Vier Nachwuchs-Radfahrer fahren hintereinander.

Bei der Tour de France sind einige von Deutschlands besten Radprofis unterwegs. Doch im Nachwuchsbereich kämpft der Radsport mit zahlreichen Problemen. Ein Verein aus Frankfurt kennt diese nur zu gut – und ist trotzdem überaus erfolgreich.

"Das Radfahren ist die beliebteste Freizeitsportart, aber das spiegelt sich bei uns nicht im Nachwuchsbereich wider."

"Es braucht eine gute, strukturierte Nachwuchsarbeit."

"Ansonsten kommen so Talente wie Lennard Kämna oder Nils Politt einfach nicht mehr durch."

Der Mann, der besonnen und alarmierend zugleich über die Nachwuchsprobleme im deutschen Radsport spricht, ist ein Experte: John Mewes, Vorsitzender der Radsportgemeinschaft Frankfurt. Sein Verein ist seit vielen Jahren der erfolgreichste hessische Club, wenn es um Nachwuchsarbeit im Rennsport geht. Doch Mewes sagt: Die Erfolge der Fahrerinnen und Fahrer aus Frankfurt werden viel zu wenig wahrgenommen – und die Förderung des Nachwuchs ist derzeit so schwierig wie lange nicht.

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John Mewes über die Probleme im Nachwuchsradsport

Ein Fahrrad
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"Der Radsport ist in den vergangenen Jahren unheimlich abgefallen", erzählt er. Bedeutet konkret: Durch die Konkurrenz zu anderen Sportarten, die im Rhein-Main-Gebiet populär sind und nicht selten umjubelte Vorbilder ins Schaufenster stellen können, entscheiden sich immer weniger Kinder und Jugendliche für Leistungssport auf zwei Rädern.

"Wie man in Frankfurt Fußballspielen lernt, ist viel bekannter", sagt Mewes. Und er weiß auch: "Radrennsport ist Racing – hart, selektiv und fordernd. Wir werden immer eine Randsportart bleiben." Dass es seit Anfang der 2000er Jahre keine Radrennbahn in Frankfurt mehr gibt, habe die Bedingungen zusätzlich erschwert: "All das sind Entwicklungen, die mich betrüben."

Corona vergrößert die Nachwuchsprobleme auch im Radsport

Natürlich, und das betont der RSG-Vorsitzende, hätten auch die Fußballvereine Probleme, ihre Mannschaften Saison für Saison vollzubekommen. "Der Trend ist gar nicht so viel anders als in anderen Sportarten auch, aber wir sind auf einem deutlich niedrigeren Niveau gestartet." Denn: Einen Radsport-Boom – vermeintlich ausgelöst durch den Sieg von Jan Ullrich bei der Tour de France 1997 – haben sie in Frankfurt nie gespürt. Die Auswirkungen der damaligen Dopingaffären hingegen schon, beispielsweise durch den Rückzug von Sponsoren.

Durch die Corona-Pandemie, wegen der es lange Zeit fast keine Nachwuchsrennen gab, habe die RSG laut Mewes "eine Handvoll" Talente verloren. Es ist paradox: Radfahren gehört seit jeher zu den beliebtesten Freizeitsportarten in Deutschland, das zeigten Studien des Bundesinstituts für Sportwissenschaft bereits vor der Pandemie.

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Doch der Radsport schafft es nicht oder nur bedingt, dieses Potenzial für sich zu nutzen und Kinder sowie Jugendliche spätestens in der Altersklasse U13 fürs leistungsorientierte Radeln zu begeistern. "Der Aufwand ist höher als in einem Fußballverein, und davon ist auch immer einer in der Nähe des Wohnortes", sagt Mewes.

Wie also umgehen mit solch schwierigen Strukturen und Voraussetzungen? Was muss passieren, damit Radsport-Deutschland weiterhin Profis wie Kämna, den Deutschen Meister Politt oder das Hessen-Duo John Degenkolb (Oberursel) und Jonas Rutsch (Odenwald) zur Tour schicken kann?

Bei der RSG, einst die sportliche Heimat des Frankfurters Dietrich "Didi" Thurau, haben sie laut Mewes "schon immer um den Nachwuchs gekämpft" und Trends wie Mountainbike oder Gravel ins Trainingsangebot integriert.

Mögliche Lösungen: Mehr Sponsoren und mehr Lobby-Arbeit

Die Frankfurter stellen zudem Leihfahrräder zur Verfügung, reduzieren so den finanziellen Druck, der vor allem zu Beginn hoch ist. Um ihre Schützlinge bei den Rennen bestmöglich zu betreuen, leistet sich die RSG – anders als manch andere Vereine – einen kostspieligen Bus. Anstrengungen, die sich lohnen: Bei den Nachwuchsrennen am 1. Mai sowie bei Landesmeisterschaften fahren die Frankfurter in schöner Regelmäßigkeit einen Podestplatz nach dem anderen ein.

"Man muss aber erkennen", sagt Mewes, "dass es eine gute und strukturierte Nachwuchsarbeit braucht, wenn man deutsche Fahrer bewundern und bejubeln will." Helfen könnte da der eine oder andere Sponsor mehr, der sich um die Finanzierung eines Nachwuchsrennens kümmert. Mewes freut sich aber auch, wenn prominente Stimmen der Branche den Finger in die gleiche Wunde legen. Erst kürzlich sagte Ralph Denk, der Teamchef des deutschen World-Tour-Teams Bora-hansgrohe gegenüber sportschau.de, dass es im Nachwuchsradsport "in der Breite" fehle.

Eine Analyse, die der Vorsitzende der RSG Frankfurt nur allzu gut nachvollziehen kann. "Vor allem in Hessen ist die Situation problematisch, es fehlt auf Vereinsebene an den richtigen Strukturen", so Mewes. Die Folge: Talentierte Fahrerinnen und Fahrer wandern in Sport-Internate ab, in den Leistungszentren wie in Erfurt werden Radfahren und Schule besser unter einen Hut gebracht. John Mewes hat daher viel Verständnis dafür, sollte sich auch aus seinem Verein mal jemand für diesen Weg entscheiden. Ansonsten wird es für Talente wie Rutsch, Kämna und Co. bald immer schwieriger.