Eine Radfahrerin wird auf einer durch Baumaßnahmen verengten Straße von Autos überholt.

Fahrradfahrer beklagen häufig, dass Autofahrer sie zu nah überholen. Aber stimmt das auch? Fahrradsensoren liefern objektive Daten. In Teilen von Hessen kommen sie bereits zum Einsatz.

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Radfahrer messen Überholabstände mit Sensoren

Eine Anzeige zeigt 98 Zentimeter als Abstand an.
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Wer ab und zu mit dem Fahrrad unterwegs ist, kennt die Situation: Ein Auto überholt recht nah - eigentlich viel zu nah. Aber stimmt dieses subjektive Gefühl auch? Um das zu überprüfen, gibt es sogenannte Fahrradsensoren. Sie funktionieren mithilfe einer Ultraschall-Technik und messen den Abstand vom Fahrrad nach rechts und links.

"Wir wollen die gefühlte Gefährdung, die wir im Straßenverkehr als Feedback bekommen, nachweisen", sagt Ansgar Hegerfeld, stellvertretender Landesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Hessen. Mithilfe der Sensoren wolle man überprüfen, wie viele Überholabstände zu nah seien und auf welchen Straßen das häufig passiert. "In unseren Umfragen sehen wir, dass Überholabstände auch ein Punkt sind, der viele Leute davon abhält, überhaupt auf das Fahrrad zu steigen", so Hegerfeld.

80 Prozent der Überholvorgänge außerorts zu dicht

An der Hochschule RheinMain werden solche Fahrradsensoren bereits eingesetzt. Knapp 8.000 Überholvorgänge haben die Forschenden mithilfe dieser Sensoren bislang erfasst. Die Geräte haben auch eine Kamera an Bord, mit der die Überholvorgänge dokumentiert werden können. Die Messungen fanden vor allem im Rhein-Main-Gebiet und Südhessen statt.

Das Ergebnis: In 50 Prozent der Fälle überholten die Fahrzeuge innerorts zu nah - außerorts waren es sogar über 80 Prozent. Diese Zahlen belegen anscheinend das Gefühl vieler Radfahrer, viel zu nah überholt zu werden. Vorgeschrieben ist laut Straßenverkehrsordnung ein Mindestabstand von 1,5 Metern innerorts und 2 Metern außerorts.

Ein Auto überholt den Fahrradfahrer recht eng.

"Ich bin bei den Testfahrten persönlich zwei Mal berührt worden. Der dichteste Abstand lag also bei Null Zentimetern", sagt Heinz Werntges, Professor an der Hochschule RheinMain. Bei seinen Messungen habe er einige Überholvorgänge von unter 40 Zentimetern Abstand gehabt. "Da fühlt man sich schon ziemlich unwohl."

Werntges, der die Studie ausgewertet hat, geht es um eine "Objektivierung der Datenlage". Autofahrer würden die Gefahren oft unterschätzen, Fahrradfahrer hingegen gerne mal übertreiben. "Durch eine sorgfältige Erhebung kann man das objektivieren und so etwas wie Hotspots identifizieren", sagt Werntges.

20.000 Überholvorgänge in Darmstadt

Auch in Darmstadt und Umgebung nutzen einige Radfahrer und Radfahrerinnen bereits Sensoren. Diese unterscheiden sich zwar technisch von denen der Hochschule RheinMain, haben aber das selbe Ziel: Gefahrenstellen für Fahrradfahrer ausmachen.

Seit Herbst 2021 sind die sogenannten "OpenBikeSensoren" dort im Einsatz und wurden vom ADFC Darmstadt-Dieburg an Freiwillige verteilt. Mittlerweile gibt es etwa 25 Sensoren, die Daten sammeln. Über 20.000 Überholvorgänge wurden damit insgesamt gemessen.

"Es geht nicht darum, Leute anzuzeigen oder besonders spektakuläre Überholvorgänge einzufangen", sagt Klaus Görgen vom ADFC Darmstadt-Dieburg. Vielmehr gehe es darum, realitätsnah zu protokollieren, was auf der Straße passiere. "Es ist ein wachsendes Projekt", fasst Görgen zusammen.

Online-Karte mit Hotspots für alle einsehbar

Der sogenannte "OpenBikeSensor" ist in einem Gerät verbaut, das meistens unter der Sattelstütze sitzt. Mithilfe von Ultraschall zeichnet der Sensor die GPS-Daten auf und misst den Abstand des Fahrrads nach links und rechts. Um den Überholvorgang zu dokumentieren, muss der Radfahrer diesen noch bestätigen. Dazu muss er auf einen Knopf am Lenker drücken, der per Kabel mit dem Gerät verbunden ist.

Der "OpenBikeSensor" ist an der Sattelstütze befestigt.

Die Daten werden auf einer Online-Karte gespeichert, die für alle Menschen einsehbar ist. Sie soll zeigen, welche Straßen in Darmstadt für Radfahrer besonders gefährlich sind. Grüne Linien stehen für einen eingehaltenen Mindestabstand. Gelbe Linien bedeuten, dass der Abstand unterschritten wurden, bei roten Linien wurde der Abstand weit unterschritten. Der "OpenBikeSensor" hat im vergangenen Jahr übrigens den Deutschen Fahrradpreis gewonnen.

Hinter diesen Sensoren steckt jede Menge ehrenamtliche Arbeit. "Das ist nichts, was von alleine passiert", sagt Görgen. Denn die Geräte müssen mithilfe einer Anleitung aus vielen Bauteilen selbst zusammengebaut und gelötet werden. Im Falle Darmstadts hat das der ADFC übernommen.

Etwa 50 bis 80 Euro kostet ein Sensor. Die gesammelten Daten aktualisieren die Online-Karten. In Darmstadt etwa können die Radfahrer sie am Hauptbahnhof per Gäste-WLAN ins Netz laden.

Gesammelte Daten sollen Politik helfen

"Wir möchten der Politik zeigen: An diesen Stellen gibt es konkrete Probleme. Dort muss die Infrastruktur angepasst werden", sagt der stellvertretende ADFC-Landeschef Hegerfeld. In Darmstadt scheint das zu funktionieren. "Es kommt durchaus manchmal jemand aus dem Mobilitätsamt und fragt nach bestimmten Daten. Wir haben das zum ersten Mal vor einem Jahr gemacht", sagt Görgen vom ADFC Darmstadt-Dieburg. Die Daten seien auch hilfreich, um der Stadt einen Vergleich zu bieten, "so sah das vor der Verkehrsmaßnahme aus und so danach".

Die Daten sollen aber auch die Polizei sensibilisieren und anspornen, die Abstände zu kontrollieren. Denn solche Kontrollen gebe es bislang in Hessen noch gar nicht. "Wenn wir die Zahlen liefern können und die Problematik in einer gewissen Größenordnung zeigen können, dann muss die Polizei auch entsprechend handeln", so Hegerfeld.

Hessenweite Karte für "OpenBikeSensor"

Das Projekt soll künftig auch auf andere Kommunen ausgeweitet werden. So seien gerade jeweils zehn Sensoren für Frankfurt und den Main-Taunus-Kreis bestellt worden. Diese sollen im Laufe des Jahres zum Einsatz kommen. "Wir gehen aber davon aus, dass wenn das gut anläuft, wir viele weitere nachbestellen werden", sagt Hegerfeld. Die Finanzierung dafür übernimmt der ADFC.

In diesem Jahr soll auch eine hessenweite Karte online gehen, auf der sich alle die bereits gesammelten Überholvorgänge ansehen können. "Unser Ziel ist es, dass wir irgendwann für ganz Hessen eine Karte haben, wo wir genau sagen können: Auf der Straße A und der Straße B ist es meistens zu eng und auf Straße C geht es", so Hegerfeld.