Nach Fan-Party im Camp Nou Eintracht stürzt Barcelona in tiefe Identitätskrise

Fan-Proteste, Rücktrittsforderungen gegen den Präsidenten und ein neues Ticketsystem: Der Auftritt der Frankfurter Anhänger im Camp Nou bewegt den großen FC Barcelona immer noch. Er wollte Touristen und bekam stattdessen echte Fans zu Besuch.
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Die magische Eintracht-Nacht in Barcelona

Die annähernd 30.000 Eintracht-Fans beim Europa-League-Rückspiel hätten theoretisch auch einfach im Camp Nou durchfeiern können. Beim folgenden Heimspiel von Barcelona am Montag gegen Cadiz (0:1-Niederlage) erschienen in der großen Schüssel nur 57.000 Zuschauer. Die Frankfurter hätten mit einer "After-Show-Party" also genügend Platz gehabt.
Doch auch ohne die physische Anwesenheit ist der Auftritt der Eintracht-Fans noch immer allgegenwärtig in Barcelona. Nach ihrer Feier im Camp Nou kündigte Barcas Präsident Joan Laporta an, künftig bei internationalen Partien nur noch personalisierte Tickets verkaufen zu wollen. Er steht nicht nur deswegen aber selbst im Mittelpunkt der Kritik und könnte gar um sein Amt bangen.
Fan-Bündnis spricht von einer "Demütigung"
Am Montag demonstrierten bis zu 200 Fans gegen ihn, "Laporta Rücktritt" und "Barça, das sind wir" sangen sie immer wieder. Das Bündnis "Nostra Ensenya" bezeichnte die große Zahl der Frankfurt-Fans in einem Eintrag auf Instagram als "Demütigung" und warf Laporta vor, die "körperliche Unversehrtheit" der Heim-Fans "in Gefahr" gebracht zu haben. Dabei waren es eher die Spanier, die Eintrachtler wie Ex-Spieler Martin Fenin attackierten.
"Ich schäme und entschuldige mich. Das wird nie wieder passieren. Wir haben Informationen darüber, was passiert ist. Es ist empörend und beschämend. Wir werden handeln und das erklären", zitierten spanische Medien Laporta direkt nach dem Ausscheiden im Hinblick auf die vielen Gäste-Fans. Am Dienstag beraumte er eine Pressekonferenz ein, in der er sich bei den Barcelona-Stadiongängern entschuldigte, die sich durch die "massive Präsenz der deutschen Fans unwohl gefühlt haben".
"Wir werden in internationalen Spielen und auch in einigen besonderen Partien auf personalisierte Tickets umstellen", sagte er und betonte, dass es 27.201 Ticketanfragen aus Deutschland gegeben habe und damit das System überfordert gewesen sei. Organisierte Händler hätten dann die Karten weitergegeben. "Wir tragen keine Schuld, aber die volle Verantwortung für den Vorfall." Eintrachts Vorstand Axel Hellmann hatte am Montag im hr-heimspiel! davon berichtet, dass Laporta ihn über die Gründe für die Begeisterung der Frankfurter ausgefragt habe.
Dauerkarten-Besitzer durften aussetzen
Der Autor Sid Lowe, ein Kenner des spanischen Fußballs, schrieb für ESPN eine kluge Analyse der Ticket-Situation in Barcelona. Der Klub hat 85.000 Dauerkartenbesitzer, aber nur eine durchschnittliche Zuschauerzahl von 55.000. Barcelona stellte während der Corona-Pandemie den Jahreskartenbesitzern frei, ein Jahr lang auszusetzen. Das mochte wie ein honoriger Akt ausgesehen haben, brachte dem finanziell hoch verschuldetem Klub aber die Möglichkeit, durch Einzelverkäufe der Sitzplätze insgesamt mehr einzunehmen als durch den Preis der Dauerkarten.
Sehr viele der verbliebenen Dauerkarten-Besitzer nutzten am Donnerstag die Möglichkeit, ihre Karte an SGE-Fans zu veräußern. Das Spiel hatte für sie eben nicht die gleiche Bedeutung wie für die Frankfurter. Auf der anderen Seite waren Barcelonas Anhänger nicht bereit, für ein Spiel in der Europa League gegen einen bis dahin weitgehend unbekannten Gegner so viel Geld für Karten zu bezahlen. Das erscheint angesichts des Anspruchs des Klubs und der horrenden Preise legitim. Gegen Cadiz, so twitterte es der Account @beves_welt, wurden bis zu 209 Euro für einen Platz verlangt.
Der Klub schneidet sich ins eigene Fleisch
Laporta hatte nach der Partie gegen Frankfurt außerdem gesagt: "Die 34.000 Karten im freien Verkauf konnten die Deutschen nicht kaufen, weil sie nicht mit einer deutschen Kreditkarte oder IP erworben werden konnten." Doch da unterschätzte er die Kreativität der Frankfurter: Nicht wenige baten spanische Bekannte, die Tickets mit ihrer Kreditkarte zu buchen, oder nutzten Anbieter, die die IP-Adresse verschleiern. Ein weiterer Denkfehler des Präsidenten wäre nun die Einführung personalisierter Tickets, die vor allem den eigenen Fans schaden würde.
Natürlich könnte der Klub damit eine Fan-Party der Gastmannschaft in Zukunft verhindern, im regulären Betrieb ist der Verein aber auf den Weiterverkauf der Karten angewiesen, will er nicht zu viele leere Plätze im Camp Nou sehen. Barcelona profitiert vom Einnahmemodel der "Touristen" im Stadion, die nur einmal das große Stadion sehen wollen oder zu Besuch in der Metropole sind. "ESPN" schrieb dazu treffend:
„Es hat System, Tickets für höhere Preise an "Touristen" zu verkaufen. (...) Doch am Donnerstag kamen keine "Touristen", sondern echte Frankfurter Fans, treu und laut, die ihrem Team in Massen folgen für eine unvergessliche Nacht. Und das war am Ende das Besondere; ein einzigartiger Abend, der genau eine solche Feier der Frankfurter verdiente.“Zitat Ende
So schlittert der große FC Barcelona in eine Identitätskrise; lokale Medien schreiben, er befinde sich in einem "schwarzen Loch". Barca umwarb jahrelang die Tagesausflügler und vermarktete dabei den Stadionbesuch als "einzigartiges und unvergessliches Erlebnis" für einen Fußball-Fan. Man kann sagen: Genau das haben die Anhänger von Eintracht Frankfurt absolut ausgekostet.