Blindenfußball-EM Marburg

Am Freitag startet die Europameisterschaft im Blindenfußball. Im Kader der deutschen Nationalmannschaft sind vier Spieler der Sportfreunde Blau-Gelb Blista Marburg. Das deutsche Team will sich in Europas Spitze spielen.

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Vier Hessen bei Blinden-Fußball-EM

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Der Marburger Spieler Alican Pektas ist von Geburt an blind, den Fußball streichelt der 29-Jährige aber besser als die meisten sehenden Menschen. Mit kurzen schnellen Schritten löst er sich im Trainingsspiel von seinem Gegenspieler, steht mit dem Rücken zum Tor und wird angespielt. Pektas nimmt den rasselnden Ball an, dreht sich sekundenschnell auf dem Absatz und schießt mit links. Nationaltorhüter Sebastian Themel, der sehen kann, hechtet, lenkt den Ball ins Toraus.

Mit der deutschen Nationalmannschaft hat er sich in Marburg auf die Europameisterschaft in Italien vorbereitet. Zehn Teams treten ab dem 10. Juni in Pescara gegeneinander an. "Das eigene Land vertreten zu dürfen, würde ich als Privileg bezeichnen", sagt Blindenfußballer Pektas. Deutschland will ins Halbfinale kommen und sich so für die Weltmeisterschaft qualifizieren. Dazu muss das Team von Bundestrainer Martin Mania in der Gruppenphase mindestens Platz zwei belegen. Doch da warten mit Titelverteidiger Spanien und England starke Gegner. "Wir wollen in die europäische Spitze reinstechen", sagt Mania.

So gut vorbereitet wie noch nie

Der 29-Jährige hat das Team Anfang 2021 übernommen und mit Unterstützung der Sepp Herberger Stiftung des DFB erstmalig intensiv auf ein internationales Turnier vorbereitet. Die deutsche Mannschaft reist ungeschlagen im bisherigen Pflichtspiel-Jahr an die Adria-Küste. Linksaußen Taime Kuttig war schon bei vielen Europameisterschaften dabei, hat gerade sein 75. Länderspiel absolviert. Der 29 Jahre alte Marburger Blindenfußballer traut dem Team etwas zu: "Ich glaube, das wird jetzt nochmal eine ganz besondere EM für uns, so eine gute Vorbereitung hatten wir noch nie."

Da die Spieler nichts sehen, kommt es beim Blindenfußball aufs Hören an. Im Ball sind Rasseln, so wissen alle immer, wo die Kugel gerade ist auf dem Platz. Unverzichtbar ist auch die Kommunikation. Wer sich dem ballführenden Spieler nähert, muss laut "voy" rufen – das ist spanisch für "ich komme" –, damit die Spieler nicht zusammenstoßen. Hinter den Toren stehen Guides, die den Stürmern zurufen, wo das Tor steht. Die Abwehr organisiert lautstark der Torwart, der sehen kann. Das Mittelfeld bekommt Infos vom Trainer an der Seitenlinie.

Fußballspielen ohne zu sehen erfordert Mut

Die Spieler sind blind, manche können zum Beispiel aber noch hell und dunkel unterscheiden. Deshalb bekommen alle Blindenfußballer mit Dunkel-Brillen und Augenpflastern die Augen verdeckt. So haben alle die gleiche Chance. Fußballspielen ohne zu sehen – das erfordert Mut, sagt Bundestrainer Mania: "Gerade als Stürmer, wenn du weißt, es stellt sich gleich ein Verteidiger in den Weg und du siehst es nicht wirklich kommen, hörst es aber."

Alican Pektas ist einer, der dahin geht, wo es wehtun kann. Bei der vergangenen EM lief er mit dem Ball über den gesamten Platz, dribbelte an allen Gegenspielern vorbei und erzielte das zwischenzeitliche 1:0 gegen Belgien. Deutschland gewann das Spiel 2:0 und wurde am Ende Siebter. Für den Erfolg in der Bundesliga und als Nationalspieler schuften Blindenfußballer fünf bis sechs Mal die Woche – neben dem Job oder dem Studium.

EM-Titel wäre die Kür

Fünf Deutsche-Meister-Titel hat Pektas bereits mit Marburg gewonnen. Ein internationaler Titel fehlt dem 29-jährigen aber noch. Europameister zu werden, wäre sein größter Traum, sagt er: "Zu wissen, dass der ganze Aufwand, den wir betrieben haben, sich gelohnt hat. Das wäre die Kür." Doch erst ist die Pflicht dran. Am 10. Juni startet die Deutsche Nationalmannschaft um 15 Uhr gegen Rumänien ins Turnier (hier geht's zu den Livestreams).

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