Gaszähler (picture alliance / ANP)

Das Gas dürfte knapp werden, sehr viel teurer wird es auf jeden Fall. Nun geraten auch Menschen unter Druck, die das Wort "Energiearmut" bisher nicht kannten. Experten der Verbraucherzentrale Hessen bekommen das schon zu spüren.

Kummer und Verzweiflung – sie begegnen Nicole Hensel schon länger bei ihren Telefonaten. Gerade aber häuft es sich bedenklich. "Ich nehme mir gleich 'nen Strick", hat ihr vor kurzem eine Rentnerin gesagt.

Die Juristin Hensel arbeitet nicht bei der Telefonseelsorge, aber sie betreibt sie in diesen Tagen notgedrungen – als Expertin der Verbraucherzentrale Hessen für die Bekämpfung von Energiearmut. Ein Versorger hat der Rentnerin 980 Euro fürs Gas abgebucht, bei einer Rente von 1.200 Euro.

Nicole Hensel, Projektleiterin "Hessen bekämpft Energiearmut"

"Viele Menschen sind verzweifelt, weil sie das gar nicht mehr bezahlen können", sagt Hensel zu den steigenden Energiepreisen. Sie und ihre Kollegen sind sicher: Es geht im Herbst erst richtig los. Denn die infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine gestiegenen Gaspreise werden viele Kunden erst noch zu spüren bekommen.

Größere Verwerfungen drohen

Wie ernst die Lage ist, wie dramatisch sie werden kann: Das macht ein Termin in der Staatskanzlei in Wiesbaden klar. Am Mittwochmorgen kamen auf Einladung von Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) Vertreter der Wirtschaft, der Gewerkschaften und Sozialverbände sowie der Energieversorger zusammen. Die Verbraucherzentrale war auch vertreten.

Bei dem "Gasgipfel" geht es gemeinsam mit Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller um Vorsorge, falls das Erdgas im kommenden Winter nicht für alle reicht und rationiert werden muss. Unternehmen bangen um ihre Produktion. Es geht aber auch um die sozialen Verwerfungen, die drohen.

Weitere Informationen

Hotlines der Verbraucherzentrale Hessen

Wer wegen der Strom- und Gasrechnung unter Druck gerät, kann sich an die Verbrauchzentrale Hessen telefonisch wenden. Die Hotline bei Energieschulden: 06142 - 94 190 10. Besetzt ist sie Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 9 Uhr bis 13 Uhr, Mittwoch 9 Uhr bis 17 Uhr. Die Hotline bei Fragen zu steigenden Energiepreisen: 069 - 97 19 40 247. Sie ist Montag und Mittwoch von 10 bis 14 Uhr zu erreichen.

Ende der weiteren Informationen

Kosten vervielfachen sich

Auch wenn private Haushalte laut Gesetz neben Kliniken und anderen lebenswichtigen Einrichtungen die letzten sein sollen, denen das Gas abgedreht wird: Die Lieferung können vermutlich viele nicht mehr aus eigener Tasche bezahlen. "Jetzt werden Menschen kommen, die noch nie Probleme hatten", sagt Hensel. Und rechnet vor: Statt 100 Euro könnten 400 Euro monatlich auf eine junge Familie zukommen, die auch noch den Kredit für die neue Wohnung abtragen muss.

Vervielfachungen der bisherigen Abschläge und höhere Nachzahlungen drohen allen Gaskunden. Zum Teil kommt das schon an. Gleichzeitig macht die Inflation auch anderes teurer, Lebensmittel etwa. Wer zwei Monate hintereinander den Abschlag nicht zahlen kann, dem drohen Gassperren.

Vor der Gaskrise waren es vor allem Stromsperren, die Verbraucherschützerin Hensel und ihre Kollegen verhinderten. Auch das wird wegen des Kostendrucks auf den private Haushalten zunehmend ein Thema sein. Einem Zwei-Personen-Haushalt in Offenbach, der gerade Beratung suchte, war der Strom wegen 300 Euro Rückstand abgedreht worden.

Wohnung kündigen, zur Tochter ziehen

Um in solchen Fällen zu helfen, wurde vor zwei Jahren nach dem Vorbild anderer Bundesländer ein Projekt in Leben gerufen, das Hensel leitet: "Hessen bekämpft Energiearmut" heißt es. Das Land fördert, es war im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen so abgemacht worden. Vier spezialisierte Juristen nehmen Anrufe von Kunden entgegen. Innerhalb eines Jahres haben sich die Anfragen verdoppelt.

Zehn Jahre ist Hensel im Job. "Ich hätte nie gedacht, dass es so viele treffen kann", sagt sie nun zu dem, was droht. "Eine große Unsicherheit“ hat die Juristin bei allen Anrufern ausgemacht.

Denn so wertvoll die Energie-Tipps sind, die auch die Verbraucherzentrale macht: Das Einspar-Potenzial ist endlich, und die Perspektiven sind unklar. Eine ältere Frau, die Rat suchte, gibt ihre Wohnung auf und zieht zur Tochter: Sie kann das Gas schon jetzt nicht mehr bezahlen.

Beratung verhindert Sperre

Mit Geld kann das Team der Verbraucherzentrale nicht helfen. Aber mit einigem mehr – und das ohne große Hürden und kostenlos. Wer anruft, hat die Profis sofort am Telefon. Eine Mail, zur Not einfach ein Handyfoto. Dann können Rechnungen und Verträge geprüft werden. Ein Check, was an Zahlungen möglich ist, dann nimmt der Berater direkt Kontakt mit den Energieversorgern auf, verhandelt zum Beispiel über Ratenzahlungen.

Das hilft unmittelbar: Wer sich von der Verbraucherzentrale wegen Energieschulden beraten lässt, dem drohen erst einmal keine Liefersperren. Die Zusammenarbeit mit den hessischen Versorgern beschreibt Hensel als konstruktiv. Auch die Unternehmen stünden unter hohem Druck, hätten bislang aber in der Regel kein Interesse an einer Eskalation bei säumigen Zahlungen.

Forderung: keine Strom- und Gassperren mehr

Wegen der vorhandenen Sachkenntnis und der guten Kontakte sind es neben den klassischen Schuldnerberatungen nicht selten auch Jobcenter, Sozialämter oder Gaslieferanten selbst, die Menschen in Zahlungsnot an die Verbraucherzentrale verweisen. Auf Hensels Initiative hin laufen gerade hessenweit in Kreisen und großen Städten runde Tische mit allen Beteiligten an. Man will Netzwerke bilden.

Aber auch Hensel weiß: Ohne weitere finanzielle Hilfen des Staates für Verbraucher wird eine rapide steigende Energiearmut so nicht zu verhindern sein. Von der Politik verlangt die Verbraucherschützerin vor allem, Gas- und Stromsperren spätestens vom Herbst generell zu verbieten. "Diesen Druck muss man den Menschen jetzt nehmen."

Was tun, wenn man Strom und Gas nicht mehr bezahlen kann?

Zahlungsrückstände, Mahnungen, drohende Energiesperren: Das belastet enorm, und auf viele kommt das womöglich zum ersten Mal zu. Was man laut Energieschulden-Bekämpferin Nicole Hensel in jedem Fall beachten sollte:

  • Regelmäßig Strom- und Gaszähler kontrollieren und Stände dokumentieren
  • Alle Briefe der Versorger sorgsam lesen, gerade die Post von Energie-Discountern
  • Wer Leistungen vom Jobcenter oder Sozialamt erhält, sollte diese sofort über Abschlagserhöhungen informieren
  • Mahnungen aus Verzweiflung auf keinen Fall liegen lassen
  • Stattdessen sofort Hilfe holen. Die gibt es bei Schuldnerberatungen und eben der Verbraucherzentrale Hessen. Wer es sich zutraut, kann auch den Energieversorger direkt kontaktieren
  • Wenn es möglich ist: Schon jetzt vorsorglich Geld für höhere Abschläge und Nachzahlungen bei der Jahresabrechnung zurücklegen
Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen
Formular

hessenschau update - Der Newsletter für Hessen

Hier können Sie sich für das hessenschau update anmelden. Der Newsletter erscheint von Montag bis Freitag und hält Sie über alles Wichtige, was in Hessen passiert, auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbstellen. Hier erfahren Sie mehr.

* Pflichtfeld

Ende des Formulars