Städte bauen auf Nachverdichtung Spagat zwischen Wohnungsnot und Flächenfraß

Wohnraum in Ballungsgebieten ist rar und wird immer rarer. Hessens Städte setzen deshalb immer öfter auf Nachverdichtung.

Foto eines neugebauten Mehrfamilienhauses aus der Froschpersepktive. Daneben in der Ferne der Fernsehturm.
Um zwei neue Obergeschosse aufgestockt wurde dieses Mehrfamilienhaus in der Frankfurter Platensiedlung. Bild © picture-alliance/dpa
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Wenn Bauland rar ist und keine zusätzlichen Flächen versiegelt werden sollen, müssen Alternativen zum Bauen auf der grünen Wiese her. Oft ist dann von Innenentwicklung und Nachverdichtung die Rede - also zum Beispiel vom Ausbau einzelner Dachgeschosse bis hin zur Umwandlung von Kasernen oder Büroflächen in Wohnraum oder der Aufstockung ganzer Wohnsiedlungen.

"Ich werde häufig gefragt: Kann man denn angesichts der Klimaziele überhaupt noch soviel neu bauen?", erklärte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), als sie unlängst zu Besuch in Hessen war. "Auf der anderen Seite kommen natürlich mehr Menschen nach Frankfurt, nach Hessen und nach Deutschland insgesamt - das heißt, wir brauchen mehr Wohnraum."

"Blaupause" in Frankfurter Platensiedlung?

Die SPD-Politikerin besuchte kürzlich die Platensiedlung im Frankfurter Stadtteil Ginnheim, die gerne als Vorzeigebeispiel in Sachen Nachverdichtung präsentiert wird. Dort entstehen derzeit über Aufstockung und den Bau von Quergebäuden 680 Wohnungen. Ein zuvor dreistöckiges Haus aus den 1950er Jahren, das über Module aufgestockt wird, kommt dann auf fünf Stockwerke. Die Wohnungsbaugesellschaft ABG bezeichnete ihr Projekt bereits als "Blaupause" für andere Städte. Kostenpunkt: 175 Millionen Euro.

Besonders im Wohnungsbau werde darauf geachtet, "möglichst wenig neu zu versiegeln und das geht natürlich am besten, wenn man im Bestand nachverdichtet", sagte Geywitz. Aber es gebe auch Herausforderungen und Grenzen. Schließlich wohnten dort schon Menschen. "Und die wollen natürlich auch nicht so gerne gestört werden." Deshalb sei es eine hohe Kunst, diese Nachverdichtungsprojekte auch umzusetzen. Oftmals würden solche Vorhaben an den Anwohnerinnen und Anwohnern scheitern.

Neue Parkplätze oder Ablösesumme

Und es gibt weitere Herausforderungen: "Ein Problem ist, dass für jede neugebaute Wohnung grundsätzlich Parkplätze erforderlich sind", sagt Professor Hans-Joachim Linke, der an der TU Darmstadt das "Kompetenzzentrum Innenentwicklung" mit auf den Weg gebracht hat.

Denn die gemeindliche Stellplatzsatzung sieht zumeist vor: Wer neuen Wohnraum baut, muss für die Bewohner entsprechend Parkraum bereitstellen - für Autos, aber etwa auch für Fahrräder - oder eine Ablösesumme zahlen. Allerdings gebe es inzwischen mehr Flexibilität und Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung der Regeln, erklärt Linke.

Darmstadt schafft Platz für tausende Menschen

Auch die Stadt Darmstadt will, "qualitative Nachverdichtungen im Bestand weiter fördern". Im Rahmen der Innenentwicklung entsteht auf einem ehemaligen Kasernengelände im Ludwigshöhviertel ein Quartier für 3.000 Menschen. Und auf dem Klinikgelände im Stadtteil Eberstadt gibt es nach Angaben der Stadt sechs Hektar entwickelbare Flächen für den Wohnungsbau.

Weiter fortgeschritten ist ein Projekt im Süden Darmstadts, wo auf einer früheren militärischen Liegenschaft die Lincoln-Siedlung für bis zu 5.000 Menschen errichtet wird. Dort soll auch der reduzierte Verkehr im Quartier nachhaltig gestaltet und die Unabhängigkeit vom eigenen Auto gefördert werden. So soll es elektrische Mietautos, Stellplatzorganisation und flächendeckendes Carsharing geben.

In der Lincoln-Siedlung in Darmstadt sollen 5.000 Menschen Platz finden.
In der Lincoln-Siedlung in Darmstadt sollen 5.000 Menschen Platz finden. Bild © picture-alliance/dpa

Wiesbaden baut Kaserne um

In Wiesbaden entsteht derweil auf einem ehemaligen Kasernengelände das Projekt "Kastell Housing", wo unter anderem ein achtstöckiger Wohnturm in Holz-Hybridbauweise gebaut wird. Darin werden laut den Planungen auch geförderte Wohnungen sowie eine Kita untergebracht.

Umweltschützer schlagen Alarm

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) betrachtet die enorme Flächeninanspruchnahme für Siedlung und Verkehr in Hessen mit großer Sorge. "Der Flächenverbrauch in Hessen muss schnellstmöglich reduziert werden", sagt Jochen Kramer vom hessischen Landesverband. "Gesunde Böden sind die natürliche Grundlage der Vegetation und der Biodiversität." Zudem seien sie ein wertvoller Wasserspeicher und als natürlicher CO2-Speicher wichtig für den Klimaschutz. 

Die Landesregierung betont derweil in Sachen Flächenverbrauch auf einen guten Weg zu sein: So sei man 2021 mit einem Verbrauch von 2,04 Hektar am Tag (gleitender Vierjahresdurchschnitt) deutlich unter der Zielmarke von 2,5 Hektar geblieben, erklärte ein Sprecher des hessischen Wirtschaftsministeriums.

Neues Bauland ist endlich

Der Immobilienbesitzerverbands Haus & Grund Hessen sieht konkret in der Aufstockung von Gebäuden ein enormes Potenzial. Allein im Rhein-Main-Gebiet könnten so 250.000 neue Wohnungen entstehen. Neues Bauland zu erschließen, sei nur begrenzt möglich und nicht mit Klimaschutzzielen vereinbar, hieß es unlängst bei dem Verband, der sich dabei auf Daten der TU Darmstadt bezog. Es sei an der Zeit, das brachliegende Potenzial in Hessen für neuen Wohnraum ohne jeglichen Flächenverbrauch, Versiegelung und Erschließung zu nutzen.

Doch die Realität zeigt auch, dass es nach wie vor viele Projekte "auf der grünen Wiese" gibt. So ist beispielsweise im Nordwesten Frankfurts an der A5 ein neuer Stadtteil auf Feldern geplant. Und in Wiesbaden ist auf nahezu unbebauten 450 Hektar das Wohnquartier Ostfeld für bis zu 12.000 Menschen vorgesehen.

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Sendung: hr4, 27.3.2023, 8.30 Uhr

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Quelle: Jenny Tobien/dpa