Hohe Spritpreise, wenige Fahrer Jedem zehnten Transportunternehmen droht die Insolvenz

Die hohen Spritpreise treffen alle Autofahrer, doch in der Logistikbranche hängt besonders viel davon ab. Auch der Fahrermangel ist ein Problem. Mehr als 100 Unternehmen könnten in Hessen vor der Pleite stehen.
Video
Logistiker protestieren gegen steigende Preise

Gut 1.300 Kilometer oder knapp 13 Autostunden trennen Alsbach-Hähnlein (Darmstadt-Dieburg) von der ukrainischen Grenze. Trotz dieser Distanz bekommt Christopher Schuldes die Folgen des russischen Angriffskriegs in seiner Gemeinde unmittelbar zu spüren. Lag der Dieselpreis Anfang Januar noch bei 1,55 Euro pro Liter, waren es in der vergangenen Woche zeitweise 2,30 Euro. Christopher Schuldes ist Spediteur. Und anders als manche Pendler können die Lkw-Fahrer, die er beschäftigt, nicht auf Bahn oder Fahrrad ausweichen.
Durch die gestiegenen Dieselpreise rechnet Schuldes für sein Unternehmen mit Mehrkosten von zehn Prozent. "Stemmen können wir das nicht." Seit Tagen hängt er deshalb am Telefon, um mit seinen Kunden, den Verladern, nachzuverhandeln: Wie viel können sie zusätzlich für den Transport zahlen? Bei 30 Lkw und fast zwei Millionen zurückgelegten Kilometern im Jahr kann schon ein Cent Preisunterschied beim Diesel am Ende eine vierstellige Summe ausmachen. In der jetzigen Situation geht es um ein Vielfaches.
Dabei läuft es für die Spedition Schuldes noch vergleichsweise gut: Durch die Corona-Krise sei sie ohne Kurzarbeit gekommen, sagt Schuldes, der den Familienbetrieb in ein paar Jahren von seinem Vater übernehmen will. Entlassen mussten sie niemanden - anders als viele Kollegen, die etwa Teile für die Automobilbranche auslieferten, deren Produktion zeitweise stark zurückgefahren war. Von einem Krisenmodus in den nächsten sei das Unternehmen geschlittert, sagt Schuldes. Und das trifft auf viele zu.
Eine der wichtigsten Branchen im Land
In Hessen gibt es nach Angaben des Wirtschaftsministeriums rund 1.300 Speditionen. In Nordhessen sei etwa jeder zehnte Angestellte in der Logistikbranche beschäftigt - einer der wichtigsten Branchen des Landes und einer, um die es aktuell gar nicht gut steht:
Viele Unternehmen haben ihre Rücklagen in der Corona-Pandemie laut Bundesverband Logistik und Verkehr (BLV) aufgebraucht. Da könnten sie die 2.000 Euro Tankkosten, die sich zusätzlich pro Monat und Lkw ergeben würden, nicht zahlen. Aktuell, schätzt der vor anderthalb Jahren gegründete Verband, drohe zehn Prozent der Transportunternehmen in Deutschland die Insolvenz.
Externen Inhalt von Datawrapper (Datengrafik) anzeigen?
Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) mit Sitz in Frankfurt fordert deshalb, die Insolvenzmeldepflicht erneut auszusetzen. In der Corona-Pandemie habe das viele Unternehmen vor dem Aus bewahrt. Auch jetzt könnte ein Aufschub von ein paar Monaten die Spediteure retten, hofft der BGL.
Steuersenkungen helfen nicht
Denn viele Unternehmen, darunter auch die Spedition Schuldes, haben mit ihren Kunden einen sogenannten Dieselfloater vereinbart, einen Spritzuschlag, der sich bei steigenden Tankkosten erhöht. Gekoppelt ist der Preis allerdings an Angaben des statistischen Bundesamts - und die Behördenmühlen mahlen langsam. Im März orientierte sich der Dieselfloater noch an den Preisen vom Januar. Die Preissprünge beim Sprit können die Transportunternehmen wohl erst im Mai aufschlagen.
Ein Tankrabatt, wie er von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorgeschlagen wurde, könnte ebenfalls kurzfristig helfen, meinen Branchenvertreter. Auch wenn der noch nicht zu Ende gedacht sei. Den Transportunternehmen helfe es auch nicht, wenn nur bei den Steuern abgezogen werde, die die Unternehmen ohnehin an ihre Kunden weiterreichen, erklärt Christopher Schuldes. Die vom ADAC geforderte Mehrwertsteuer-Senkung komme zwar bei Pendlern an, nicht aber bei den Speditionen.
Externen Inhalt von Datawrapper (Datengrafik) anzeigen?
"Aus der Nummer kommen wir nur durch Insolvenzen raus"
Eigentlich sei der Dieselpreis auch gar nicht das Problem, meint Thomas Hansche, stellvertretender Vorsitzender des BLV. Im Gegenteil, aus Klimaschutzgründen sei der sogar gut. Bloß: Der Marktmechanismus funktioniere in der Logistikbranche nicht. Ihre gestiegenen Ausgaben für Sprit könnten die meisten Transportunternehmen - trotz Dieselfloater - nicht eins zu eins auf die Frachtpreise aufschlagen, "anders als ein Bäcker, der seine Brötchen teurer verkauft, wenn das Mehl teurer wird". Zu groß sei die Konkurrenz aus Osteuropa, zu billig ihre Preise.
Hansche redet sich am Telefon in Rage: Die strukturellen Probleme seien von der Politik jahrelang verschlafen worden, das "Sozialdumping" inzwischen "unkontrollierbar". "Aus der Nummer kommen wir jetzt nur raus, wenn Unternehmen pleite gehen", sagt er. Wenn das Angebot sinkt, steigen die Preise. Um das zu verstehen, muss man kein Wirtschaftswissenschaftler sein.
Tausende Fahrer fehlen
Mithalten könne er bei den Angeboten der Konkurrenz aus Osteuropa nicht, sagt auch Christopher Schuldes. Die Löhne könne und wolle er nicht weiter drücken, auch nicht wegen der Spritpreise - "das wäre der falsche Ansatz". Zumal seinem Unternehmen seit Jahren der Nachwuchs fehle: Fünf weitere Fahrer könnte er theoretisch sofort beschäftigen, weil Lkw ungenutzt in seinem Hof herumstehen. Bundesweit werden nach BGL-Angaben 80.000 Berufskraftfahrer gesucht, in Hessen sind es mehrere Tausend.
Video
Mangel an Lkw-Fahrern befürchtet

Kurzfristig drohen auch wegen des russischen Angriffskriegs Ausfälle beim Personal. Zwar ist die Ukraine als Nicht-EU-Mitglied von der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgenommen, doch über einen Umweg sind auf den hessischen Straßen doch zahlreiche ukrainische Fahrer unterwegs. EU-Staaten wie Polen, die Slowakei oder Litauen, deren Lkw-Fahrten laut BGL und BLV bundesweit zusammen 20 bis 25 Prozent ausmachen, hätten Sonderverträge mit der Ukraine geschlossen und auf diese Weise zehntausende ukrainische Fahrer angestellt.
Sieben Prozent ukrainische Fahrer auf hessischen Straßen
Rechnerisch könnten somit sieben Prozent der Lkw-Fahrer auf den Straßen in Deutschland und Hessen ukrainischer Herkunft sein, überschlägt ein Sprecher des BGL. "Wenn die alle ihr Vaterland verteidigen, werden wir das merken." Schlimmstenfalls müssten auf Herstellerseite wieder Mitarbeiter in Kurzarbeit, wenn sich die Produkte in den Lagern stapelten.
Hamsterkäufe erhöhten den Druck auf die Transportunternehmen zusätzlich. Der Krieg sei bereits in den Supermärkten angekommen - auch wenn hierzulande keine völlig unterbrochenen Lieferketten drohen wie in Großbritannien nach dem Brexit, als zeitweise ganze Geschäfte leer und Tankstellen vorübergehend geschlossen waren.
Kritik an Arbeitsbedingungen
Wie also lassen sich die Probleme der Branche lösen? "Am meisten wäre uns geholfen, wenn der Preis auf ein reguläres Niveau zurückkehrt", sagt Christopher Schuldes. Doch langfristig müssen sich auch die Arbeitsbedingungen für die Lkw-Fahrer verbessern, darüber ist man sich in der Branche einig: etwa der raue Umgangston an den Verladerampen, die sekundengenaue Überwachung der Arbeitszeit, die spontane Toiletten-Pausen verhindert, oder die oft stundenlange Suche nach einem Parkplatz für die Nacht.
Und die Löhne müssten hoch, meint Thomas Hansche vom BLV: "Mit 2.400 Euro brutto bei einer 65-Stunden-Woche können Sie keinen mehr hinter dem Ofen hervor locken." Erst dann könnte es auch wieder mit dem Nachwuchs klappen.