Arbeiter richten auf einer Straße einen roten Radweg-Streifen ein

Hessen will Radfahrern Rückenwind geben. Millionen fließen in Förderungen für Ausbau und Sanierungen. Dem Fachverband ADFC geht es viel zu langsam voran. Und er sagt, wo es besonders hake.

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Kritik am Tempo beim Radwege-Ausbau

Radfahrer auf Radweg neben Radwegschild
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Das Land Hessen versucht bei der Förderung des Radverkehrs Tempo zu machen - unter anderem mit Rekord-Investitionen für den Ausbau und die Sanierung von Wegen. Doch nach Einschätzung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) sind die Fortschritte bescheiden.

"Hessen bewegt sich, aber nicht dynamisch genug", sagt ADFC-Landesgeschäftsführer Norbert Sanden. Es mangele an konkreten Ergebnissen. Dabei betonte Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne): "Wir meinen es sehr ernst mit der Stärkung des Radverkehrs." Seit Jahren werde mit hohem Einsatz an einer besseren Infrastruktur gearbeitet - "mit mehr Geld, mehr Personal und mit Erfolg".

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Zum Verband

Dem 1986 gegründeten ADFC Hessen gehören rund 20.000 Mitglieder an. Der Landesverband vertritt die Interessen der Radfahrenden gegenüber der Landespolitik und betreibt darüber hinaus vielfältige Aktivitäten: Er unterstützt bei der Wegweisung der Radfernwege, berät Unternehmen und Kommunen, die fahrradfreundlich werden wollen, zertifiziert Unterkünfte, bietet Radfahrkurse für Erwachsene an, organisiert Touren und bietet Service an wie etwa Fahrrad-Codierungen für den Diebstahlschutz.

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Der ADFC hat zu Beginn der diesjährigen Fahrradsaison auf hr-Anfrage eine Bestandsaufnahme gemacht. Die Liste der Kritikpunkte an der Radverkehrspolitik ist lang.

Kritik an Investitionssumme

In den Jahren 2022 bis einschließlich 2024 sollen 85 Millionen Euro für Radwege an Landes- und Bundesstraßen bereit stehen - allein in diesem Jahr 13 Millionen Euro und damit fünf Millionen mehr als 2021. Das ist laut Landesregierung ein Rekordniveau. Zum Langzeitvergleich: 2014 waren es nach Angaben des Ministers nur vier Millionen Euro.

Doch laut ADFC sind diese Summen unzureichend, wenn man es ernst meint mit Verkehrswende und Klimaschutz. Das Land müsse den Vorgaben des Nationalen Radverkehrsplans 3.0 - Fahrradland Deutschland 2030 folgen. So sollen pro Einwohner jährlich 30 Euro für den Radverkehr aufgewendet werden. Bedeutet für Hessen: Die Gesamtausgaben müssten rund 190 Millionen Euro betragen - also mehr als das Doppelte der derzeitigen Aufwendungen.

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Das Radwegenetz in Hessen

Das Radwegenetz in Hessen hat in etwa eine Gesamtlänge von 25.000 Kilometern. Es besteht aus unterschiedlichstem Terrain. Da sind straßenbegleitende Radwege, Fahrradstraßen, Routen über Wirtschafts- und Waldwege, Radfernwege und in einem geringen Ausmaß auch Radschnellverbindungen.

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Radfahrer fahren auf einem Radschnellweg an einer Aufschrift auf dem Asphalt vorbei.

Kritik an Ausbau-Tempo

Geld ist nicht alles. Es muss auch abgerufen und fix verbaut werden. Mit Blick auf das Ausbau-Tempo an Landesstraßen sagt ADFC-Experte Sanden: Es werde beim aktuellen Tempo noch "Hunderte von Jahren dauern, bis ein aus Gründen der Verkehrssicherheit wünschenswerter Ausbaustandard erreicht" sei.

So haben von den 7.200 Kilometern Landstraße in Hessen lediglich rund 820 Kilometer Radwege, also zwölf Prozent. Selbst wenn es nicht möglich und sinnvoll sein sollte, so der ADFC, Landstraßen zu 100 Prozent mit Radwegen auszustatten: Es gehe viel zu langsam voran. Laut Verkehrsministerium wurden an Landes- und Bundesstraßen im Vorjahr 12,2 Kilometer Radwege neu gebaut oder ausgebaut und 5,2 Kilometer saniert - viel zu wenig nach Meinung des ADFC.

Auch die Opposition im Landtag ist unzufrieden. "In diesem Schneckentempo" werde Hessen niemals ein Fahrradland, kritisierte der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Stefan Naas.

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Zuständigkeiten bei Radwegen

Der größte Teil (88 Prozent) der Verantwortung für das Netz liegt bei Kreisen, Städten und Gemeinden, wie das Verkehrsministerium in Wiesbaden erklärt. Das Land hilft den Kommunen beim Ausbau. Es fördert Planung und Bau von Radwegen in deren Zuständigkeitsbereich in der Regel mit 70 Prozent der Kosten.

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Kritik an Planungszeiträumen

Der ADFC-Landesvorsitzende Xavier Marc sagt: "Es dauert viel zu lange, einen Radweg zu planen." Laut Geschäftsführer Sanden braucht es kürzere, standardisierte, vereinfachte und angepasste Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Das Land hat das Problem erkannt und das Personal bei Hessen Mobil für die Radwegeplanung an Bundes- und Landesstraßen aufgestockt. Zudem wurde mit der Task Force Radwege erstmals eine Planungsgruppe eingerichtet, die sich darum kümmert.

Einen Schub soll ein neues Kooperationsmodell geben, das bereits mehr als 50 Kommunen angeboten wurde. Die Idee: Die Kommune plant den Radweg mit Unterstützung von Hessen Mobil selbst, das Land trägt die Baukosten und erstattet den Kommunen die Kosten für die Übernahme der Planung. Dabei gebe es erste Erfolge, bilanzierte das Ministerium. Hessen Mobil führt auch "Dringlichkeitsbewertungen" durch und priorisiert, welche Lücken am schnellsten geschlossen werden sollten.

Kritik am Zustand der Wege

Der ADFC sieht "Hinweise auf jahrzehntelange Vernachlässigung" des Radverkehrs. Die Qualität und Beschaffenheit der Wege sei sehr unterschiedlich und nicht durchgängig gut. Allerdings sei eine Trendumkehr festzustellen. Sowohl das Land als auch Landkreise und Kommunen bemühten sich zunehmend, den Zustand ihrer Wege zu erheben. "Wir erwarten, dass dies dazu genutzt werden wird, endlich die zahllosen auch sicherheitsrelevanten Mängel rasch zu beseitigen", sagte Sanden.

Hessen hat vor zwei Jahren begonnen, den Zustand von 4.800 Kilometern Radwegen zu erfassen und zu bewerten. Die Ergebnisse des Projekts sollen in diesem Jahr den Kommunen zur Verfügung gestellt werden. So sollen Defizite im Radnetz beseitigt werden.

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Radzählstellen

Welche Wege werden wo wie stark genutzt? Um das zu erfahren, gibt es in Hessen das Projekt "Daten für den Radverkehr". Bis Jahresende werden 270 automatische Zählstellen an Radwegen installiert. Im Boden verlegte Induktionsschleifen registrieren, wann wie viele Räder in welcher Fahrtrichtung unterwegs waren. Die Daten werden mittels Mobilfunk an einen zentralen Server übertragen. Aus den Zahlen können Rückschlüsse für die Bedeutung einzelner Radwege gezogen werden.

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Zweifel an Verkehrswende

Eine gelingende Verkehrswende wird es laut ADFC nur geben, wenn es eine bessere Infrastruktur für den Radverkehr gibt. Zudem müssten strenge Tempolimits eingeführt werden - außerorts 80 km/h und innerorts 30 km/h. So werde der Verkehr auch für Radler sicherer.

Sicherheitsfragen sind für die Radler wichtig. Viele Menschen hätten das Gefühl, auf dem Fahrrad nicht ausreichend geschützt zu sein vor Autos und Lastwagen, beobachtet der ADFC. Der Straßenraum müsse neu und zukunftsorientiert aufgeteilt werden. Fußgänger und Radler müssten mehr Platz bekommen.

Der Stellenwert des Fahrrads als Fortbewegungsmittel ist groß für die Menschen, wie jüngst der Fahrrad-Monitor zeigte. 42 Prozent der Menschen in Hessen wollen künftig häufiger das Fahrrad nutzen. Das Interesse am Fahrradfahren führt bei Händlern zu einer großen Nachfrage und Lieferproblemen.

"Kluft zwischen Ankündigungen und Realität wird größer"

Perspektivisch habe die Landesregierung einige Grundlagen für die Entwicklung des Radverkehrs geschaffen, findet der ADFC. Zu nennen seien die AG Nahmobilität Hessen, Förderprogramme zur Stärkung des Fuß- und Radverkehrs sowie das Verkehrssicherheitskonzept 2035. "Allerdings wird die Kluft zwischen Sonntagsreden, Wahlversprechen, Ankündigungen, Konzepten und Strategien für den Radverkehr einerseits und der täglich zu erlebenden Realität andererseits immer größer. Diese klaffende Lücke muss geschlossen werden", fordert Landesgeschäftsführer Sanden.