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Ausstellung über "Lost Paintings"

Ein Mann mit Rucksack fotografiert Graffiti an einer Wand

Graffiti ist vergänglich. Was heute ins Auge fällt kann morgen übersprüht oder entfernt sein. Der Fotograf Jörg Udo Kuberek will die Kunstwerke vor dem Vergessen bewahren. Im Interview erklärt er den Unterschied zwischen Sprayern und Malern - und wo im Rhein-Main-Gebiet die besten Bilder entstehen.

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"Street Art ist Kunst für alle", sagt Jörg Udo Kuberek, "sie ist umsonst, kostet keinen Eintritt und gehört schon lange zum öffentlichen Raum". Der Frankfurter Fotograf dokumentiert unter anderem in seinem Blog Mainstyle die Graffiti-Szene im Rhein-Main-Gebiet.

Seine Fotosammlung aus den vergangenen fast 40 Jahren umfasst mehr als 60.000 Bilder der Straßenkunst in und um Frankfurt. Eine Auswahl von 35 Fotos ist jetzt in der Frankfurter Fotogalerie am Wiesenhüttenplatz zu sehen.

hessenschau.de: Was fasziniert Sie an Graffiti?

Jörg Udo Kuberek: Man fährt morgens zur Arbeit und auf einmal ist da ein buntes Graffiti oder ein Schriftzug. Man erkennt es zuerst nicht und muss rumrätseln: Was steht denn da eigentlich? Und dann kriegt man es raus und fragt sich als nächstes: Was bedeutet das? Mich faszinieren die Kreativität, die Farben, der Stil. Und dass es immer wieder Leute gibt, die etwas Neues kreieren.

Graffito mit den Buchstaben GBF, dazwischen eine Gestalt mit Hörnern und Dreizack in der Hand

hessenschau.de: Sie dokumentieren Graffiti im Rhein-Main-Gebiet seit rund 40 Jahren. Was waren die Anfänge?

Kuberek: Angefangen hat es mit ganz einfachen Sprüchen, die irgendjemand an die Wand gemalt hat. So etwas wie "Ich liebe dich, Uschi". Oder aber politische Parolen wie "Ami go home". Das "go" wurde dann durchgestrichen und drüber wurde "swim" geschrieben. Das fand ich witzig. Das war so um 1983/84.

Ab 1987 ist es dann in die Richtung gegangen, dass diese Schriftzüge größer wurden und auch figürliche Graffiti gesprüht wurden.

hessenschau.de: Sie haben bis jetzt über 60.000 Graffiti aufgenommen. Wissen Sie noch, was das erste war, dass Sie fotografiert haben?

Kuberek: 1985 habe ich einen Spruch fotografiert für Günter Sare. Der wurde bei einer Demonstration im Gallus, wo ich zur Schule gegangen bin, von einem Wasserwerfer überrollt. Das war an meinem Geburtstag, deswegen kann ich mich daran erinnern.

Ein oder zwei Tage Tage später stand an dem Tor einer Schule: "28.9. Das war Mord". Also harter Tobak, aber so war das. Da habe ich das erste Mal ein Graffito fotografiert. Später habe ich dann angefangen regelmäßig Fotos zu machen und auf die Suche zu gehen.

hessenschau.de: Haben Sie Lieblingskünstler oder -künstlerinnen?

Kuberek: Das ist ganz schwer... Also ich habe tatsächlich keine Lieblingsmalerin oder Lieblingsmaler.

hessenschau.de: Moment - müsste man nicht eigentlich Sprayer sagen?

Kuberek: Das ist regional sehr unterschiedlich. In Hanau sagt man zum Beispiel nicht: "Ich gehe jetzt ein Graffiti sprühen", sondern da sagt man: "Ich mache jetzt ein Spray" und "Ich gehe sprayen". Hier in Frankfurt sagt man eher: "Ich gehe malen". Deswegen sage ich Maler.

Aber zurück zur Frage: Ich mag am liebsten große, bunte Kunstwerke und die, die schön geformt sind. Also nicht solche Gewalt-Bilder oder solche, die zu brachial sind. Das ist nicht mein Ding.

hessenschau.de: Wenn wir auf Ihre Ausstellung schauen: Welches Bild haben Sie besonders in Erinnerung?

Kuberek: Das älteste Bild, was wir in die Auswahl reingenommen haben, ist das "Universal Movement". Das ist 1986 entstanden. Es wurde gemalt von Eddy Action, einem amerikanischen GI, und Pino Caruso, einem Italiener, der übrigens immer noch malt.

Collage aus mehreren Graffitis

Die beiden waren zusammen in einer Breakdance Gruppe. Das war, glaube ich, das allererste City Piece in Frankfurt und ist überregional bekannt geworden. Es war also das erste, was man gesehen hat von Frankfurter Malern, und ist deshalb für mich ein ganz besonderes Piece.

hessenschau.de: Sie haben zwischendurch Pause gemacht mit dem Ablichten. Warum haben Sie dann wieder damit angefangen?

Kuberek: Das war eine ganz verrückte Sache. 2007 hat mich Helge "Bomber" Steinmann kontaktiert. Das US-Konsulat wollte eine Ausstellung machen, mit Martha Cooper und mit uns, Thema: New York versus Frankfurt. Ich war erstmal baff, weil Martha Cooper weltweit bekannt war. Sie hat zusammen mit Henry Chalfant die wichtigsten Graffiti- Bücher herausgebracht. Also eine Legende. Dann haben wir das gemacht und das war super und hat mich reaktiviert.

Eine Backsteinwand ist unter anderem mit gelben Geisterfiguren bemalt.

Richtig motiviert, wieder mit dem Fotografieren anzufangen, hat mich dann "City Ghost". Zu der Zeit habe ich in Frankfurt-Hausen gewohnt. Da habe ich immer wieder diese Geister gesehen und fand die total cool. Da habe ich wieder angefangen regelmäßig Graffiti zu fotografieren oder Street Art.

hessenschau.de Street Art ist eine temporäre Kunst, die regelmäßig wieder übermalt oder auch gereinigt wird. Was wollen Sie erreichen?

Kuberek: Ich möchte es bewahren. Mir geht es darum, nach vielleicht zehn Jahren anderen Leuten zeigen zu können, wie es dort mal ausgesehen hat. Das ist wie ein Freeze. Was gab es mal an dieser Straße, an dieser Wand zu sehen? Das ist ja wie eine Ausstellung, die sich permanent verändert.

In Frankfurt ändert sich durch diese Kunst im öffentlichen Raum das Stadtbild. Das finde ich so spannend. Ich habe junge Maler kennengelernt oder Graffiti-Künstler, denen habe ich 30 Jahre alte Graffitis gezeigt und die waren hin und weg.

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Kunst aus der Dose: Street Art und Graffiti

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hessenschau.de: Wie hat sich denn die Szene entwickelt, die Sie jetzt schon über Jahrzehnte begleiten?

Kuberek: Sie ist sehr viel größer geworden. Ich habe die Anfänge von Frankfurt miterlebt und da gab es ganz wenige Maler, ganz wenige Sprüher. Das war am Anfang vielleicht eine Handvoll. Anfang der 1990er waren es vielleicht 20, 30 Leute und die kannten sich alle. Die haben sich dann in Gruppen formiert und zusammen gemalt oder auch mal gegeneinander.

Graffito einer Gestalt, die zwei Sprühdosen in der Hand hält.

Und das ist es explodiert. Wir haben jetzt Hunderte von Malern in Frankfurt, das kann man überhaupt nicht mehr überschauen. Manche haben sich spezialisiert, die taggen nur. Manche machen eher New York Style, andere machen komplett neue Stile. "City Ghost" zum Beispiel hat hauptsächlich diese figürlichen Graffiti gemacht. Die Szene ist extrem groß und divers geworden.

hessenschau.de: Welche Rolle spielen Frauen in der Graffiti-Szene?

Kuberek: Keine große, aber eine immer größer werdende. Es gab damals schon K-NICE, vielleicht die erste Malerin in Frankfurt. Ich habe ein Bild von ihr in die Auswahl mit rein, weil das ganz wichtig ist. Die erste Dame.

Schriftzug an einer grauen Wand

Heute ist es so, dass immer mehr Frauen anfangen zu sprühen. Der Anteil ist aber immer noch gering. Ich würde sagen, eine Dame kommt auf neun Sprüher. Aber es gibt mittlerweile auch Graffiti-Jams, wo nur Frauen malen.

hessenschau.de: Wo kann ich mir interessante Graffiti angucken im Rhein Main Gebiet? Was würden Sie empfehlen?

Kuberek: Auf jeden Fall kann ich die Lincoln-Wall in Darmstadt empfehlen, einfach weil sie extrem lang ist, 300, 400 Meter. Da hat man auch eine ganz große Auswahl an unterschiedlichsten Künstlern. Ich kann auch den Ratswegkreisel empfehlen in Frankfurt. Da ist es ein bisschen wilder und nicht ganz so viel Fläche, aber auf jeden Fall auch echt. In Bad Vilbel am Schwimmbad gibt es auch eine schöne Wall.

Wand mit verschiedenen, sehr kunstvollen Graffitis

In Wiesbaden gibt es am Brückenkopf einmal im Jahr eine Veranstaltung "Meeting of Styles" (dieses Jahr am 14. bis 18. Juni, die Redaktion). Das kann ich jedem nur ans Herz legen. Da kommen Künstler aus der ganzen Welt und da werden riesige Graffiti gemalt.

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Graffiti, Street Art, Urban Art - Was ist der Unterschied?

Ulrich Blanché, Kunsthistoriker und Streetart-Forscher an der Uni Heidelberg, definiert die Unterschiede so:

Street Art sind Bilder, die an alle Betrachter gerichtet sind. Graffiti ist heutzutage eher Writing Graffiti, also ein kunstvoll geschriebener Name, ein bisschen wie Kalligrafie. Sie richtet sich an eine bestimmte Szene. Urban Art ist ein Dachbegriff, er steht oft auch für den legalen Arm, also das, was Street Artists und Graffiti Writer machen, wenn sie legal arbeiten. Meistens sind das große Namen, die auf der Straße bekannt wurden und die dann zum Beispiel große Wandbilder malen oder Arbeiten auf Leinwand machen. Urban Art ist also eher ein Kunstmarkt Begriff.

Die Namensgebung ist auch eine Frage der Größe. Street Art ist alles, was man noch mit dem eigenen Körper macht oder mit Extensions, zum Beispiel wenn man einen Feuerlöscher mit Farbe füllt. Sobald Sie eine Hebebühne brauchen, ist es Urban Art.

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