Stine Fiege will Schiedsrichterin werden

Stine Fiege gehört einer Minderheit an: Die 17 Jahre alte Nordhessin ist Fußball-Schiedsrichterin. Es braucht mehr Nachwuchs an der Pfeife. Fiege verrät, warum Beleidigungen auf dem Platz auch gut fürs Ego sein können.

Videobeitrag

Video

Schiedsrichterinnen beim DFB gesucht

hs 26.04.2023
Ende des Videobeitrags

Stine Fiege schnappt sich den Ball und läuft in die Mitte des Spielfelds, rechts und links von ihr die Spielerinnen zweier Mannschaften. Applaus ertönt, beide Teams stellen sich auf und klatschen sich ab. Fiege bindet sich noch einmal die schwarzen Stollenschuhe – los geht's!

Den losen Schnürsenkel wird ihr Patrick Werner, Schiedsrichterinnen-Betreuer beim Hessische Fußball-Verband (HFV), später noch aufs Brot schmieren. Die 17 Jahre alte Fiege wird genau beobachtet. Sie pfeift das U14-Spiel der Saarland-Auswahl gegen Hessen unter den strengen Augen ihres Ausbilders, mit anschließendem Coaching und einer genauen Analyse.

Stine Fiege will Schiedsrichterin werden

Die Nachwuchs-Schiedsrichterin will sich für den nächsten Karriereschritt empfehlen, die Leitung des U14-Ländervergleichs bietet ihr dafür eine gute Bühne. Dass sie das Spiel überhaupt leiten darf, ist ein Highlight für die junge Frau. Ihr nächstes Ziel ist die Gruppen- und die Verbandsliga. Dann müsse man sehen, wie es bei den Frauen im Fußball weitergehe, berichtet Fiege.

Freizeit opfern - für Spiele und Lehrgänge

Einmal im Jahr müssen alle Amateur-Referees unter Beweis stellen, was sie fachlich und sportlich draufhaben, sonst dürfen sie nicht pfeifen. Und so besucht die 17-Jährige aus Reinhardshagen (Kassel) am Wochenende vor dem Auswahl-Spiel den HFV-Lehrgang für Schiedsrichterinnen an der Sportschule in Grünberg (Gießen).

Stine Fiege will Schiedsrichterin werden

Hier finden praktische Übungen und Tests statt, aber es geht auch um Theoriewissen. Geprüft wird nicht nach Richtlinien des Landes, sondern nach den schärferen Vorgaben des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

Anforderung: Zwölf Spiele pro Jahr, dazu regelmäßige Lehrgänge

Schon seit Kindertagen spielt Fiege als Verteidigerin aktiv Fußball. Bereits mit zwölf Jahren hat sie sich für eine Ausbildung zur Schiedsrichterin entschieden. So früh ist das nur in Ausnahmefällen möglich, da die Schiedsrichter-Ordnung des HFV ein Mindestalter von 14 Jahren vorschreibt.

Mit der Ausbildung hat Fiege sich verpflichtet, zwölf Spiele pro Jahr zu leiten, eine Leistungsprüfung zu absolvieren und regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen zu besuchen – wie den Lehrgang in Grünberg. Ohne ihre Eltern ginge nichts: Sie muss sich oft mehr als 100 Kilometer fahren lassen. Ohne diese Unterstützung könnte sie ihr Hobby nicht ausüben, sagt sie.

Reich wird man mit dem Pfeifen nicht. Auch wenn Sportkleidung und Fahrtkosten gestellt werden, bekommen die Frauen und Männer an der Pfeife für jeden Einsatz lediglich eine Aufwandsentschädigung, die Höhe hängt von der Spielklasse ab.

Unparteiische händeringend gesucht

Könnte eine bessere Bezahlung mehr Spielerinnen und Spieler motivieren, auch zu pfeifen? Fiege glaubt das nicht. Die 17-Jährige ist eine von bundesweit gerade mal vier Prozent Frauen im Schiedsrichter-Amt. Gerade im Amateurbereich plagen den DFB akute Nachwuchssorgen – vor allem junge Frauen fehlen.

Um gegenzusteuern und Werbung für das Amt zu machen, hat der DFB das "Jahr der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter" ausgerufen. Auch Fiege hofft, dass so mehr Nachwuchs kommt.

Viele haben keine Lust mehr auf den Job, weil Beleidigungen, Beschimpfungen oder sogar tätliche Angriffe zum Alltag gehören. In der Saison 2021/22 hat es bundesweit mehr als 900 Spielabbrüche gegeben. Ein trauriger Rekord bei den Amateuren.

Erst kürzlich hatte es in der Gruppenliga Wiesbaden eine Würge-Attacke auf den Schiedsrichter gegeben, nachdem er einem Spieler des Gastvereins die Rote Karte gezeigt hatte.

Sprüche wie "Zurück an den Herd"

Fiege, die junge Schiedsrichterin aus Nordhessen, hat schnell gelernt, dass sie sich auf dem Platz auch gegen Respektlosigkeiten wehren muss – von Fans, Spielern oder Trainern. Ein Spruch wie "Zurück an den Herd" sei da noch harmlos. Anfeindungen erlebe sie durchaus, erzählt die 17-Jährige. Doch das sei alles im Rahmen – Emotionen gehören für sie beim Fußball dazu.

Ihr Hobby sieht sie als Push fürs Selbstbewusstsein. Das Pfeifen habe sie persönlich stärker gemacht, so Fiege. Bei ihrem ersten Spiel sei sie eingeschüchtert gewesen, jetzt trete sie ganz anders auf.

Stine Fiege will Schiedsrichterin werden

Es sei an der Zeit, den Fokus mehr auf das Amt zu legen, fordert Schiedsrichterinnen-Betreuer Werner. Für ihn muss ein anderer Blick auf die Unparteiischen her. Diese wollten nicht irgendjemandem den Spaß verderben oder Spielverderber sein, sondern als "Dienstleister für das Spiel" agieren.

Er fordert, viel mehr für das Miteinander zu werben. Es ginge nicht, dass ein Schiedsrichter zum Buhmann der Nation werde, nur weil er eine vermeintliche Fehlentscheidung getroffen habe.

Schiri-Sein als Push fürs Ego

Fiege hat am Wochenende überzeugt und beim Wissenstest locker die Hessen-Norm geschafft. Nur bei den schärferen DFB-Vorgaben ist sie knapp am Erfolg vorbeigeschrammt. Kein Ding für die Abiturientin: "Aus Fehlern lernt man. Das macht mich noch ehrgeiziger, es beim nächsten Mal zu schaffen."

Mit ihrem Weg möchte sie auch andere Mädchen und Frauen inspirieren, den Schritt ins Schiedsrichter-Amt zu wagen. Die Förderung in Hessen sei sehr gut, sagt sie, man müsse nur den Mut haben: "Man kann ja nicht verlieren, man kann nur gewinnen."

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen