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Wie es nach dem 9-Euro-Ticket weitergehen kann

Handy mit dem Hinweis auf das 9-Euro-Ticket

Das 9-Euro-Ticket hat einen enormen Andrang auf den ÖPNV ausgelöst. Über eine Million Tickets wurden in Hessen verkauft. Zwei Monate läuft das Angebot noch - und dann? Verkehrsverbünde, Politik und Experten suchen Lösungen für die Zeit danach.

Allein der Blick auf proppevolle Bahnsteige hat zum Start des 9-Euro-Tickets genügt, um zu wissen: Das Angebot ist der Renner. Rund eine Million Tickets wurden in Hessen bisher verkauft, 900.000 allein im Gebiet des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) und über 100.000 beim Nordhessischen Verkehrsverbund (NVV). Ein Erfolg, an den die Verbünde gerne anknüpfen würden - wenn sie denn könnten.

RMV-Geschäftsführer Knut Ringat freut sich über die hohe Nachfrage, "weil dies den Willen der Menschen zeigt, Bus und Bahn zu nutzen, wenn das Angebot stimmt." Und wenn das Angebot ausläuft? Dazu stellt der RMV gleich klar: Sollte der Bund das 9-Euro-Ticket nicht weiter finanzieren, werde man ab 1. September zum alten Tarifmodell zurückkehren - Preiserhöhungen inklusive. Und genau danach sieht es derzeit aus.

Denn der Bund will das 9-Euro-Ticket nach Ende August nicht weiterführen - zumindest nicht in der aktuellen Form. Das Angebot sei zeitlich befristet im Gesetz angelegt, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in dieser Woche. Teurer dürfte es ab 1. September also werden. Aber lässt sich trotzdem an die 9-Euro-Euphorie anknüpfen, damit neue Fans von Bus und Bahn nicht gleich wieder ins Auto einsteigen?

Klimatickets als Nachfolger?

Ein konkretes Konzept hat die Stadt Darmstadt bereits vorgelegt: Sie will ihren Bürgern ab 1. September ein "Klimaticket" anbieten. Der Deal: Wer sein Auto abgibt oder neu nach Darmstadt zieht, bekommt das Gratis-Ticket für den dortigen Nahverkehr. Kostenpunkt für die Stadt: bis zu einer halben Million Euro. Fridays for Future und die Darmstädter SPD bemängeln allerdings, dass Menschen, die schon jetzt kein Auto besitzen, von dem Angebot nicht profitieren könnten.

Ein "Klimaticket" kann sich offenbar auch die Bundesregierung als Nachfolger des 9-Euro-Ticket vorstellen. Das berichtete kürzlich das Handelsblatt. Anders als in Darmstadt scheint aber noch völlig offen, wie das konkret aussehen soll: Die Rede ist von einem einheitlichen Länder-Nahverkehrs-Ticket als Monats- oder Jahresfahrkarte. Kosten für die Nutzer: unklar. Der Bund sei bereit, die Länder dabei "finanziell zu unterstützen", hieß es. In welcher Höhe: ebenfalls offen.

Auf bereits bestehende Angebote wie das Schüler- oder Seniorenticket verweist die Stadt Frankfurt. Außerdem prüfe man Vergünstigungen für weitere Gruppen: Zum Beispiel ein 365-Euro-Jahresticket für alle Frankfurter oder ein einmaliges Gratis-Monatsticket für neu Zugezogene und Eltern von Neugeborenen. Spruchreif sind die Ideen noch nicht. Die Stadt Wiesbaden will den Preis für das Schülerticket halbieren und dafür die Bewohnerparkgebühren erhöhen.

Einfachheit ist Trumpf

"Ich glaube, dass viele gern mit dem 9-Euro-Ticket fahren, weil es so einfach ist", sagt Marian Zachow, CDU-Politiker und Erster Kreisbeigeordneter im Landkreis Marburg-Biedenkopf. So entfalle etwa das Grübeln über Tarifgrenzen. Denn davon habe sein Landkreis gleich mehrere - in der Mitte Hessens zwischen RMV und NVV, plus Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen. Eine einfache, bundesweite Lösung würde sich Zachow auch für die Zukunft wünschen - und ist damit nicht allein.

Auch Mathias Biemann, Sprecher der Regionalgruppe Rhein-Main des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), glaubt, dass der Nahverkehr für viele schon wegen des "Tarifdschungels" unattraktiv ist: "Die Leute haben keine Lust, sich damit auseinanderzusetzen. Sie wollten sich wie im Auto einfach reinsetzen und losfahren." Deshalb findet Biemann das 9-Euro-Ticket in seiner Einfachheit unschlagbar. CDU-Politiker Zachow sieht allerdings auch eine Schwachstelle: den ländlichen Raum.

Dorf-Rabatt: eine Idee aus Mittelhessen

Auf dem Land sei das Angebot oft schlecht, der Preis trotzdem hoch und die Nachfrage deshalb gering. Genau da müsste ein möglicher Nachfolger des 9-Euro-Tickets ansetzen, findet Zachow. In einem Gastbeitrag im Tagesspiegel fordert er eine Art Dorf-Rabatt: "Jeder Kunde soll die Möglichkeit bekommen, zusätzlich zur Monatskarte für eine größere Stadt, einfach pro Kilometer, der weiter ins Umland führt, jeweils nur einen Euro-Aufpreis auf die Monatskarte zu zahlen."

Statt 150 Euro würde die Monatskarte Marburg-Stadtallendorf dann nur 75 oder 80 Euro kosten, rechnet er vor. Zu billig dürften die Tickets aber nicht werden, glaubt Zachow. Dann würde das Geld für Investitionen fehlen.

Verbände wollen Flatrate-Ticket

Während der CDU-Mann aus Mittelhessen betont, er wolle keine "Ramschdiskussion" im ÖPNV, zielen andere ganz explizit auf den Preis: Die Deutsche Umwelthilfe hat eine Petition für ein 1-Euro-Ticket (oder 365-Euro-Ticket) gestartet, mit der sie sich direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wendet. Die Forderung: Bus und Bahn fahren in ganz Deutschland für einen Euro pro Tag. Fast 150.000 Menschen haben bislang unterschrieben.

Dass solche "Flatrate-Tickets" als Nachfolger für das 9-Euro-Ticket taugen könnten, glaubt auch Mathias Biemann vom VCD. Die Variante 1-Euro-Ticket findet er noch kundenfreundlicher als ein 365-Euro-Jahresticket, weil Menschen mit wenig Geld dann keinen so großen Betrag auf einmal zahlen müssten. Einen Nachteil muss Biemann allerdings einräumen: "Wenn man das Ticket so nennt, wäre keine Preisentwicklung mehr möglich." Und genau da liege der Knackpunkt für die Verkehrsverbünde.

RMV und NVV führen "Bahncard" ein

Aus eigener Kraft können die Verkehrsverbünde ein Angebot wie das 9-Euro-Ticket nicht stemmen, das haben sie deutlich gemacht. Denn Nahverkehr ist ein Zuschussgeschäft: Ticketeinnahmen decken nur 50 Prozent der Kosten - den Rest schießen Kommunen, Land und Bund zu.

Am Tarif-Wirrwarr wollen NVV und RMV aber offenbar etwas ändern. Der NVV freut sich dank 9-Euro-Ticket über bis zu 30 Prozent mehr Fahrgäste in Bussen und 50 Prozent mehr in Zügen. Er teilt auf Anfrage mit, er stelle sein Tarifsystem und seine Ticketsorten gerade "auf den Prüfstand".

Ab kommendem Jahr soll es eine Nahverkehrs-Bahncard mit Rabatt auf Gelegenheitsfahrten geben, wie sie auch der RMV bereits angekündigt hat. Außerdem soll eine App dafür sorgen, dass Kunden, egal wie oft sie fahren, nicht mehr zahlen als für eine Tageskarte. Nahverkehrsexperte Biemann sieht diese Angebote skeptisch: "Das ist nicht die Zukunft des einfachen ÖPNV."

Finanzierung als Knackpunkt

Als klar wurde, dass der Bund das 9-Euro-Ticket nicht weiter finanzieren will, schlug der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Alarm - mit Blick auf steigende Energiekosten: "Wenn diese Themen nicht schnellstens gelöst werden, dann diskutieren wir über Angebotseinschränkungen im ÖPNV ab Herbst", warnte VDV-Präsident Ingo Wortmann.

Auch RMV-Geschäftsführer Knut Ringat kritisiert, dass eine politische Strategie für die Zeit nach dem 9-Euro-Ticket fehle. Erfolgreicher ÖPNV brauche einen langfristigen Ausbau - "und natürlich die Finanzierung dieses Ausbaus." Das sieht Hessens Verkehrsministerium zwar prinzipiell genauso, teilt aber auf Anfrage mit, die Zuschüsse für den ÖPNV in Hessen seien bereits kontinuierlich gestiegen: Von 662 Millionen Euro im Jahr 2014 auf 982 Millionen 2022 – so viel wie noch nie.

Derzeit verhandeln das Land und die Verkehrsverbünde wieder über Geld: für 2023. Das Budget müsse weiter steigen, "um auch in Zukunft Angebot und Infrastruktur ausbauen zu können", teilt Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) mit - und gibt die Forderung nach mehr Geld seinerseits weiter nach Berlin: "Hier muss Bundesverkehrsminister Volker Wissing endlich liefern."

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60 Kommentare

  • Prinzipiell bin ich dafür, dass der ÖPNV günstiger wird.
    Als ich noch in und um Frankfurt wohnte, hatte ich kein Auto und gab viel Geld für meine Jahreskarte aus, war aber gern in den Öffentlichen unterwegs.
    Jetzt wohne ich im Wetteraukreis in einem kleinen Ort. Zur 10 km entfernten Kleinstadt braucht der Schulbus ca. eine Stunde. Zu anderen Zeiten ist man 90 -180 Minuten unterwegs. Für die einfache Strecke. Der Weg zum Turnen: 8km. 60 Minuten hin, 83 Minuten zurück. Inkl. 30 Minuten warten zwischendurch. Plus Wartezeit, bis man überhaupt weg kommt.
    Wieso sollte ich für die ganze Familie Zusatzgebühren zahlen, wenn wir doch mit dem Auto fahren müssen.
    Wer jetzt noch fragt, warum wir nicht eine Teilstrecke einfach mit dem Rad fahren: Fehlende Radwege und vor allem ist es sehr bergig bei uns am Rande des Vogelsberges.

    Im ländlichen Raum müssten definitiv die An-/Verbindungen wesentlich besser werden, bevor man überhaupt den ÖPNV nutzen kann.

  • Ohne pünktliche Bahnen sind alle Ideen für die Katz. Denn im Vergleich zum Auto, wenn man sich die Mühe macht und alle Kfz-Nebenkosten und auch Anschaffung berechnet, war die Bahn schon immer billiger. Aber ständiges Zuspätkommen duldet kein Chef, und eine halbe Stunde früher fahren zur Sicherheit (hilft auch nicht immer) um dann in der Kälte darauf zu warten dass die Firma öffnet ist auch nicht sooo toll. Züge fallen einfach aus, oder man muss 4 Haltestellen vor der Ziel Haltestelle aussteigen und Freund nachts anrufen um abgeholt zu werden..... Ne ne ne..... Wer das ein paar Monate mitmacht, kauft sich schnell wieder ein Auto.

  • Ich habe durch das 9 EUR-Ticket tatsächlich zum ersten Mal nach langer Zeit von einer politischen Entscheidung profitiert. Ersparnis gegenüber meiner verbundübergreifenden Monatskarte über 200 EUR monatlich. Ich nutze schon länger den ÖPNV, da mein Wohnort auch in den Randzeiten relativ gut angebunden ist. Und es ist ein schönes Gefühl, mal spontan in einen Zug zu steigen und Freunde in Göttingen zu besuchen - das gesparte Junigeld habe ich übrigens nicht gehortet, sondern für Hotels und Restaurants ausgegeben, es bleibt also irgendwo im Kreislauf.
    Nebenbei: Zugausfälle, fehlende Kapazitäten und Verspätungen gab es auch vorher schon;
    wenn ich allerdings gefühlt "nichts" für die Fahrt bezahle, dann sinkt auch die persönliche Ärgerschwelle massiv.
    Für die Zukunft würde ich mir eine ähnliche Lösung für 50-100 EUR monatlich wünschen, gerne nach Einkommen gestaffelt und über Steuern gegenfinanziert.
    Wäre doch mal ein guter Anfang...

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