Eine Masse mit Eintracht Frankfurt-Fans, die den ganzen Platz "Römerberg" in Frankfurt ausfüllen.

Eintracht Frankfurt kann nach 42 Jahren wieder Europacup-Sieger werden. Für viele Fans ist das kaum zu begreifen. Tage vor dem Finale kann man die Bedeutung des Spiels in der Stadt fast körperlich spüren.

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Das historische Finale der Eintracht

hemo sevilla
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Sevilla ist die Stadt der Orangenbäume. Geht man zur richtigen Jahreszeit durch die Straßen, liegt eine leichte Süße in der Luft, von den Bitterorangen, die Genueser Seeleute vor vielen hundert Jahren in der Stadt ansiedelten. Fast 50.000 Orangenbäume gibt es mittlerweile in Sevilla, heißt es in den Reiseführern. Es soll Glück bringen, pflanzt man einen an.

Frankfurt ist die Stadt der Träumer, eine Stadt der elektrischen Luft. Geht man zur rechten Zeit durch die Straßen, am Römer, im Gallus, am Mainesstrand, macht seinen Kopf frei und das Herz auf, kann man das Knistern hören. Das Flattern der Fahnen in den Fenstern, die Gespräche an den Wasserhäuschen, U-Bahn-Stationen, Parkbänken, das Klatschen der Bälle auf den Bolzplätzen, wo sich die Kinder für ein paar Stunden in Filip Kostic verwandeln, nur durch die Magie dieses Sports. Es ist die Summe tausender Stimmen, Stimmungen, ein großes Ganzes. Wie ein Flüstern, etwas, das man leise hört und umso lauter in einem widerhallt, als Druck auf der Brust, als erhöhter Pulsschlag, als Gänsehaut, wenn man schon wieder daran denkt, was man ja pausenlos tut: Eintracht Frankfurt steht im Europapokalfinale. Diese Zeit ist jetzt.

Fansein, diese selige Verrücktheit

Europacup in diesem Jahr, das erste Finale seit 1980. Man muss sich das vor Augen führen: 42 Jahre, das ist ein halbes Leben, wenn es gut läuft. Man kann dieses Finale epochal nennen und würde nicht übertreiben, die Bedeutung des Spiels übersteigt alles, was die allermeisten Anhänger je erlebt haben und werden. Deswegen das laute Knistern, diese ständig feuchten Augen, die immer so unruhigen Hände. Es ist eine Spannung, die sich über Wochen aufgebaut hat und doch schon Jahrzehnte zurückreicht. In Barcelona, gegen West Ham, und doch viel früher, in Meppen, gegen Burghausen. Als hätten alle Fans gemeinsam so lange auf etwas gehofft, Jahre, Jahrzehnte, dass es sich tatsächlich vor ihren Augen manifestierte, plötzlich greifbar und nur eine Armlänge entfernt: ein Europacup. In diesem Jahr.

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Live - Elfer-Drama! Eintracht gewinnt den Europa-League-Titel

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Man sieht diese Bedeutung in den Augen der Menschen. Das Leuchten, die Tränen, die Blicke, die ineinander Halt suchen. Fansein, diese selige Verrücktheit. Die Tausenden in Barcelona, ein Meer ausgestreckter Arme, vor dessen Brandung Filip Kostic stand und lächelte. Der Schlusspfiff gegen West Ham, bei dem, wie auf Kommando, erwachsene Menschen zu weinen begannen. Fans, die beim Platzsturm kleine Stücke Rasen aus dem Feld gruben und sie anschließend in der flachen Hand durch den Abend trugen, vorsichtig, wie die Kostbarkeiten, die sie sind.

Wir schenken euch unsere Herzen und ihr schenkt uns den Sieg

Eintracht Frankfurt steht im Europapokalfinale, das wäre lange Jahre ein Satz gewesen, der kaum Sinn gemacht hätte. Eine Lüge, ein böser Scherz, ein Wunschtraum, den zu träumen lächerlich gewesen wäre. Aber Realität? Sicher nicht. Eintracht Frankfurt, das war doch allzu oft der Klub, an den man sein Herz hängte, und ein 0:0 im Bundesliganiemandsland zurückbekam. Wir schenken euch unsere Herzen und ihr schenkt uns den Sieg, das singen die Fans schon so lange. Der zweite Teil des Satzes blieb oft ein frommer Wunsch. Und jetzt?

Frankfurt, das ist die Stadt des tiefen Durchatmens. Der ungläubigen Blicke. Die Stadt des Kopfkratzens, der Frage: Was ist eigentlich passiert? - die ohne echte Antwort bleibt. Denn was ist denn passiert, wenn nicht etwas Unerklärliches, Unvorhersehbares? Der Verein hat sich innerhalb weniger Jahre auf den Kopf gestellt, nicht weniger, und weil das niemand kommen sah, das Leben seiner Fans gleich mit. Die Stadt des steinigen Wegs. Des Doch-Nochs. Der Totgesagten. Des Lauf-Mijat-Lauf.

Schon auf den Pokalsieg warteten die Fans 30 Jahre lang, auch das ist ein halbes Leben, läuft es weniger gut. Zeit, die einem zwischen den Fingern zerrinnt, ohne dass man es merkt. Aber so ist das. Man geht die Stadiontreppen hoch und man geht sie wieder runter. Sieht seine Leute, lernt neue kennen, andere gehen, Tage, Wochen, Jahre, das Leben mal hier und mal da. Verliert hier und gewinnt dort. Sieht die Spiele, ärgert und freut sich, spricht mit seinen Liebsten, Vater, Mutter, Freunde, Kinder, hast du die Eintracht gesehen?

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"Jetzt wollen wir das Ding gewinnen!" - Gänsehaut-Teaser zum Eintracht-Finale

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Ein Tag noch, Europacup in diesem Jahr, das Knistern wird lauter

Und natürlich haben sie. So wird ein Leben draus, mit einer gemeinsamen Leidenschaft, etwas, das wie ein Geländer da ist, und an dem man sich festhalten kann, wird der Weg, den man geht, auch mal uneben. Und das ist er ja oft, im Leben und im Sport. Rostock, Heynckes, ein kollektives Trauma. Abstiege, Aufstiege, Jahre wie in Zeitlupe, und dann lauf, Mijat, lauf. Ein Tor, das das Leben so vieler Fans in ein Davor und ein Danach teilte. Davor, als all das, was man jetzt erlebt, unmöglich schien. Und danach, als Frankfurt plötzlich die Stadt mit dem Pokal war. Als sich alles Warten plötzlich gelohnt hatte, einfach so. Die Stadt der Träumer, die das Träumen schon verlernt hatten. Und in der nun nicht unmöglich scheint, dass sie bald, ganz bald, die ganze Stadt, wieder am Römerberg zusammenkommt.

Ein Tag noch, Europacup in diesem Jahr, das Knistern wird lauter. Frankfurt ist die Stadt der Vorfreude, des Lieder-vor-sich-Hinsummens. Stadt des Bangens und Hoffens, der kalten Schauer über Rücken, des Auf-Holz-Klopfens, Stadt der Glücksbringer und Spieltagsrituale, der verstohlenen Blicke, kann das wirklich passieren? Eine Stadt des Fiebers, wie in Trance, jeden Fan gibt es dieser Tage zweimal, weil alle neben sich stehen. Eintracht Frankfurt steht im Europapokalfinale, ein Gedanke gewordener Dopaminschauer, hunderttausendmal am Tag. Ein Ausnahmezustand, gegen den nichts hilft.

Außer vielleicht: Einen Orangenbaum pflanzen. Tief einatmen. Das Knistern hören. Und dann den Cup holen, natürlich.

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Eintracht Frankfurt - Fans unterwegs nach Sevilla | hessenschau Sport vom 16.05.2022

hessenschau 1605.2022
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