Gemüse in einer Kiste

Alles wird teurer. Die Folgen des Ukraine-Krieges machen auch hessischen Landwirten das Leben schwer. Vor allem Bio-Bauern klagen über Umsatzeinbrüche. Es gibt Alternativen zu traditionellen Bio-Betrieben, aber massentauglich sind die kaum.

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Hessische Bio-Betriebe in der Krise

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Rollwägen rattern über den Boden, in den Gängen stapeln sich grüne Plastikkisten - leere und solche gefüllt mit Blumenkohl, Karotten oder Zucchini. Hier in der Packhalle in Reichelsheim (Wetterau) füllen die Angestellten Gemüse-Kisten für den Bio-Lieferdienst Querbeet. Aber die Kisten sind nicht so prall bepackt wie sonst. Der Grund: Seit Beginn des Ukraine-Krieges kaufen Kundinnen und Kunden anders - billiger - ein. Die Nachfrage nach regionalen Bio-Lebensmitteln sinkt, der Umsatz bricht ein.

Querbeet-Gründer Thomas Wolff in der Pack-Halle des Lieferdienstes

Große Bio-Betriebe wie der Lieferdienst Querbeet boomten in den vergangenen Jahren. "Wir sind immer moderat gewachsen. Zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir sogar deutlich ausgebaut", sagt Thomas Wolff. Er hat den Lieferservice vor fast 30 Jahren auf dem Pappelhof in Reichelsheim mitgegründet. Inzwischen verkauft der Direktvermarkter rund 4.000 Bio-Produkte, darunter selbst angebautes Obst und Gemüse.

Aber dieses Jahr ist alles anders als sonst. Beim Spargel und den Erdbeeren konnte Querbeet nicht alle Ware loswerden. Jetzt steht die Urlaubszeit vor der Tür, und Gemüse ist erntereif. Sorgen macht Wolff sich etwa um die Tomaten. "Wer eineinhalb Kilo bestellt hat, nimmt jetzt zum Beispiel nur noch ein halbes Kilo", sagt er. Einige Kunden sind bereits abgesprungen: Vor dem Krieg habe der Lieferservice 2.600 Menschen erreicht, jetzt seien es noch 2.100. Insgesamt sei der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um etwa 20 Prozent zurückgegangen.

Pack-Halle des Bio-Lieferdienstes Querbeet in der Wetterau

Alles wird teurer, für Bio bleibt kein Geld

Andere Bio-Landwirte berichteten sogar von bis zu 50 Prozent Umsatzeinbußen, sagt Tim Treis, Vorsitzender der Vereinigung Ökologischer Landbau in Hessen (VÖL). "Das kann die Existenz bedrohen." Und führe dazu, dass es weniger Bio geben könnte und Höfe aufgeben oder zurück zur konventionellen Landwirtschaft wechseln müssten.

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Bio-Landwirtschaft in Hessen

Derzeit gibt es in Hessen rund 2.418 Bio-Landwirtschaftsbetriebe (Stand 2021). Sie bewirtschaften rund 16 Prozent der Anbauflächen im Land. Hessen gehört damit deutschlandweit zu den Spitzenreitern beim Ökolandbau. Das vom Umweltministerium ausgerufene Ziel: Bis 2025 sollen 25 Prozent der Flächen ökologisch bewirtschaft werden.

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Ist das, was Querbeet und andere Betriebe erleben, nun eine weitere von vielen Krisen in der Landwirtschaft? In diesem Ausmaß hätten sie das noch nie erlebt, sagen Treis und Querbeet-Gründer Wolff. Schuld an der Entwicklung seien keineswegs steigende Preise für Bio-Lebensmittel, denn die gebe es nur vereinzelt. Vielmehr führe die mit dem Ukraine-Krieg einhergehende wirtschaftliche Situation dazu, dass die Menschen weniger regionale Bio-Produkte kauften, da die mehr kosten als andere Lebensmittel, so Treis.

Das bestätigt auch der Bundesverband Naturkost Naturwaren, laut dem Bio-Läden und Bio-Supermärkte in den ersten drei Monaten dieses Jahres deutlich weniger Ware verkauften als im Vorjahreszeitraum. Im März seien die Umsätze pro Tag mehr als 18 Prozent niedriger gewesen. Ähnlich sei die Tendenz im Bio-Großhandel. 

Forderungen an Politik, Handel und Verbraucher

Um dem entgegenzuwirken und Bio zu stärken, fordert eine neu gegründete Allianz hessischer Umwelt- und Agrarverbände wie der VÖL ein konsequentes Handeln von der Politik, dem Lebensmitteleinzelhandel und den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Denn es seien die regionalen Bio-Betriebe, deren Lebensmittel zugunsten von Discounter-Produkten im Regal stehen gelassen würden.

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Inflation weiter auf Rekordniveau

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Dabei brauche es den hessischen Öko-Landbau gerade jetzt, sagt Tim Treis von der VÖL. "Der Ukraine-Krieg hat deutlich gemacht, dass wir abhängig sind von Energielieferungen aus Russland oder anderen Ländern. Der Öko-Landbau ist unabhängig und wirtschaftet mit natürlichen Ressourcen." Das sei angesichts des Klimawandels und des Biodiversitätsverlustes wichtiger denn je. Die Politik solle anerkennen, dass die konventionelle Landwirtschaft ein Auslaufmodell sei.

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Ökologische Landwirtschaft in der Krise

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Konkret heißt das: mehr Geld für Bio. Das Umweltministerium verweist neben ohnehin erfolgenden Förderungen der hessischen Bio-Landwirtschaft auf Beihilfen der Europäischen Union für Landwirtschaftsbetriebe, um die Auswirkungen des Ukraine-Krieges abzumildern. Auf Hessen entfielen davon voraussichtlich fünf bis sieben Millionen Euro, allerdings für den Öko- und konventionellen Anbau zusammen.

Solidarischer Marktgarten mit Gemüse-Abo

Rund eine halbe Stunde Autofahrt vom Pappelhof entfernt, in Neu-Anspach (Hochtaunus), ist noch nichts von den Veränderungen durch den Ukraine-Krieg zu spüren. Die schmalen Beete im Marktgarten von Gerborg Böde und Andrés Palmero bilden eine solidarische Landwirtschaft. Auch dieser Garten ist ein Bio-Betrieb, aber er funktioniert anders als große Betriebe wie Querbeet.

Solidarischer Marktgarten in Neu-Anspach
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Solidarische Landwirtschaft

In der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) schließen sich landwirtschaftliche Betriebe oder Gärtnereien mit privaten Haushalten zusammen. Die geben den Erzeuger*innen eine Abnahmegarantie und tragen so die Kosten des Solawi-Betriebs. Im Gegenzug erhalten sie die Ernte. Ziel des Konzepts ist es, durch den persönlichen Bezug und die Gemeinschaft von Erzeuger*innen und Verbraucher*innen die Vorteile einer marktunabhängigen Landwirtschaft zu nutzen.

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Die Kundinnen und Kunden des solidarischen Marktgartens buchen ein Gemüse-Abo fürs ganze Jahr. "In der Ernteperiode von Mai bis Dezember können sie dann einmal die Woche ihre Ernte abholen", sagt Gerborg Böde. Zahlen müssen sie entweder im Voraus oder monatlich. "Und wenn es Ernteausfälle geben sollte, dann gibt es eben mal eine Woche weniger."

Das Risiko tragen Erzeuger und Kunden also gemeinsam. 60 bis 70 Haushalte versorgt der etwa fußballfeldgroße Garten mit Obst und Gemüse - immer mit dem, was gerade da ist. "Die Idee des Marktgartens ist es, möglichst viel Ertrag auf kleiner Fläche zu haben", sagt Andrés Palmero: "Wir sind unabhängig und brauchen nicht viel. Kaum Treibstoff oder Maschinen."

Solidarischer Marktgarten in Neu-Anspach

Eine Ergänzung, die im Kleinen funktioniert

Aber ist Gemüse aus dem Garten um die Ecke nicht auch ein Luxusgut? "Ja und nein", sagt Böde. "In der solidarischen Landwirtschaft gibt es Modelle, um es erschwinglich zu machen. Zum Beispiel das Prinzip einer Auktion, dass diejenigen, die es sich leisten können, mehr Anteile kaufen und es sich so alle leisten können."

Noch ist ihr Projekt im Aufbau, aber dahin würden Böde und Palmero auch gerne kommen. Ein Gegenmodell zu großen Betrieben sei ihr Marktgarten aber trotzdem nicht. Vielmehr eine Ergänzung.

Bio-Ziel der Regierung in Gefahr

Und wie geht es mit Bio weiter? Hält der aktuelle Trend an, sei das Ziel der Landesregierung in Gefahr, den Bio-Anteil bis 2025 auf 25 Prozent zu erhöhen, warnt Tim Treis von der VÖL: "Und das schaffen wir nicht über solidarische Landwirtschaften oder Hofläden."

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