Aktivistin der "Letzten Generation" beim Protest in Frankfurt

Autofahrer geraten außer sich, Boulevard-Journalisten hetzen über "Klebstoff-Chaoten". Aber noch setzen eben zu viele auf motorisierten Individualverkehr - gerade in der Politik. Die Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" protestieren an der richtigen Stelle. Ein Kommentar.

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Wieder Klima-Blockaden auf Frankfurts Straßen

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Klima-Aktivisten haben sich in dieser Woche mehrmals auf Straßen in Frankfurt festgeklebt. Autofahrer mussten anhalten. Ihr Ärger ging so weit, dass manche von ihnen dem hr schrieben, man solle die Protestierenden einfach überfahren. Es handele sich um Kriminelle.

Mordfantasien wegen einer vorübergehend blockierten Straße? Ernsthaft?

Wenn Aktivisten gegen Gesetze verstoßen und sich strafbar machen, sind angemessene Strafen selbstverständlich angebracht. Aber ein solcher Zorn? Was die Praxis betrifft: Die Strecken, an denen sich die Vertreterinnen und Vertreter der "Letzten Generation" niederließen, sind im Berufsverkehr ohnehin voll. Es sind bekannte Einfallstraßen. Sicher, die Staus nun waren länger. Aber was Autofahrerinnen und Autofahrer gern vergessen: Sie selbst verursachen den Stau. Der Verkehr blockiert sich seit langem selbst. Jeden Tag.

Wenn die "Letzte Generation" gegen den "fossilen Wahnsinn" wettert, meint sie neben den Politikern, die zu zögerlich den Umstieg auf erneuerbare Energien vorantreiben, neben der Industrie, die zu lange auf Erdgas und Kohle setzte, eben auch diejenigen, die sich Tag für Tag im eigenen Pkw auf den Weg zum Arbeitsplatz, zur Kita ihrer Kinder oder nur zum Bäcker drei Straßen weiter machen.

Autos belegen in Städten viel zu viel Platz

Die Autos laufen meist mit Verbrennermotor, und sie werden größer und schwerer. Voriges Jahr war gut jedes dritte neu zugelassene Auto ein SUV oder Geländewagen, ein Plus von sieben Prozent. In Frankfurt war zuletzt jedes zehnte Auto ein SUV. Geparkt besetzt so ein Bolide an die zehn Quadratmeter.

Gewiss, die Frankfurter Stadtverwaltung zum Beispiel verteilt nun endlich den Straßenraum neu, nimmt Autos in etlichen Hauptverkehrsachsen Fahrspuren weg, richtet Radwege ein und lässt mehr Busse und Bahnen fahren. Dennoch kann jeder sehen: Am Fahrbahnrand sind die meisten Straßen in Städten zu Stellflächen für private Klimaschädlinge verkommen. Mobilitätsforscher wie Benedikt Weibel belegen, dass der Straßenraum weit überproportional für Autos ausgelegt sind.

Und die Hälfte der im Auto zurückgelegten Strecken sind kürzer als zehn Kilometer. Wer dafür statt Rad, Bahn oder Bus den eigenen Ein- bis Zwei-Tonner nutzt, tut dies auf Kosten aller.

Wer ein besseres ÖPNV-Netz will, muss sich dafür einsetzen

Jetzt kommen die Einwände: Nicht jeder wohnt in der Stadt, auf dem Land fahren Bus und Bahn selten oder gar nicht, die Einkaufstüten sind zu schwer zum Tragen, nicht alle sind zu gut zu Fuß, mit dem Auto brauche ich eine halbe Stunde weniger. Dazu ist zum einen zu sagen: Dem Klima ist der Grund für eine Autofahrt egal. Es nimmt durch CO2-Ausstoß Schaden. Punkt.

Zum anderen kann jede oder jeder auf ihre oder seine Politiker vor Ort, Landtags- und Bundestagsabgeordneten einwirken, damit das öffentliche Verkehrsnetz dichter und zügiger ausgebaut wird.

Wir gefährden neben der Natur die Zukunft unserer Kinder

Wir alle wissen: Wenn wir den Klimawandel noch einigermaßen erträglich halten wollen, können wir nicht länger damit warten, unser Verhalten radikal zu ändern. Wir verschleppen das seit Jahrzehnten. Die "Letzte Generation" nennt sich nicht ohne Grund so. Wissenschaftler sagen voraus, dass Hunderte von Millionen von Menschen wegen extremer Dürren oder Überflutungen sterben. Dann werden unsere Kinder keine Gletscher mehr sehen, in Zeeland Urlaub machen oder auch nur durch einen intakten Wald laufen können. Und das alles auch deshalb, weil wir zu bequem waren, umzusteigen?

Der Verkehrssektor hat bisher nicht dazu beigetragen, dass Deutschland seinen CO2-Ausstoß mindert. An der Politik liegt es, den ÖPNV endlich so auszubauen, dass auch Menschen auf dem Land eine vernünftige Alternative zum Pkw haben. In den Umbau des Energiesektors und der Industrie hin zur CO2-Neutralität scheint mit der Ampel in Berlin zwar endlich Bewegung zu kommen. Beim Verkehr agiert die Politik aber zu träge - auch in Hessen, wo die Grünen seit bald zehn Jahren mitregieren und den zuständigen Minister stellen.

Der grüne Verkehrsminister ist in der Pflicht

Dass im vorigen Jahr in ganz Hessen zwölf Kilometer Radwege an Landstraßen gebaut wurden, stellt Tarek Al-Wazir ein Armutszeugnis aus. Vom geplanten Radschnellweg zwischen Darmstadt und Frankfurt wurden nach dreijähriger Planungsphase seit 2018 dürftige sechs Kilometer gebaut - dabei soll es ein Leuchtturmprojekt sein. An der Regionaltangente West zur Entlastung des Frankfurter S-Bahn-Tunnels wird erst seit diesem Frühjahr gebaut - geplant war das für 2014, damals war der grüne Minister schon im Amt.

Al-Wazir muss dafür sorgen, dass die Infrastruktur für nachhaltigen Verkehr viel schneller ausgebaut wird. Er muss auf die Ampel-Koalition in Berlin mit seinen grünen Parteifreunden einwirken, dass die Autobahnen rund um Frankfurt nicht ausgebaut werden, auch wenn das vor etlichen Jahren mal in den Bundesverkehrswegeplan geschrieben wurde. Die Planungskapazitäten und das Geld dafür wären sinnvoller in Radwege und ÖPNV gesteckt.

Aber umsteigen, das muss jede Autofahrerin und jeder Autofahrer schon selbst. Wer es nicht tut, richtet mehr Schaden an, als Klima-Blockaden der "Letzten Generation" es je könnten.

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