Fans von Kickers Offenbach.

Die Mannschaft stagniert in der Regionalliga Südwest, doch die Fans der Offenbacher Kickers machen immer wieder bundesweit von sich reden. Vor allem durch das humor- und liebevoll gestaltete Fanzine "Erwin". Zur 100. Ausgabe sprachen wir mit Gründer Volker Goll über emotionale Momente und ein besonderes Treffen.

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Volker Goll: "Der OFC ist ein Mitmachverein"

Volker Goll beim Heftverkauf.
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Im Winter 1994 starteten Fans das unabhängige OFC-Fanzine "Erwin", das auch durch seine ausgefallenen Cover und ironischen Texte zu einem echten Dauerbrenner in der bundesweiten Fanlandschaft wurde. Nach einer Pause kehrte das Heft im Jahr 2013 zurück. Die Ehrenamtler feierten nun die 100. Ausgabe - und trafen dafür den Namensgeber Erwin Kostedde. Gründungsmitglied Volker Goll spricht im Interview auch über die aktuelle Situation der Kickers nach dem Trainerrauswurf.

hessenschau.de: Volker Goll, beim Heimspiel gegen Homburg erschien die 100. Ausgabe von "Erwin". Konnten Sie trotz der Niederlage das Jubiläum feiern?

Goll: Eigentlich ist die Feier genau deswegen ausgefallen, was sehr schade war, weil wir mit nun 104 Seiten so viel Aufwand in diese Ausgabe investiert hatten. So überwog mehr der Stress, auch wenn uns die vielen positiven Reaktionen beim Verkauf vor dem Stadion wieder entschädigt haben. Dieser persönliche Kontakt und dieses Feedback sind im Grunde der Motor für uns.

hessenschau.de: Wie viel Arbeit steckt in einem Heft?

Goll: Wir sind elf Leute plus einzelne, die mal einen Beitrag verfassen. Wir sind alle Ehrenamtler und für ein Heft sicher so vier Wochen in Aktion. Wenn es dann in die Schlussproduktion, ums Layout geht, die Zeitungen an der Wand hängen und wir die Überschriften raussuchen - dann sind wir schon zwei Wochen lang abends bis Mitternacht zu Gange. Ein Vorteil ist: Wir kennen uns alle seit vielen Jahren, manche sogar seit 1994.

Erwin 100

hessenschau.de: Warum engagieren Sie und die anderen sich so sehr, obwohl es sportlich immer wieder Nackenschläge gibt?

Goll: Ich engagiere mich für den OFC und das Magazin, so wie ich mich zum Beispiel auch gegen den Klimawandel engagiere. Nichts zu tun ist keine Alternative. Dem OFC geht es nicht gut, der Welt geht es nicht gut, aber man muss was machen und seinen kleinen Teil zur Besserung beitragen. Ich denke sowieso, dass der OFC nur als Mitmachverein funktioniert - auch wenn das diverse Vereinsführungen nicht erkannt haben. Hier steckt eine Menge Arbeit und Kreativität von Ehrenamtlichen drin und wenn dieser Schatz mal gehoben wird, kommen wir zusammen weiter. Wir als "Erwin" wollen ein bisschen Stimmung heben, auffangen oder einfach widergeben.

hessenschau.de: Zwischendurch pausierte das Heft sechs Jahre lang. Warum kehrten Sie und Ihre Mitstreiter ausgerechnet in der dunklen Stunde des Clubs beim Lizenzentzug 2013 zurück?

Goll: Rund um 2007 waren wir alle etwas erschöpft, durch Familie und Kinder hatten sich die Lebensumstände geändert. 2012 wurden wir dann von Studenten zu einem Interview gebeten, um über "Erwin" zu erzählen. Dabei sagten uns die Leute immer wieder: Ihr müsst doch weitermachen! In jenem Sommer machte sich eine gewisse Dynamik breit, eine Welle der Solidarität mit dem Klub. Beim Trainings-Casting erschienen viele Fans wie auch beim ersten Punktspiel, um dem Klub und den neuen Spielern ihre Unterstützung zuzusichern. In diesem Zuge lebte auch "Erwin" wieder auf, als kritische, aber gleichzeitig humorvolle Stimme.

hessenschau.de: Welche waren Ihre Highlights der 100 Ausgaben?

Goll: Im November 1996 spielte der OFC sonntagsmorgens in Flieden, weswegen wir einen Wochenendausflug dorthin planten. Die Idee kam so gut an, dass immer mehr Fans sich anschlossen und wir somit alle umliegenden Unterkünfte ausbuchten. Irgendwie bekam die Fuldaer Polizei Wind davon, fürchtete kurioserweise eine "Hooligan-Invasion" und warnte die Einheimischen wie die Herbergen-Besitzer. Nichts davon war der Fall, wir feierten hingegen so eine gute Party, dass der Wirt des "Gasthauses zum Ochsen" die OFC-Fans in einer eigens geschalteten Zeitungsanzeige als "Förderer der lokalen Wirtschaft" lobte. Und wir hatten unser Motto gefunden: "Wir Flieden Euch Alle!""

hessenschau.de: Und welche Highlights gab es im Heft?

Goll: Es gab mal ein Interview mit Manni Binz, das wir eins zu eins so abgetippt haben, weil er so authentisch erzählte. Unter anderem wie er bei einem geplanten Transfer nach Italien plötzlich glaubte, die Einheimischen würden ihn entführen wollen. Bei sehr vielen Gesprächen öffneten sich die Interviewten aber auch erst, wenn die Aufnahme beendet war. Mein Highlight war aber nun das Interview mit Erwin Kostedde für die Ausgabe 100. Wir haben ihn damals als Namensgeber erkoren, weil er den OFC symbolisierte, das Auf und Ab, aber auch weil wir ein Statement gegen Diskriminierung setzen wollten. Heute erzählt er in Filmen und Büchern über sein Leben, wir hatten aber schon 1994 das Gespür für seine besondere Vita. Da hat sich für uns nun ein Kreis geschlossen.

Die Redaktionsmitglieder Antje Hagel und Steffie Wetzel beim Heftverkauf 1996.

hessenschau.de: Was machte das Treffen mit Kostedde so besonders?

Goll: Mir wurde noch einmal richtig bewusst, wie sehr die Hautfarbe ein Thema war und ist. Auch bei ihm hatte ich das Gefühl, dass er viele Erniedrigungen damals einfach weggesteckt hat und nun vieles erst von ihm verarbeitet wird. Kostedde hat auch sehr persönliche Einblicke gegeben, beispielsweise zum Tod seiner Frau. Es kam mir vor, als würden wir uns schon sehr lange kennen.

hessenschau.de: Das Magazin "Erwin" ist bundesweit bekannt, gleichzeitig gibt es immer weniger Fanzines. Glauben Sie, dass das Medium weiterhin eine Zukunft hat?

Goll: Wenn es weiterhin Leute gibt, die sich ehrenamtlich diese Mühe machen, dann ja. Auch die Ultras erstellen unglaublich viele Magazine, also wird immer noch viel über Fankultur geschrieben und gelesen. Gleichzeitig symbolisiert es die gute alte Zeit - genauso wie das Stadionheft. Ich glaube, dass das gerade in Offenbach eine gewisse Bedeutung hat.

hessenschau.de: Abschließend müssen wir über die aktuelle sportliche Situation reden. Nach dem Erscheinen der 100. Ausgabe wurde der Trainer entlassen...

Goll: (lacht) Wie haben wir das nun wieder geschafft!? Das Kuriose ist, dass wir genau in dieser Ausgabe eine Aufarbeitung der Trennungen von Sreto Ristic und Thomas Sobotzik vorgenommen haben. Die Meinungen gehen da auseinander, weil wir in der Redaktion die OFC-Spiele auch nun aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrnehmen. Ich zum Beispiel fand Ristic sehr angenehm, er agierte zurückhaltend und hatte auch Erfolg. Bei seinem Nachfolger Alexander Schmidt mochte ich die offensive Attitüde mit Fußballer-Macho-Sprüchen nicht wirklich. Wir brauchen nun einen Trainer mit großem Sachverstand, der auch die Liga kennt. Wenn die Situation etwas Positives hat, dann: Die Mannschaft hat jetzt keine Ausreden mehr! Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Aber wir kennen das ja beim OFC: Man taumelt von einem Dilemma ins nächste.

Das Gespräch führte Ron Ulrich.