden-Walldorf hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu sein.

"Man kann niemanden zwingen, Wohnraum zu entwickeln"
Nach Angaben des Regionalverbands Frankfurt RheinMain fehlen im Ballungsraum bis 2030 rund 200.000 Wohnungen. Daher sind an vielen Stellen Baugebiete ausgewiesen, im Rahmen des Projekts "Großer Frankfurter Bogen" sollen beispielsweise selbst noch in Zwingenberg an der Bergstraße Wohnungen für Pendler nach Frankfurt entstehen. Die Nachhaltigskeitsoffensive von Mörfelden-Walldorf wirkt so wie ein Tropfen auf dem heißen Stein.
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Doch niemand könne Städte und Gemeinden zwingen, neue Wohnungen zu bauen, sagt Regionalverbandsdirektor Thomas Horn. Ausreichend Flächen für die benötigten neuen Häuser gebe es durchaus. Aber sind eine zunehmende Versiegelung und ein stetiges Wachstum des Ballungsraums zeitgemäß?
"Letztlich muss jede Kommune entscheiden, wie sie vor Ort plant", sagt Horn. Diese Planungen würden komplizierter, nicht nur wegen zunehmender Zwänge zur Klimaanpassung. "Man braucht Gestaltungsmehrheiten. Es ist schwieriger, in Dreier- und Viererbündnissen, wie jetzt etwa auch in Frankfurt, einen Konsens zu finden."
Land will Flächenverbrauch drosseln
Wie das Wirtschaftsministerium berichtet, hat sich der Flächenverbrauch in Hessen bereits verlangsamt. Wurden 2017 demnach noch 3,03 Hektar pro Tag verbraucht, waren es drei Jahre später 2,63 Hektar. Bis zum Ende der Legislaturperiode plant die Landesregierung, den Flächenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu senken.
Umweltschutzverbänden wie dem BUND ist das noch viel zu viel. Versiegelte Flächen heizen das Klima zusätzlich auf, zugleich begünstigen sie Flutereignisse wie diesen Sommer im Ahrtal.
Idee: Investoren an Kosten beteiligen
Auch Obertshausen sieht sich vor Problemen: Der Plan, Wohnraum durch Nachverdichtung zu schaffen, ging in der 25.000-Einwohner-Stadt im Kreis Offenbach in den vergangenen zehn Jahren nicht zufriedenstellend auf. Das sagt Bürgermeister Manuel Friedrich.
"Letztlich ist uns die Infrastruktur um die Ohren geflogen. Die vorhandenen Plätze in der Kinderbetreuung und an Schulen sowie die Freizeitangebote reichten nicht. Dasselbe gilt für Parkplätze", berichtet der unabhängige Politiker.

Mit neuen Grundsatzbeschlüssen will Obertshausen Bebauungspläne und Anfragen zur Nachverdichtung stoppen. Gebaut wird nur noch auf Brachflächen wie dem 9.500 Quadratmeter großen, ehemaligen Karl-Mayer-Gelände am Rande des Industriegebiets. Die Textilmaschinenfabrik ist umgezogen. Auf der Konversionsfläche ist ein neues Quartier geplant.
"Großer Frankfurter Bogen" lockt mit finanziellen Anreizen
"Wir können hier ein schönes Areal erstellen, sozialen Wohnungsbau, Entsiegelung und Schaffung weitere Kitaplätze inklusive", hofft Friedrich. Bei neuen Bauprojekten will die Stadt Investoren an den nachfolgenden Infrastrukturkosten beteiligen. Und sie etwa verpflichten, Kindergärten zu bauen.
Um mehr Flächen entwickeln zu können, beteiligt sich Obertshausen am "Großen Frankfurter Bogen". Für das Projekt hat das Wirtschaftsministerium, das auch für Wohnen und Verkehr zuständig ist, einen Kreis gezogen, innerhalb dessen man mit der Bahn in 30 Minuten den Frankfurter Hauptbahnhof erreicht. Kommunen, die mitmachen und Baugebiete ausweisen, um den Druck auf den Wohnungsmarkt in Frankfurt zu lindern, werden finanziell gefördert.
Wohnungen an der Bundesstraße?
Und so kam man in Obertshausen auf die Idee, eine Wohnbebauung am Rand der stark befahrenen B448 zu prüfen. "Mit Experten des Landes schauen wir, ob ein Rückbau möglich ist. Was auch bedeuten würde, dass beide Stadtteile zusammenwachsen können", sagt der Erste Stadtrat Michael Möser (CDU).

Cornelia Holler, die Fachbereichsleiterin für Wohnen, Planen und Bauen in der Stadtverwaltung, will die Verkehrswende einleiten: "Wir haben uns überlegt, dass auf der B448 zwei Spuren für die Autos reichen könnten. Den Raum wollen wir zurückerobern." Etwa für Wohnungen auf einem Streifen entlang der Bundesstraße.
Wohnen an der Bundesstraße - das klingt ungewohnt. Aber wenn der Flächenverbrauch spürbar zurückgehen soll, werden die Kommunen gerade in boomenden Regionen neue Wege gehen müssen.