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Pro-Bahn-Landesvorsitzender im hr2-Interview

Viele Menschen stehen dicht gedrängt vor einem Zug am Hauptbahnhof Frankfurt

Über Pfingsten wurde das 9-Euro-Ticket fleißig genutzt, die Züge waren voll. Ein gutes Zeichen, findet der Fahrgastverband Pro Bahn. Doch um die Menschen langfristig in Bus und Bahn zu locken, brauche es weit mehr als ein erschwingliches Ticket.

Günstig durch ganz Deutschland reisen: Das ist seit einer Woche dank des 9-Euro-Tickets möglich. Gerade über das lange Pfingstwochenende haben viele das Angebot genutzt, Züge und Bahnsteige waren voll. "Der Andrang war schon extrem", sagt Klaus Zecher vom Fahrgastverband Pro Bahn. Das zeige, dass die Menschen bereit sind, die Bahn zu nutzen - wenn das Angebot preislich attraktiv ist.

Doch an vielen Stellen hapert es: Das Aufkommen war so groß, dass gar nicht genug Reserve-Züge und Personal vorhanden waren, wie Zecher im Interview erklärt. Auch an anderen Stellen fordert er langfristig Nachbesserungen.

hessenschau.de: Nach einer Woche 9-Euro-Ticket - inklusive dem Härtetest über das verlängerte Pfingstwochenende - wie fällt da Ihre erste Bilanz aus? Ist alles wie erwartet, oder sind Sie überrascht?

Klaus Zecher: Überrascht sind wir nicht. Da genau zum Start auch das lange Pfingstwochenende war, war abzusehen, dass der Andrang extrem hoch ist. Wir haben es auch damals bei der Einführung des Hessentickets (Gruppentageskarte, die in ganz Hessen gilt, Anm. d. Red.) erlebt, dass an den ersten zwei Wochenenden die Züge gestürmt worden sind. Deshalb kam es nicht unerwartet.

hessenschau.de: Doch obwohl sich der Andrang sich vorab abgezeichnet hat, war das Gedränge groß und viele Züge überfüllt. Mancherorts mussten Reisende auf den nächsten Zug warten. Woran hat es aus Ihrer Sicht gehapert?

Zecher: Ein wesentlicher Punkt ist, dass die Reserven gar nicht vorhanden sind, um jetzt kurzfristig mehr Platz und Kapazitäten anbieten zu können oder zusätzliche Züge fahren zu lassen. Bei den einzelnen Eisenbahn-Unternehmen ist weder das Personal vorhanden noch entsprechende Züge, um zusätzliche Angebote fahren zu können.

hessenschau.de: Sind es also Versäumnisse aus den vergangenen Jahren, die dann bei so einer Aktion wie dem 9-Euro-Ticket zu Tage treten?

Zecher: Es sind nicht unbedingt Versäumnisse. Ich sage mal, das zeugt manchmal bei solchen Beschlüssen auch etwas von Unkenntnis der tatsächlichen Lage. Der Nahverkehr wird in Hessen über den RMV und NVV ausgeschrieben, und dort werden die Linien mit entsprechender Platzkapazität in der Ausschreibung definiert.

Dementsprechend stellen die Eisenbahnverkehrsunternehmen nur diese Kapazitäten zur Verfügung und kaufen nur die Fahrzeuge, die in der Ausschreibung gefordert werden. Und weder der RMV und NVV haben in den Ausschreibungen Puffer-Reserven vorgesehen - da geht es ja auch um die Frage, wer das dann finanziert.

hessenschau.de: Ist das Ticket aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit, die Menschen auf den Geschmack zu bringen, öfter Bahn zu fahren? Oder ist es vielleicht sogar kontraproduktiv, weil man das Fahren als sehr stressig erlebt?

Zecher: Diese Gesamteinschätzung zu treffen, wird jetzt nach dem ersten "Chaos-Wochenende" natürlich schwierig. Der Andrang war schon extrem. Die Frage ist, wie sich das in den nächsten zwei, drei, vier Wochen entwickelt, ob die Wochenenden genau so chaotisch werden und die Leute eher abgeschreckt werden.

Aber was ich an Einschätzungen gehört habe von Menschen, die nicht so oft mit der Bahn fahren, ist, dass das Angebot sie dazu gebracht hat, überhaupt mal wieder die Bahn zu nutzen. Es gibt aber auch Rückmeldungen von Menschen, die es das erste Mal genutzt und sich beschwert haben. Nach dem Motto: "Jetzt wollten wir mit dem Zug fahren und der war total überfüllt. Das werden wir nicht mehr tun".

Das hängt sehr davon ab, wann sie genau gefahren sind und wo sie gefahren sind. Wir hatten in den Bereichen, in denen die Nahverkehrszüge relativ lange Strecken fahren, eine extrem hoch Auslastung. Aber wir haben die Hoffnung, dass sich das etwas normalisiert und dass dann auch der positive Effekt eintritt. Wobei das Kapazitätsproblem damit natürlich nicht gelöst ist.

hessenschau.de: Ursprünglich hatte die Politik das Ticket vor dem Hintergrund beworben, man wolle vor allem Pendler zu überzeugen, auf die Bahn umzusteigen. Für wie erfolgsversprechend halten Sie dieses Vorhaben?

Zecher: Wir haben immer noch das Problem, dass gerade im ländlichen Raum das Angebot von der Taktung her nicht ausreichend ist. Da fährt einmal die Stunde oder alle zwei Stunden ein Bus, samstags oder sonntags nur zwei oder drei Busse am Tag.

Da muss das Angebot verbessert werden, damit es überhaupt dauerhaft genutzt werden kann. Egal ob das jetzt Studentinnen und Studenten sind, Berufstätige, oder auch Rentnerinnen und Rentner, die zum Einkaufen oder zum Arzt fahren wollen. Das Angebot muss entsprechend ausgeweitet werden. Und dafür fehlt der Plan.

hessenschau.de: Von Seiten der Linken kam der Vorschlag, man solle in den überfüllten Zügen auch die erste Klasse für alle öffnen. Halten Sie das für die drei Monate für eine gute Option?

Zecher: Jeder Sitzplatz, der momentan mehr zur Verfügung gestellt wird, ist erstmal eine Möglichkeit, die wenigstens kurzfristig Entlastung bringt. Bevor in der ersten Klasse Luft durch die Gegend gefahren wird, ist es sinnvoll, dass man diese Sitzplätze und Kapazitäten zusätzlich zur Verfügung stellt.

Klaus Zecher Pro Bahn

hessenschau.de: Kommende Woche ist wieder ein Feiertag, auch die Sommerferien rücken näher, zusätzlich starten an einigen Strecken bald größere Bauarbeiten und Sperrungen. Was erwarten Sie?

Zecher: Durch die massiven Baumaßnahmen, die in den Sommermonaten geplant sind, wird es zusätzliche Verspätungen geben. Dadurch, dass das Gesamtkonzept nicht steht, sondern nur das 9-Euro-Ticket ausgerufen worden ist, besteht natürlich auch die Gefahr, dass Menschen davon abgeschreckt werden.

hessenschau.de: Vor allem bei der Main-Weser-Bahn, einer wichtigen Nord-Süd-Verbindung, könnte Chaos drohen.

Zecher: Das hängt mit der Baustelle einmal zwischen Frankfurt und Bad Vilbel zusammen, wo der viergleisige Ausbau läuft. Gleichzeitig wird aber weiter oben auf der Strecke, zwischen Marburg und Kassel, auch gebaut. Da sind viele Fahrgäste unterwegs, die von Frankfurt nach Kassel fahren, und weiter Richtung Norden. Auf dieser Strecke gehen wir davon aus, dass es doch stärker zu Problemen kommen könnte.

hessenschau.de: Der Bund plant mit Kosten von zweieinhalb Milliarden Euro für diese drei Monate. Hätte man das Geld aus Ihrer Sicht an anderer Stelle sinnvoller investieren können?

Zecher: Das 9-Euro-Ticket ist erstmal politisch ein Aushängeschild, um zu sagen: "Wir machen ja was für den ÖPNV" - und deshalb gibt es hier auch dieselbe zeitliche Befristung wie bei einer anderen Maßnahme, dem Tankrabatt.

Sinnvoller wäre es gewesen, sich darüber Gedanken zu machen, ob man sagt, das Ticket gibt es für 20 oder 30 Euro - und den Rest nutzen wir dafür, um längerfristig zusätzliche Angebote bereitzustellen. Dafür hätte man aber auch bei den Verkehrsunternehmen nachfragen müssen: Was habt ihr noch an Kapazitäten? Was ist an Angebotsverbesserung noch möglich? Und das hätte man damit finanzieren können.

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Wäre das Geld an anderer Stelle im ÖPNV besser investiert gewesen?

hessenschau.de: Wie blicken Sie auf das Experiment 9-Euro-Ticket? Und was braucht es, um auch nach diesen drei Monaten Bus und Bahn für die Menschen attraktiver zu machen?

Zecher: Den ersten Punkt sieht man ja schon: Die Menschen sind bereit, wenn es vom Preis her attraktiv ist, die Bahn zu nutzen. Das ist erst mal positive Reaktion von den Menschen - dass sie es genutzt haben.

Langfristig ist es notwendig, die Fahrzeugkapazitäten zu erhöhen und die Infrastruktur auszubauen. Es braucht natürlich Zeit, das, was in den letzten 20, 30 Jahren zurückgebaut wurde, zu erneuern oder neu zu bauen. Oder auch stillgelegte Strecken wieder in Betrieb zu nehmen. Aber es ist auch wichtig, dass vom Land Hessen Geld zur Verfügung gestellt wird, damit überhaupt solche Kapazitäten und Fahrplanangebote verbessert werden können.

Das wichtige Ziel für die Zukunft der Mobilität: Wir sehen eine Chance im öffentlichen Nahverkehr und im Schienenpersonenverkehr, wenn es dauerhaft günstiger wird – und auch so günstig und so barrierefrei wird, dass jeder einsteigen kann. Ohne zu überlegen, welche Fahrkarte brauche ich oder welches Tarifsystem gilt hier? Einfach einsteigen und den ÖPNV nutzen. Und die Finanzierung muss auf andere Beine gestellt werden.

Die Fragen stellte Tanja Stehning.

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