Joel Keussen

Verpasster Aufstieg, verpatzte DEL-Bewerbung, verkorkster Saisonstart: Für die Kassel Huskies war 2021 ein turbulentes Eishockey-Jahr. Im emotionalen Interview blickt Verteidiger Joel Keussen zurück - und formuliert klare Ziele für die Zukunft.

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Kassel Huskies: Joel Keussen blickt auf 2021 zurück - und voraus

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Er spielte für den EC Bad Nauheim, wurde mit den Löwen Frankfurt 2017 DEL2-Meister - und ist mittlerweile bei den Kassel Huskies ein Publikumsliebling: Joel Keussen. In der Deutschen Eishockey Liga 2 (DEL2) erlebte der Verteidiger mit seinem Club ein emotionales, herausforderndes und phasenweise bitteres Jahr 2021. Im großen hessenschau.de-Interview spricht der 30-Jährige über die verlorene Finalserie gegen die Bietigheim Steelers, die Notwendigkeit von Auf- und Abstieg im deutschen Eishockey – und er erklärt, warum der FC Bayern München auch für Nicht-Fans in Sachen Motivation ein Vorbild ist.

hessenschau.de: Herr Keussen, für die Kassel Huskies hatte der bisherige Saisonverlauf schon eine Menge zu bieten. Wie haben Sie als Mannschaft diese Achterbahnfahrt erlebt?

Joel Keussen: Mit gemischten Gefühlen. Von den ersten zehn Spielen haben wir nur drei gewonnen, dafür aber sieben verloren. Da konnte man definitiv von einem sehr schlechten Saisonstart sprechen. Allerdings: Von den nächsten zehn Spielen haben wir sieben gewonnen und drei verloren. Das hat uns insgesamt zu einem Durchschnittsteam gemacht, was aber nicht unser Anspruch ist. Wir wollen oben mitspielen und den Titel gewinnen. Wenn wir als Mannschaft zusammenhalten, können wir in dieser Saison Großes erreichen.

hessenschau.de: Was genau lief in den ersten Spielen zu Saisonbeginn falsch?

Keussen: Es ist immer schwierig, eine Mannschaft wieder neu zu formen. Klar, der Kern ist geblieben, aber wir haben meiner Meinung nach auch zwei wichtige Spieler verloren: Michi Christ und Derek Dinger haben immer eine Identifikation mit in die Mannschaft gebracht und gezeigt, um was es hier in Kassel geht. Dass solche Persönlichkeiten nicht einfach zu ersetzen sind, haben wir am Anfang der Saison ganz deutlich gemerkt. Da waren die Charaktere gefragt, die neu dazugekommen sind. Mittlerweile gelingt es uns immer besser, die entstandenen Lücken zu füllen.

hessenschau.de. In der vergangenen Saison waren Sie nah dran an Zweitliga-Meisterschaft und DEL-Aufstieg, in der Finalserie gegen Bietigheim fehlte Ihnen nur ein Sieg. Warum hat es nicht gereicht – was ist damals nach Spiel zwei passiert?

Keussen: Diese Frage hab ich mir selbst ganz schön oft gestellt. In der ganzen Saison haben wir nicht ein Mal drei Spiele am Stück verloren. Nicht ein Mal! Ein Finale ist aber immer eine besondere Situation. Wir waren in der Serie zurecht mit 2:0 vorne, waren die bessere Mannschaft – und haben uns dann die Leichtigkeit genommen. Wir haben uns die Situation zu kompliziert, uns selbst zu viele Gedanken gemacht, waren nicht in dem Moment. Der entscheidende Knackpunkt war, dass wir schon ein Stück zu weit im Voraus waren. Genau daraus müssen wir lernen.

hessenschau.de: Die 2:5-Niederlage im entscheidenden, fünften Finalspiel war eine hochemotionale Angelegenheit. Wie sind Sie damit umgegangen?

Keussen: Da muss man einen größeren Bogen schlagen. Wir hatten letztes Jahr eine Corona-Saison ohne Fans, waren teilweise isoliert von der Familie und konnten uns privat nicht einfach so bewegen, wie wir wollten. Das waren große Entbehrungen für jeden einzelnen. Und da kam dann noch der Eishockey-Druck hinzu – und es war Druck da. Jeder hat von uns erwartet, dass wir das Spiel gewinnen. Jeder hat von uns erwartet, dass wir aufsteigen. Diese Kombination – sportlicher Druck und Einschränkungen im Privatleben – hat dazu geführt, dass nach dem Spiel viel von einem abgefallen ist. Ich hatte direkt meine Freundin im Arm und habe mich erst einmal bei ihr bedankt, denn auch sie hat in dieser Zeit viel zurückstecken müssen. Aber unmittelbar nach Spielende ist eine kleine Welt zusammengebrochen. Das war eine harte Nummer.

hessenschau.de: … die sicherlich auch innerhalb des Teams nicht leicht zu verarbeiten war.

Keussen: Wir haben uns in der Kabine in den Armen gelegen und waren traurig. Und jeder, der sagt, er war nicht traurig oder hat das schnell abgehakt, dem glaube ich nicht. Aber das Schöne am Profisport ist ja, dass man es immer besser machen kann: Es gibt ein nächstes Spiel, eine nächste Saison, eine nächste Möglichkeit. Nur durch diese Denkweise können Spitzensportler Jahr für Jahr ihre Leistungen wiederholen. Beispiel FC Bayern: Die gewinnen alles – und trotzdem herrscht dort eine Mentalität, die Spaß macht und der man gerne zuschaut. Ich bin kein Bayern-Fan, aber ich finde das sehr interessant. Das ist mein Vorbild, um mich jedes Jahr wieder neu zu fokussieren.

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Huskies verpassen Meisterschaft

Kassel Huskies gegen Bietigheim
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hessenschau.de: Sie haben sich dazu entschieden, sich weiter bei den Kassel Huskies zu fokussieren und haben im Sommer Ihren Vertrag verlängert. Was ist Ihre Motivation?

Keussen: Ich will mit den Kassel Huskies in die erste Liga aufsteigen. Das ist mein Antrieb. Kassel hat großes Potenzial und gehört ins Oberhaus des deutschen Eishockeys. An diesem Weg möchte ich gerne teilnehmen. Nicht nur innerhalb der Mannschaft gibt es eine Aufbruchstimmung. Die Eissporthalle ist nach dem Umbau und der Modernisierung mit die Schönste, die ich kenne. Eine alte Halle mit altem Charme neu aufgehübscht – das ist eine super Kombination, die es so nur in Kassel gibt.

hessenschau.de: Das heißt, wir sehen Sie noch etwas länger in Kassel? Zumindest in dieser Saison ist der Aufstieg sportlich ja nicht möglich, nachdem das Clubmanagement im Sommer Fehler bei der Bewerbung um eine DEL-Lizenz gemacht hat.

Keussen: Wenn man auf meine Karriere schaut, dann wird man schnell feststellen, dass ich nie lange an einem Ort geblieben bin. Aber ich fühle mich sehr wohl in Kassel – und das deutsche Eishockey ist ja auch ein bisschen verrückt (lacht). Man weiß nie, was am Ende der Saison wirklich passiert. Da ist ein kleines Kind in mir, das immer noch träumt, dass wir vielleicht trotzdem aufsteigen können – auch wenn es die Regularien natürlich so nicht vorsehen.

hessenschau.de: Was haben Sie gedacht, als vor ein paar Monaten klar war, dass der Traum vom Aufstieg wegen einer Melde-Panne wohl um mindestens ein weiteres Jahr verschoben werden muss?

Keussen: Auch da war ein kleines Kind in mir – und das war am Boden zerstört. Ich muss sagen: Ich war schon verletzt und habe das auch ein bisschen persönlich genommen. Schließlich ist es ja das Ziel, aufzusteigen, in der DEL zu spielen und dort vielleicht auch irgendwann einmal in den Play-offs zu stehen. All das ist einem in diesem Moment weggezogen worden. Ich glaube, ich kann da für jeden Sportler sprechen: In der zweiten Liga muss die Möglichkeit zum Aufstieg unumstößlich gegeben sein. Jeder Sportsmann ist daran interessiert, einen sportlichen Auf- und Abstieg zu haben.

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Die Kassel Huskies werkeln an ihrer neuen Eissporthalle

Die neue Halle der Kassel Huskies
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hessenschau.de: Mit anderen Worten: Am großen Ziel der Huskies, DEL2-Meister zu werden und eines Tages in die erste Liga zurückzukehren, hat sich in den zurückliegenden Monaten nichts geändert.

Keussen: Wenn wir aus der vergangenen Saison eines gelernt haben, dann, dass es entscheidend ist, das letzte Spiel der Saison zu gewinnen. Man kann alle Rekorde brechen – Punkte-, Tor-, Gegentor-Rekorde – aber unter dem Strich kommt es darauf an, das letzte Spiel der Saison zu gewinnen. Aktuell sind wir davon noch weit entfernt, aber dieses Jahr soll es klappen.

hessenschau.de: Hat sich Ihre persönliche Rolle in der Mannschaft nach der bitteren Finalerfahrung der vergangenen Saison noch einmal verändert?

Keussen: Jeder 18- oder 19-Jährige wird in diesem Finale genauso viel gelernt haben wie ein 35-Jähriger. Das Geheimrezept ist nun, dass jeder genau das auch in die Kabine einbringt. Meine Rolle sehe ich darin, auf diesem Weg jeden mitzunehmen. Ich bin nicht derjenige, der als erster durch die Wand geht – auch wenn ich da kein Problem mit habe. Aber am besten geht dann jeder durch die Wand.

Das Gespräch führte Patrick Stricker.

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