Kunden müssen draufzahlen Gas.de kündigt Verträge mit 12.000 Haushalten in Hessen
Audio
Kündigungen durch Gas-Billiganbieter

Das Unternehmen Gas.de liefert kein Erdgas mehr. Über 12.000 Kunden in Hessen müssen in die meist teurere Ersatzversorgung wechseln. Verbraucherschützer raten ihnen zu rechtlichen Schritten.
Die "unerfreuliche Nachricht" ihres Energieversorgers Gas.de erhielt Myrella Dorn aus Frankfurt per Mail. "Wir kündigen hiermit den zwischen uns bestehenden Gasliefervertrag mit Ablauf des 02.12.2021. Zu diesem Termin haben wir die Belieferung mit Gas eingestellt", heißt es darin.
Die Frankfurterin hatte bis dahin mit Erdgas der Gas.de-Vertragspartner Grünwelt geheizt. "Habe ich überhaupt noch warmes Wasser?", habe sie sich im ersten Moment schockiert gefragt. "Im zweiten Moment war ich direkt sauer", sagt die 32-Jährige, "weil ich scheinbar seit sechs Tagen schon nicht mehr mit Gas beliefert wurde und davon nichts wusste." Dorn bekam weiterhin Gas, wusste aber noch nicht, dass sie fortan vom kommunalen Grundversorger beliefert wurde.
Begründung: "Nie dagewesene Preisexplosion"
Wie Myrella Dorn geht es Tausenden Kunden und Kundinnen des Unternehmens aus Neuss in Nordrhein-Westfalen. Gas.de begründet seine rückwirkenden Vertragskündigungen mit der "nie dagewesenen Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen".
Schon im Oktober war es zu Kündigungen von Energieanbietern aufgrund der gestiegenen Gas- und Strompreise gekommen. Nun hat der Lieferstopp aber ein neues Ausmaß erreicht: Allein in Hessen sind es nach hr-Recherchen über 12.000 Haushalte, die nach dem Lieferstopp von Gas.de und Grünwelt in die Ersatzversorgung durch kommunale Anbieter fallen.
So viele Kunden fielen seit dem Lieferstopp von Gas.de in Ersatzversorgung
- ENTEGA: 5.000 in Südhessen und Mainz
- Mainova: 5.000 im Raum Frankfurt
- Süwag: 3.500 in Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern
- ESWE Versorgung: 1.500 in Wiesbaden
- Stadtwerke Kassel: 1.000
- Stadtwerke Gießen: 600
- Stadtwerke Langen: 150
(Bisher bestätigte Zahlen auf hr-Anfragen)
Ende der weiteren InformationenDie betroffenen Kundinnen und Kunden sitzen nun trotzdem nicht in kalten Wohnungen: Die Grundversorger seien dazu verpflichtet, die Verbraucherinnen und Verbraucher aufzunehmen, sagt Peter Lassek, Rechtsanwalt bei der Verbraucherzentrale Hessen.
Verbraucherzentrale: "Sache des Unternehmens, rechtzeitig einzukaufen"
Myrella Dorn befürchtet allerdings, dass sie in der Grundversorgung nun mehr zahlen muss. "Das verärgert natürlich und hinterlässt ganz viele Fragezeichen", sagt sie. Ein anderer Grünwelt-Kunde schreibt dem hr, dass er bereits wisse, nun das Doppelte zahlen zu müssen.
Peter Lassek von der Verbraucherzentrale empfiehlt den Betroffenen, wenn möglich Schadensersatz geltend zu machen. "Wem in der Grundversorgung höhere Kosten entstehen, der kann diese Differenz bei dem kündigenden Unternehmen geltend machen", sagt er. Wirtschaftliche Gründe, mit denen das Unternehmen die kurzfristigen Lieferstopps begründet, hält Lassek nicht für ausreichend. "Es ist einzig und allein Sache des Unternehmens, rechtzeitig einzukaufen und die Preise zu kalkulieren, damit es die vertraglichen Zusagen gegenüber den Kunden einhalten kann", sagt der Rechtsanwalt.
Ingo Pijanka, Sprecher der Städtische Werke AG Kassel, sieht das anders. "Das spießige Stadtwerk", wie er sagt, müsse nun nachkaufen, die Preise massiv erhöhen und stehe blöd da. "Weil sich diejenigen, die immer den billigsten Preis wollen, verzockt haben." Schließlich reiche die eingekaufte Energie nicht für 1.000 neue Kunden aus, die die Städtische Werke AG Kassel nun verpflichtet sei zu übernehmen.
"Geschäftsmodell der Billiganbieter ist implodiert"
Ähnlich argumentiert Frank Rolle, Sprecher der ESWE in Wiesbaden. Das Gas, das der Grundversorger derzeit ausliefere, habe man bereits vor ein bis zwei Jahren eingekauft. Die benötigte Menge habe man in kleineren Tranchen gekauft. "Mal ist das Angebot besser, mal schlechter." So könne der Versorger aber gewährleisten, dass sich massive Ausschläge auf dem Markt, wie es sie gerade gibt, nicht so sehr bei den Kunden bemerkbar machten. Bei den "Billiganbietern" wie Gas.de sei das anders.
Auch Pijanka sagt: "Das Geschäftsmodell der Billiganbieter ist jetzt implodiert." Laut Verbraucherschützer Lassek haben die Discounter-Versorger mit günstigen Preisen gelockt, so dass zu viele Kundinnen und Kunden gleichzeitig zu ihnen wechselten.
Augen auf bei der Versorger-Wahl
Er empfiehlt den ehemaligen Kundinnen und Kunden von Gas.de, bei der Wahl des Versorgers in Zukunft vorsichtiger zu sein. "Wie lange ist ein Angebot oder ein seriöser Anbieter schon am Markt?", sei eine Frage, die sich gut recherchieren lasse. Und dann: "Nicht unbedingt bei den Erstbesten zuschlagen, die ganz oben in den Rankinglisten der Vermittlungsportale stehen."
Auch Myrella Dorn will sich nun nach einem neuen Gaslieferanten erkundigen - vielleicht auch erstmal bei dem Grundversorger Mainova, der sie aktuell in die Ersatzversorgung aufgenommen hat. "Dort gelandet zu sein, ist vielleicht nicht unbedingt das Schlechteste", meint Lassek.
Neukunden müssen mit höheren Preisen rechnen
ESWE-Unternehmenssprecher Rolle dämpft aber die Hoffnung auf die günstigen Bedingungen bei den Grundversorgern. Die vielen unerwarteten Neukunden seien für das Unternehmen eine Herausforderung. Wenn man jetzt teurer nachkaufen müsse, solle das nicht auf die Bestandskunden zurückfallen - sondern auf die neuen Kunden in der Ersatzversorgung.