Nachhaltiger Kunststoff Kleiderbügel und Co. aus Odenwälder Wiesengras

Ein Unternehmen aus dem Odenwald hat ein Rezept für einen besonders nachhaltigen Kunststoff entwickelt. Eine der Hauptzutaten: frisch gemähtes Gras aus der Region. Eine große Drogeriekette nutzt den Wiesen-Werkstoff jetzt bundesweit in ihren Filialen.
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Odenwälder Firma stellt Kunststoff aus Gras her

Wer das Gelände der Firma Biowert im beschaulichen Odenwälder Örtchen Brensbach betritt, bekommt sofort eine Vorahnung, womit hier gearbeitet wird. Ein leicht fauliger Geruch liegt in der Luft. Hinter dem Fabrikgebäude steht ein großes Silo, in dem der wichtigste Rohstoff des Unternehmens wortwörtlich vergammelt: Odenwälder Wiesengras.
Was sonst hauptsächlich in den Mägen hungriger Wiederkäuer landet, dient Biowert als Basis für ihr nach eigenen Angaben weltweit einzigartiges Produkt: einem Kunststoff, der zur Hälfte aus Gras besteht. Das sogenannte "Agriplast" wird unter anderem zur Herstellung von Spielzeug, Tassen, Kisten oder Terrassendielen verwendet. In der Drogeriemarkt-Kette DM hängt seit kurzem die Baby- und Kinderkleidung bundesweit in allen Filialen auf Kleiderbügeln, die aus dem naturfaserverstärkten Kunststoff hergestellt wurden.
"Es freut uns natürlich sehr, dass unser Produkt durch den Einsatz bei DM noch bekannter wird", sagt Geschäftsführer Jens Meyer zu Drewer. Die Kleiderbügel selbst werden von der Firma Cortec hergestellt, ebenfalls ein Unternehmen aus dem Odenwald. Das Material dafür liefert Biowert.
Halb Gras, halb altes Plastik
Zur Herstellung von "Agriplast" werden zwei Zutaten benötigt: Wiesengras und Mehl aus recyceltem Kunststoff, etwa im Verhältnis 50:50. Das Gras wird zunächst in ein Silo gebracht, wo es fermentiert - daher der faulige Geruch. "Aus dieser Gras-Silage extrahieren wir dann die Grasfaser", erklärt Meyer zu Drewer. Das passiert in der sogenannten "Grasfabrik", wie das Unternehmen seine Produktionsstätte getauft hat.
Dort wird der extrahierten Faser dann auch das Kunststoff-Mehl beigemischt. Anschließend wird das Gemisch zu einem Granulat verarbeitet, dem "Agriplast". Es ähnelt ein wenig den Stroh-Pallets, die etwa zum Einstreuen in Hasenställe verwendet werden. Das Granulat wird dann an Kunden - wie zum Beispiel Cortec – verkauft, die daraus ihre Produkte herstellen.

Weniger abhängig von Erdöl
Weil "Agriplast" zur Hälfte aus altem Kunststoff besteht, ist es nicht vollständig abbaubar. Ohne geht es aber nicht, erklärt Meyer zu Drewer, denn sonst würde man die Stabilität verlieren. Dennoch leiste der Gras-Kunststoff einen "signifikanten" Beitrag zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit. "Herkömmliche Kunststoffe sind sehr stark von Erdöl abhängig. Wir können diese Abhängigkeit um bis zu 50 Prozent reduzieren", so der Geschäftsführer. Zudem sei Recycling oft ressourcenschonender als die Herstellung von komplett neuen Produkten.
Ein weiterer Vorteil sei die Haltbarkeit: "Unsere Grasfaser-Kunststoffe haben eine höhere Festigkeit und gehen nicht so schnell kaputt." Somit falle deutlich weniger Abfall an. Der Kleiderbügel aus den DM-Filialen etwa sei sehr lange haltbar, sagt eine Sprecherin von Biowert. "Und gehen doch einmal Bügel kaputt, können diese an den Hersteller zurückgeschickt werden, wo sie dann geschreddert und zu neuen Bügeln verarbeitet werden."

Glaubt man Meyer zu Drewer, können Kunden, die Agriplast-Produkte nutzen, ihren CO2-Fußabdruck in diesen Bereichen um mehr als 60 Prozent senken. Der Umweltgedanke umfasst bei Biowert aber nicht nur das Produkt, auch der ganze Herstellungsprozess ist hinsichtlich Nachhaltigkeit optimiert. "Wir beziehen das Gras direkt aus dem Odenwald von Landwirten aus der Region", sagt Meyer zu Drewer.
Biowert produziert seine Energie selbst
Die Energie für die Produktion gewinnt Biowert aus einer eigenen Biogas-Anlage, in der auch die Abfälle aus der Fabrik verarbeitet werden. Durch diesen Kreislauf entstehen in der Grasfabrik nach Angaben des Unternehmens keinerlei Abfälle oder Abwässer. Weil Wiesengras ein schnell nachwachsender Rohstoff ist, würden zudem kaum Ressourcen verbraucht. Biowert achte zudem darauf, dass für die Gewinnung des Grases keine Grünflächen umgewandelt werden, die etwa Insekten oder Vögeln als Lebensraum dienen.
Die Biowert-Anlage in Brensbach wurde bereits vor über 15 Jahren in Betrieb genommen. Damals sei das Unternehmen für seine Ideen noch belächelt worden. Mittlerweile steige das Interesse am Gras-Kunststoff aber immer stärker. "Jede Firma, die eine CO2-Reduzierung nachweisen muss, hat ein großes Interesse, mit nachwachsenden Rohstoffen und Bio-Kunststoffen zu arbeiten", so Meyer zu Drewer. Er denkt da beispielsweise an die Automobilindustrie.
Herstellung von abbaubarem Kunststoff geplant
Seit der Gründung hat Biowert die Produktionskapazität bereits vervierfacht. Auch Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir war bereits zu Gast in Brensbach, um sich selbst ein Bild von der nachhaltigen Innovation zu machen. Am Ziel sieht sich Biowert aber noch lange nicht. Meyer zu Drewer will sich etwa noch intensiver mit dem Thema Recycling beschäftigen.
"Zudem wollen wir uns auch auf die Herstellung von biologisch abbaubaren Kunststoffen fokussieren." In diesem Bereich gebe es ebenfalls eine stark steigende Nachfrage. Dafür sei aber noch etwas Entwicklungsarbeit nötig. Bis dahin dürfte noch viel Gras im Odenwald wachsen.