SVWW-Trainer Kauczinski im Interview "Wir müssen noch was draufpacken"

Der SV Wehen Wiesbaden hat den Aufstieg vor Beginn der Drittliga-Restrunde noch nicht abgeschrieben. Mut machen Trainer Markus Kauczinski vor allem der positive Trend und die enge 3. Liga.
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Kauczinski: "Es wird am Ende sehr eng sein"

Seit gut zwei Monaten ist Markus Kauczinski Cheftrainer beim SV Wehen Wiesbaden. Nach einem denkbar schlechten Start gab es vor der Weihnachtspause zwei Siege, das Team ist damit noch in Reichweite zu den Aufstiegsplätzen. Vor dem Start der Restrunde am kommenden Samstag (14 Uhr) bei 1860 München hat der hr-sport mit Kauczinski gesprochen.
hessenschau.de: Herr Kauczinski, Sie waren gerade mit Ihrer Mannschaft für eine Woche im Trainingslager in Spanien. Worauf lag dabei der Schwerpunkt?
Markus Kauczinski: Es war die erste Zeit, die man ohne ein Spiel vor der Brust trainieren konnte. Deswegen haben wir auch nur ein Testspiel gemacht. Wir sind innerhalb dieser Mini-Vorbereitung alles durchgegangen, angefangen von eigenem Ballbesitz - und dann die Arbeit gegen den Ball auch noch mal als Schwerpunkt, weil wir für mein Empfinden in dem Bereich auch noch am meisten Luft hatten. Dazu haben wir natürlich auch noch mal konditionelle Komponenten mit reingebracht. Ich bin froh, dass man mal am Stück und bei guten Bedingungen trainieren konnte. Das ist bei uns auf dem Halberg bei null Grad und Schnee auch nicht so einfach.
hessenschau.de: Welche Erkenntnisse haben Sie aus dem Testspiel-Sieg gegen Mechelen gewonnen?
Kauczinski: Dass alles ein bisschen enger zusammengerückt ist. Jeder Spieler ist anders, aber trotzdem geht es darum, einen gemeinsamen Kern zu finden, wie man spielen will. Ich glaube, dass wir uns in den Verhaltensweisen angenähert haben. Dass die Unterschiede, auch wenn man wechselt, am Ende vielleicht nicht mehr so groß sind. Es gilt ja, eine Handschrift zu erkennen. Und ich glaube, dass ich das im Spiel gegen Mechelen gesehen habe.
Wir hatten zuvor immer wieder Phasen im Spiel, wo wir uns leicht haben ausspielen lassen. Wo wir im Pressing gut standen, aber trotzdem individuell der ein oder andere immer wieder Lücken gelassen hat, sodass sich der Gegner rausdrehen konnte. Das hat mich unheimlich genervt. Und ich habe jetzt gegen Mechelen gesehen, dass das die Spieler verinnerlicht haben, wie sie sich individualtaktisch verhalten müssen, damit nicht alle umsonst laufen.
hessenschau.de: Da Sie erst seit Anfang November beim SVWW sind, hatten Sie mit der Kaderzusammenstellung im vergangenen Sommer natürlich nichts zu tun. Gibt es Ihrerseits Transferwünsche für den Winter - und wenn ja, für welche Positionen?
Kauczinski: Nicht wirklich. Ich wünsche mir, dass die Jungs sich verbessern und sie sich unverzichtbar machen. Als ich gekommen bin, hatte ich das Gefühl, ich kann den einen bringen oder ich kann den anderen bringen, jeder gibt sein Bestes, jeder ist etwas anders, aber irgendwie war das austauschbar. Bis auf Gustaf Nilsson, der durch seine Tore dafür gesorgt hat, dass man immer das Gefühl hat, dass er auch spielen muss, wenn er da ist. Ziel ist es, dass die Jungs jetzt Schritte nach vorne machen. Dass man ungern auf einen verzichtet, weil er besondere Fähigkeiten hat und diese auch konstant einsetzt.
Wir haben so eine große Anzahl an Spielern, dass ich eigentlich niemanden dazunehmen will, wenn er uns nicht wirklich verbessert. Das bedeutet, dass man auch erst mal jemanden abgeben müsste. Deshalb haben wir für uns entschieden, auf diesen Kader zu setzen. Möglicherweise macht man im Sturm noch was. Wenn Gustaf Nilsson fehlt, hat man dahinter wirklich eine Lücke. Das wäre das einzige, wonach wir schauen, ansonsten sind wir sehr zufrieden mit dem Kader und jetzt gilt es, damit zu arbeiten.
hessenschau.de: Einen Neuzugang gibt es dagegen im Trainerteam: Warum fiel die Wahl auf Kurtulus Öztürk als neuen Co?
Kauczinski: Mike Krannich hat uns kurzfristig verlassen und ist dem Ruf aus Ingolstadt gefolgt. Mit Kurtulus Öztürk haben wir jemanden, der schon Drittliga-Erfahrung hat, das war uns wichtig. Er braucht keine Anlaufzeit und kennt sich in der Liga aus. In den Gesprächen hatten wir alle das Gefühl, dass er zu uns passt.
hessenschau.de: Die ersten Spiele unter Ihrer Regie liefen nicht allzu gut, nach einigen fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen sagten sie damals "Ich habe langsam keinen Bock mehr"...
Kauczinski: Das war natürlich krass. Fehlentscheidungen gehören dazu, das weiß keiner besser als ich. Ich glaube, in meinem Leben hat es mich schon richtig getroffen, wenn ich an das Ding beim KSC gegen Hamburg denke, als es in der letzten Minute den Freistoß gegen uns gab, der den Aufstieg gekostet hat. Man lernt irgendwann, damit zu leben, und weiß, dass manche Dinge für den Schiedsrichter auch wirklich schwer sind. Aber drei spielentscheidende Dinge hintereinander, da sitzt du in Mannheim in der Kabine und kommst dir schon einfach verarscht vor.
Und du siehst, wie enttäuscht die Jungs sind, die viel eingesetzt haben. Da hast du dann einfach keinen Bock mehr. Wenn du verlierst, weil du schlechter bist, dann ist das so. Aber das war dann schon schwer, auch der Mannschaft gegenüber, einfach so zur Tagesordnung überzugehen. Man kann am Ende nichts machen und muss auch das hinnehmen. Und trotzdem war es einfach ein Scheißgefühl, so eine Machtlosigkeit zu haben.
hessenschau.de: Wie holt man sich diesen Bock zurück?
Kauczinski: Am Ende geht es doch weiter. Wir haben versucht, Kraft daraus zu ziehen und es irgendwie abzuhaken. Das Spiel gegen Waldhof Mannheim war zum Beispiel das beste bis dahin. Der Start war mit dem Pokalspiel natürlich denkbar schlecht, dann das Spiel gegen Kaiserslautern, das wir verloren haben, das ich aber eigentlich nicht schlecht fand. Wir haben schon gesehen, dass wir nicht so viele Chancen nach vorne rausspielen. Aber in den Verhaltensweisen defensiv war es für mich schon ein Schritt nach vorne. Die zwei Unentschieden und zwei Siege haben das eigentlich bestätigt. Da muss man immer differenzieren.
Wenn ein Spiel gut ist, man macht nur das Tor nicht oder der Gegner nutzt vielleicht diese eine Chance mehr, kann ich ja trotzdem zufrieden sein. Genau wie umgekehrt, dass ich mit dem Freiburg-Spiel gar nicht so zufrieden war, obwohl wir gewonnen haben. Das war in der zweiten Halbzeit phasenweise nicht das, was ich möchte. Und trotzdem haben wir gewonnen. Für mich ist wichtig, dass ich immer einen Fortschritt gesehen habe.
hessenschau.de: Aber die Siege kurz vor Weihnachten müssen fürs Gefühl doch unglaublich wichtig gewesen sein.
Kauczinski: Die beiden Siege am Ende waren natürlich gut. Auch gegen Halle zu sehen, dass die Jungs unbedingt gewinnen wollten. Mir ist eine Szene hängengeblieben, als wir das 1:1 machen und Gustaf den Ball aus dem Tor und die Mannschaft zum Mittelpunkt zurückholt. Dieses Gefühl, dass die Mannschaft gewinnen will, das ist mir wichtig. Diese Einstellung hat mir einfach gefallen. Das war für mich dieser Schritt nach vorne. Die dritte Liga ist so ausgeglichen, da sind acht oder neun Mannschaften in der Lage, Zweiter oder Dritter zu werden. Magdeburg nehme ich mal aus, die haben so viele Punkte, die wird man wahrscheinlich nicht mehr einholen. Aber danach sehe ich ein großes Feld an Mannschaften, die alle irgendwie ähnlich sind.
Das heißt, dass es immer noch irgendeine Chance gibt. Und dafür musst du was Besonderes entwickeln. Wir haben jetzt 30 Punkte mit dem ersten Spiel der Rückrunde. Wenn ich das verdoppele, wird das nicht reichen. Also muss für uns klar sein: Wir müssen noch was draufpacken. Wir müssen noch irgendwas verändern, an Spirit oder daran, wie wir unsere Tore machen. Denn ich glaube, dass die Mannschaft schon ein Niveau hat wie acht oder neun andere Teams auch, sodass es auch möglich sein muss, Punkte vielleicht aufzuholen. Das haben wir uns vorgenommen. So schwer sich das vielleicht anhört, aber ich glaube, dass es immer noch eine Chance gibt.
hessenschau.de: Das Ziel ist also der Aufstieg?
Kauczinski: Erst mal: gut zu spielen und oben mitzuspielen. Die beiden Siege waren wichtig, um zu sehen: Man kann das. Wenn man nur erzählt und ich es am Ende nicht auf dem Platz sehe, dann wird es natürlich irgendwann schwer. Ich habe gesehen, dass die Mannschaft Fähigkeiten hat und ich habe gesehen, dass die Mannschaft will. Am Ende wird es so eng sein, dass ein oder zwei Ergebnisse den Ausschlag geben, ob du vielleicht Zweiter oder Fünfter wirst.
Wichtig ist für mich erst mal: Wir haben eine schlechtere Ausgangsposition als andere, aber trotzdem das Gefühl zu haben, dass wir alles dafür tun und es vielleicht eine Außenseiterchance gibt, die man wahrnehmen kann. Ich glaube immer noch dran, dass du in diesem engen Feld was reißen kannst. Ob das dann am Ende reicht, das kann dir keiner sagen, weil es wirklich ganz eng wird.
hessenschau.de: Am Samstag startet für den SVWW die Restrunde mit dem Spiel bei 1860 München, das nur einen Punkt hinter Ihnen steht. Ist 1860 Ihrer Meinung nach auch noch ein Kandidat für die vorderen Plätze?
Kauczinski: Schon, weil sie einfach einen guten Kader haben. Sie können auch mal Ausfälle kompensieren und haben eine spielstarke Mannschaft. Sie haben ihren Spielstil ein bisschen verändert und damit wieder in die Spur gefunden. Das wird ein Duell auf Augenhöhe und auch eines, das schon zeigt, in welche Richtung es gehen kann. Es wird gleich ein wichtiges Spiel.
hessenschau.de: Sie haben als Trainer schon sehr viel Erfahrung in der zweiten und dritten Liga gesammelt. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen den beiden Ligen?
Kauczinski: Die dritte Liga ist wilder. In ihren Verhaltensweisen und in dem, was die Mannschaften gerade mit Ball können, da sind die Qualitäten natürlich unterschiedlich. Der Fußball besteht am Ende aus vielen Entscheidungen, die man treffen muss, egal, wie ich die Spieler positioniere. Das muss zu den Spielern passen, und dann müssen die Spieler natürlich in diesen Positionen auch Entscheidungen treffen, sich dementsprechend verhalten und da ist der größte Unterschied in diesen Situationen am Ball. Da hast du, je höher du kommst, natürlich mehr Qualität in diesen Entscheidungen am Ball.
Die dritte Liga ist einfach eine Zweikampf-Liga, in der es viel darum geht, das Spiel zu unterbrechen, eine defensive Ausrichtung zu haben und das Spiel zu zerstören. Vielleicht einfach umzuschalten, weil das ein bisschen einfacher ist, als ein Spiel mit dem Ball aufzuziehen. Deswegen geht es viel mehr in schnelle Pressingsituationen, in viele Ballverluste, dadurch wird es natürlich viel hektischer und wirkt immer ein bisschen wilder, weil man es irgendwie ausgleichen muss, dass es am Ball doch Unterschiede gibt.
hessenschau.de: Sie sind nun seit zwei Monaten SVWW-Trainer. Wie haben Sie sich inzwischen in Wiesbaden eingelebt?
Kauczinski: Von der Stadt habe ich noch nicht so viel sehen können und nur mal den ein oder anderen Spaziergang vom Hotel aus gemacht. Mittlerweile habe ich eine eigene Wohnung gefunden in der Altstadt, ziemlich genau im Zentrum. Aber erst ab Januar, bisher war ich da also auch noch nicht wirklich drin. Erst jetzt nach dem Trainingslager gibt es die erste Nacht in den eigenen vier Wänden, und dann beginnt neben dem Fußball das eigentliche richtige Leben in Wiesbaden für mich.
Das Gespräch führte Sonja Riegel.