Joachim Wagner Portrait.

Aktuell befindet sich Fußball-Regionalligist Kickers Offenbach wieder im Krisenmodus. OFC-Präsident Joachim Wagner äußert sich zur sportlichen Lage, dem neuen Geschäftsführer, Interimstrainer Alfred Kaminski und zu seiner eigenen Zukunft. 

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OFC entlässt Trainer Schmidt

Alexander Schmidt
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Die neue Saison in der Regionalliga ist erst neun Spieltage alt. Und Kickers Offenbach? Sucht schon wieder einen neuen Trainer. Präsident Joachim Wagner ist als starker Mann des Klubs erneut gefordert. Im Interview mit dem hr-sport äußert er sich zur schwierigen Situation beim OFC. 

hessenschau.de: Joachim Wagner, nach einer turbulenten Woche mit der Entlassung von Trainer Alexander Schmidt setzte sich der OFC im Krisenduell der beiden hessischen Klubs in Kassel durch. Wie viele Steine sind Ihnen vom Herzen gepurzelt?

Joachim Wagner: Der Sieg in Kassel war eine große Erleichterung für das gesamte Umfeld. Wir waren vor dieser Partie selbst unser größter Feind. Es war deshalb hilfreich, dass wir in Kassel gewonnen haben. Wir haben unseren ersten Auswärtssieg geholt und erstmals zu Null gespielt. Am Ende war entscheidend, dass wir viel Kampf, Willen und Charakter gezeigt haben. Darauf gilt es jetzt aufzubauen.  

hessenschau.de: Der Saisonstart ging trotz dieses wichtigen Sieges mächtig in die Hose. Nach einem 1:2 gegen Homburg wurde die Reißleine gezogen und Schmidt entlassen. Nennen Sie uns die Gründe für diesen Schritt.

Wagner: Eine Gegenfrage: Was denken Sie, welchen Tabellenplatz wir letzte Saison zu diesem Zeitpunkt bekleidet haben und wie viele Punkte wir hatten?

hessenschau.de: Verraten Sie es uns...

Wagner: Wir hatten vor genau einem Jahr dieselbe Punktausbeute und de facto denselben Tabellenplatz wie heute auch. Das macht unseren Start nicht besser, aber die Wahrnehmung ist eine andere.  

hessenschau.de: Dennoch können Sie mit 14 Punkten aus neun Partien nicht zufrieden sein.

Wagner: Unser Start ist - ohne Zweifel - nicht gelungen. Wir haben uns etwas anderes vorgestellt. Wir haben teilweise unglückliche Niederlagen gesehen, in denen die Mannschaft 90 Minuten auf ein Tor gespielt und der Gegner im Umkehrschluss dann seine einzige Chance genutzt hat. Und insgesamt hat auch die Stabilität in unserem Spiel gefehlt. Dafür gab es sicherlich viele Gründe. Aber entscheidend war in der Endabrechnung, dass einiges nicht gepasst hat. Wir mussten deshalb ehrlich zu uns selbst sein, und die Konsequenz daraus ziehen.

hessenschau.de: Geschäftsführer Matthias Georg ist erst seit wenigen Monaten im Amt und musste schon sehr früh eine solche Entscheidung treffen. Ist Georg dadurch geschwächt?  

Wagner: Nein, Matthias Georg ist dadurch nicht geschwächt. Es wäre nicht fair, ihm die Entlassung von Alexander Schmidt alleine anzukreiden. Er ist nicht angeschossen und wird von uns auch nicht in Frage gestellt.  

hessenschau.de: Alfred Kaminski sprang gegen Kassel ein. Er kennt den OFC schon länger, war von 2014 bis 2015 Sportdirektor und seit Januar 2020 Leiter des Nachwuchsleistungszentrums. Wie haben Sie ihn in den vergangenen Tagen erlebt?

Wagner: Alfred Kaminski ist beim OFC sehr nah dran, er war zuvor schon in verschiedene Prozesse eingebunden. Er wurde deshalb nicht ins kalte Wasser geworfen. Er kannte die Mannschaft und wusste alles über die Spieler. Kaminski ist ein Fußballlehrer. Er wusste daher im ersten Schritt ganz genau, wo er ansetzen musste, um Spaß und Lockerheit in die Mannschaft zu bringen. Das ist ihm gelungen. Auch seine Umstellungen gingen auf.

hessenschau.de: Führen bedeutet für Alfred Kaminski, gradlinige Kommunikationswege innerhalb des Vereins zu erstellen und deren strikte Einhaltung durchzusetzen. Zur Verfolgung der gesetzten Ziele scheut er sich nicht vor unbequemen Maßnahmen. So lautet eines der Prinzipien auf seiner eigenen Homepage. Hat Kaminski nicht das gewünschte Profil?

Wagner: Alfred Kaminski ist ein absolut wichtiger Bestandteil von Kickers Offenbach. Er hat im Nachwuchsleistungszentrum sehr gute Arbeit geleistet. Das sieht man beispielsweise an der Anzahl der Jugendspieler, die in den letzten Jahren den Weg in die erste Mannschaft und darüber hinaus gefunden haben. Und wir haben vollstes Vertrauen in ihn auch in seiner aktuellen Funktion. Daher wird er in unseren sportlichen Überlegungen, in welcher Funktion auch immer, eine wichtige Rolle spielen.

hessenschau.de: Doch schauen wir einmal auf die finanzielle Lage: Ex-Geschäftsführer Thomas Sobotzik und Ex-Coach Sreto Ristic wurden entlassen, auch bei Schmidt wird eine Trennung Geld kosten. Wie sehr schmerzen diese Entscheidungen?

Wagner: Natürlich schmerzen Trennungen finanziell, übrigens nicht nur finanziell. Aber die Situation erforderte diese Maßnahme. So bitter die Entscheidungen auch waren, wir sind überzeugt davon, dass wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Wir haben aber darauf geachtet, dass die Trennung von Alexander Schmidt mit überschaubaren Kosten verbunden ist. Schmidt steht damit nicht mehr auf unserer "Payroll".

hessenschau.de: Am Freitag kommt mit SG Barockstadt Fulda-Lehnerz der Euphorie-Aufsteiger schlechthin auf den Bieberer Berg. Sieht man deren Zuschauerschnitt, dann wird es wohl auch einen ordentlichen Gästeblock geben. Wie angespannt sind Sie vor diesem Duell?  

Wagner: Ich habe großen Respekt vor der Arbeit der SG Barockstadt Fulda-Lehnerz. Als Aufsteiger mit dieser Euphorie eine solche positive Serie hinzulegen, ist außergewöhnlich. Für diese Arbeit kann ich nur allerhöchsten Respekt zollen. Wir müssen aber primär auf uns schauen und unsere Qualitäten abrufen. Ich freue mich sehr auf dieses Duell auf dem Bieberer Berg.

hessenschau.de: Von der individuellen Qualität her ist Kickers Offenbach natürlich überlegen...

Wagner: Fußball ist aber ein Mannschaftssport. Und Fulda-Lehnerz tritt als Team in dieser Saison bislang sehr gut auf. Aber wie gesagt, wir müssen auf uns schauen und unsere individuelle Qualität abrufen. Ich bin überzeugt davon, dass Alfred Kaminski die Mannschaft gut auf das Spiel vorbereitet.  

hessenschau.de: Alfred Kaminski wird also auch gegen Fulda-Lehnerz definitiv an der Seitenauslinie stehen?

Wagner: Ja, definitiv. Wir werden bei der Trainersuche die notwendige Sorgfalt walten lassen.

hessenschau.de: Auch wenn die Tabelle aktuell neun Punkte Rückstand auf Ulm aufzeigt: Die Saison hat noch 25 Spieltage, auch der OFC könnte theoretisch noch 75 Zähler holen. Darf man da das gesteckte Ziel Aufstieg überhaupt schon abhaken?

Wagner: Nach unserem Start und den Unruhen der Vorwoche müssen wir uns zunächst stabilisieren. Bis zur Winterpause sollten wir die Gedanken über die tabellarische Situation beiseitelegen. Ich bin von dieser Phrase eigentlich kein Freund, aber aktuell müssen wir wirklich von Spiel zu Spiel schauen und uns finden. Der Rest kommt von selbst.  

hessenschau.de: Sie sind seit 2019 Präsident des OFC. Am Ende ging immer etwas schief, der Klub hechelt dem Traum 3. Liga inzwischen seit zehn Jahren hinterher. Woher nehmen Sie die Motivation, noch immer weiterzumachen?  

Wagner: Es ist auch eine Frage des Pflichtbewusstseins. Ich stelle mir die Frage: Wie würde es bei den Kickers weitergehen, wenn wir als Präsidium plötzlich aufhören? Leider überwiegt bei uns im Umfeld aktuell das Negative, das raubt einem unnötig viel Energie. Aber natürlich habe ich Dinge, die in meiner Amtszeit passiert sind, Revue passieren lassen. So schön und toll die Wucht des Vereins sein kann, in manchen Phasen ist diese Wucht auch kontraproduktiv. Wenn ich Klubs wie Elversberg, Paderborn, Sandhausen oder Heidenheim sehe: Ich möchte nicht mit ihnen tauschen, aber wenn dort etwas schiefläuft, dann haben diese Vereine eine unheimliche Ruhe.

hessenschau.de: Bei Traditionsvereinen, zu denen der OFC gehört, weht nach drei Niederlagen ein anderer Wind...

Wagner: Richtig. Das sehen wir auch bei Traditionsvereinen wie Hamburg oder Schalke. Es geht an einer Mannschaft nicht spurlos vorbei, wenn schon nach zwei oder drei Spieltagen Trainerdiskussionen beginnen. Das kann auch Auswirkungen auf die Leistung der Spieler haben.

hessenschau.de: Haben Sie dafür eine Erklärung?

Wagner: Fußballer lesen in den sozialen Netzwerken, was über sie geschrieben wird. Und was Menschen aus der Anonymität schreiben, kann Spieler auch verunsichern. Wir reden über Menschen mit Emotionen und nicht über Maschinen. Spieler kommen zum OFC, sie wollen sich weiterentwickeln und verfolgen das Ziel, einen großartigen Traditionsverein weiterzubringen. Dann lesen sie teilweise Dinge über sich, und das kann einigen schon den Stecker ziehen. Das ist natürlich nicht nur das Problem von Kickers Offenbach. Es ist leider die Zeit, aber gut oder hilfreich ist das ganz und gar nicht.

hessenschau.de: Trotz dieser ganzen Probleme: Ein Hinschmeißen beim OFC kommt Ihnen überhaupt nicht in den Sinn?

Wagner: Das steht nicht auf meiner Agenda. Es geht letztendlich aber nicht nur um mich, sondern um das ganze Präsidium. Wir fühlen uns dem OFC gegenüber verpflichtet. Aber vergnügungssteuerpflichtig, so ehrlich bin ich, ist das in der aktuellen Lage sicherlich nicht.

Das Gespräch führte Christopher Michel.