Tausende Quereinsteiger mit Zeitverträgen retten an Hessens Schulen Unterricht. Von der Versorgung ihrer verbeamteten Kolleginnen und Kollegen können sie nur träumen. Nicht nur wegen Sommerferien ohne Einkommen verzweifeln viele.

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Befristete Vertragslehrer beklagen Benachteiligung

Eine Frau sitzt an einem Tisch und hält Papiere in der Hand, auf die sie schaut. Hinter ihr an der Wand eine Weltkarte.
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Viele Aufgaben, viel Verantwortung und viel Unsicherheit - das ist die Jobbeschreibung befristet beschäftigter Lehrerinnen und Lehrern in Hessen. Viele von ihnen wussten bis kurz vor Ende des Schuljahrs nicht einmal, wie viel sie während der sechs Wochen Sommerferien verdienen. Bei Constance Arnold wären es 350 Euro gewesen - insgesamt.

Den neuen Vertrag hat man der Musikwissenschaftlerin einen Tag vor Ferienbeginn vorgelegt. "Ich wurde nahezu genötigt zu unterschreiben, mit 70 Prozent Verlust für mich." Dabei wird Arnold dringend gebraucht. 16 Stunden pro Woche war sie im vergangenen Schuljahr Vertretungslehrerin an der Hebbelschule in Wiesbaden. Außer ihr gibt es dort keine Musiklehrerin.

Wie mit Arnold wird mit vielen Lehrkräften in Hessen umgesprungen. Und es trifft immer mehr. Rund 7.500 befristete Verträge gab es im Schuljahr 2021/22 in Hessen. Das waren 800 mehr als im Jahr zuvor.

Was hilft ein Preis als beste Lehrerin?

Meist trifft es Quereinsteigerinnen. Eva Giovannini ist eine von ihnen. Sie unterrichtet unter anderem Kunst, studiert hat sie Kommunikationswissenschaften. Mit den Schülerinnen und Schülern macht sie auch die Schülerzeitung und diverse Medien- und Filmprojekte.

Erst vor zwei Wochen räumte sie bei den "Leonardo School Awards" der Wiesbaden-Stiftung mit ihrer Klasse sechs Preise ab. Einer davon ging direkt an sie - in der Kategorie "Beste Lehrerin". Giovannini hat sich riesig gefreut, dass ihre Arbeit ausgezeichnet wird. Doch Zukunftssorgen trüben die Freude.

Schuld sind die befristeten Tarifverträge des Landes Hessen. Nach fünf bis sieben Jahren werden sie nicht mehr verlängert. Wann genau, das ist von Fall zu Fall anders. Es hängt davon ab, wie viele Verträge es schon gab und wie lange sie liefen. Ist die maximale Dauer überschritten, werden die Lehrkräfte für neue Beschäftigungen gesperrt, damit sie sich nicht einklagen können.

Quälende Fragen

Eva Giovannini liebt ihren Job, wie sie sagt. Um unterrichten zu können, nimmt sie auch die Unsicherheit in Kauf. "Der befristete Vertrag ist für mich die einzige Möglichkeit. Aber er ist natürlich eine Belastung", sagt sie. Mit jedem neuen Vertrag kämen die quälenden Fragen: "Wie viele Stunden werde ich haben? Was werde ich unterrichten? Wird der Vertrag verlängert?"

Einem Kollegen sei das gerade passiert: Sein Vertrag sei nicht verlängert worden. "Das war für uns ein Schock, weil viele Lehrkräfte an unserer Schule befristet arbeiten", erzählt Giovannini. Sie weiß: Auch ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen wird das irgendwann blühen.

Ministerium will nichts ändern

Das Kultusministerium will an seiner Praxis erst mal nichts ändern. Auf Anfrage teilt das Ministerium schriftlich mit: "Die Landesregierung setzt auf Lehrkräfte mit Lehramt. Aus diesem Grund wurden zum Beispiel seit 2017 die Studienplätze für das Lehramt an Grundschulen fast verdoppelt."

Für Förderschulen, Haupt- und Realschulen, berufliche Schulen sowie den Gymnasialzweig habe man ebenfalls Maßnahmen ergriffen. Das Ministerium nennt mehr Studienplätze auch hier, Ausweitung der Ausbildungskapazitäten und Quereinstiegsmöglichkeiten.

SPD fordert Sicherheit durch Qualifizierung

Aber genau bei der Möglichkeit zum Quereinstieg müsse das Land Hessen viel mehr tun, um qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen, sagt die SPD-Bildungspolitikerin Nina Heidt-Sommer. Und zwar nicht nur, wenn Lehrer die Schulform wechseln, also zum Beispiel vom Gymnasium ins Grundschullehramt.

"Es muss auch ein Weg gefunden werden, Menschen mit abgeschlossenem Studium nachzuqualifizieren", fordert Heidt-Sommer. Ein Vorschlag, wie ihn auch die Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt. So könnten Quereinsteigerinnen wie Giovannini und Arnold leichter dauerhaft und ohne Befristung im hessischen Schulsystem beschäftigt werden.

Selfie von Constance Arnold im Unterrichtsraum stehend.

Constance Arnold steigt aus

Für die Wiesbadener Musiklehrerin Constance Arnold kommen solche Vorschläge zu spät. Im neuen Schuljahr hätte sie weiter unterrichten können, wenn auch mit etwas weniger Stunden. Während der laufenden Sommerferien sollten es allerdings nur noch fünf Stunden sein, für die sie bezahlt wird - pro Monat.

350 Euro Gehalt über die Sommerferien statt fairer und durchgängiger Bezahlung: Das will Arnold sich nicht noch mal zumuten. Sie steigt aus. Dabei würde sie gerne weiter Musik an ihrer Grundschule unterrichten, sagt sie. Aber nicht unter diesen Umständen: viele Aufgaben, viel Verantwortung und das bei so wenig Sicherheit.

Ihr Job an der Schule hat Constance Arnold gelehrt: "Wir sind die am niedrigsten bezahlten Akademiker, die man sich in diesem Land vorstellen kann."

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