Investoren beteiligen sich in der Regel nur dann an Firmen, wenn es sich lohnt. Dass hessische Arztpraxen in ihren Fokus geraten, wirft daher Fragen auf. Auch die Kassenärztliche Vereinigung scheint die Lage falsch einzuschätzen.

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Investoren kaufen Arztpraxen in Hessen auf

Untersuchung beim Augenarzt
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"Artemis Augenkliniken" steht auf einem Schild, das in der Frankfurter Innenstadt am Eingang eines mehrstöckigen Hauses hängt. Bei dieser Praxis war Harald Dohm gerade mit seiner Mutter. Beide haben sich zu einer Operation beraten lassen. Dass hinter Artemis der britische Investor Montagu steht, ist dem 52 Jahre alten Frankfurter neu. Er finde das auch nicht gut, sagt er: "Weil da nur Profitgier dahinter steckt."

Diese Befürchtung gibt es auch andernorts. In ganz Hessen kaufen Investoren Arztpraxen auf: von Augenärzten, Orthopäden, Kardiologen, Gynäkologen, Hausärzten. Oft bündeln sie diese Praxen zu sogenannten medizinischen Versorgungszentren. Die Frage, ob die Investoren daran über Gebühr verdienen, sorgt zunehmend für Diskussionen. Klar ist bislang: Es fehlt an aussagekräftigen Daten.

In Hessen kaufen Montagu und Triton

Montagu etwa hat Artemis 2015 erworben. Die Augenarztkette hat ihren Hauptsitz in Dillenburg (Lahn-Dill) und ist in Hessen mittlerweile 40-mal vertreten, unter anderem in Kassel, Frankfurt, Wiesbaden und Eschwege. Im dortigen Lichtblick - Medizinischen Versorgungszentrum Nordhessen vereint der Konzern mehrere Arztpraxen.

Auch der deutsch-schwedische Investor Triton kauft von Frankfurt aus Arztpraxen auf. Entstanden ist dadurch unter anderem das Medizinische Versorgungszentrum Fachärzte Rhein-Main an sechs Standorten, etwa in Hanau und Offenbach.

Über das Interesse von Investoren an Arztpraxen berichtete bereits das NDR-Fernsehmagazin "Panorama" kritisch. Es gebe Hinweise darauf, dass in solchen investorengeführten Arztpraxen der wirtschaftliche Druck auf die Ärzte steige. Teilweise würden sie sogar Behandlungen empfehlen, die nicht oder noch nicht nötig seien.

Kritik an investorenkritischer Studie

Ein schwerer Vorwurf, den "Panorama" auch durch eine Studie des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung belegt sieht. Demnach machen Arztpraxen in Investorenhand im Schnitt zehn Prozent mehr Umsatz. Sie sollen in der Tendenz mehr und teurere Behandlungen abrechnen als herkömmliche Arztpraxen.

Die erwähnte Studie basiert allerdings nur auf Daten aus Bayern - und vor allem sie ist umstritten. Der Bundesverband medizinischer Versorgungszentren kritisierte jüngst, dass sie schlecht ausgearbeitet und deshalb wenig aussagekräftig sei.

Auf diese Kritik verweist auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen. Angesichts der aktuellen Diskussion will man nun eigene Berechnungen für Hessen erstellen. Das sei allerdings kompliziert, sagt KV-Sprecher Karl Roth. So könne es dauern, bis Ergebnisse vorliegen.

Umsatzsteigerungen, von denen man selten hört

Von den Investoren wie Montagu selbst ist wenig zu erfahren. Welche Rendite sie mit den Artemis-Augenarztpraxen erzielt, beantwortet die Beteiligungsgesellschaft nicht. Wie aus den Bilanzen des Artemis-Konzerns hervorgeht, machte das Unternehmen im Jahr 2020 fast 180 Millionen Euro Umsatz, rund 40 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor. Das sind Umsatzsteigerungen, von denen man selten hört. Artemis verdient nach eigenen Angaben vor allem an Augenoperationen, auf die sich der Konzern spezialisiert hat.

Zur Frage, wie gewährleistet werde, dass all diese Operationen notwendig gewesen seien, und zu anderen Fragen will sich Artemis gegenüber dem hr nicht äußern. Im Interview mit "Panorama" sagte der Gründer der Kette, Kaweh Schayan-Araghi, man optimiere die Arbeitsweise der Ärzte.

"Aber es wird nie gesagt, jetzt behandle bitte jemanden, der es nicht braucht. Das wäre Unsinn", beteuerte Schayan-Araghi. Wann jemand operiert werden müsse und wann nicht, lasse sich allerdings nicht immer so leicht sagen, weil es dafür keine scharfen Entscheidungskriterien gebe.

KV sieht Vorteile fürs Land - belegt ist das nicht

Über seine konkreten Renditeziele will auch Triton nicht sprechen, ist aber ansonsten recht auskunftsfreudig. Bündele man Arztpraxen zu Versorgungszentren, ergäben sich Synergien. So könnten etwa administrative Tätigkeiten wie die Buchhaltung zentralisiert werden. Ein weiterer Vorteil ist aus Sicht des Investors, dass die Ärzte in diesen Zentren angestellt werden können. Denn, so heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme: "Im Gegensatz zu früher ziehen viele junge Mediziner heute so ein Angestelltenverhältnis der Selbstständigkeit vor."

Wenn Investoren Versorgungszentren betreiben, sieht das auch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen grundsätzlich positiv. "Denn die bieten Versorgung, wo sie sonst nicht mehr sichergestellt werden könnte", sagt KV-Sprecher Roth. Gerade auf dem Land, wo es an Ärzten mangele.

Das lässt sich aber so nicht belegen. Nach Auskunft der KV Hessen gibt es zum Beispiel eine Unterversorgung an Augenärzten im Odenwaldkreis, Rheingau-Taunus-Kreis und Vogelsbergkreis. Nirgends davon ist aber etwa die Augenarzt-Kette Artemis vertreten. Chirurgen und Orthopäden, auf die sich wiederum das Medizinische Versorgungszentrum Fachärzte Rhein-Main des Investors Triton spezialisiert hat, gibt es dagegen in Hessen mehr als genug.

Gesundheitsminister Klose sieht Bund in der Pflicht

Wie viele Arztpraxen in Hessen insgesamt in Investorenhand sind, ist jedoch gänzlich unklar. Man habe keinen Überblick, gibt Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) offen zu. Dafür fehle die gesetzliche Grundlage. Klose sieht den Bund in der Pflicht. Der solle ein Transparenzregister schaffen. Wenn Investoren Arztpraxen kaufen, sollen sie das dort melden müssen.

Denn das Problem ist bislang: In der Regel kaufen Investoren die Arztpraxen nicht direkt, sondern nutzen dafür andere, dazwischen geschaltete Unternehmen. Wem wiederum diese Unternehmen und damit letztendlich die Artpraxen gehören, wird derzeit statistisch noch nicht erhoben.

Nach Recherchen von "Panorama" entwickeln sich in Hessen schon monopolartige Strukturen, etwa im Lahn-Dill-Kreis. Dort beschäftigten große, investorengeführte Ketten bereits mehr als die Hälfte aller ambulant tätigen Augenärzte, berichtete das Magazin. Die Wahlfreiheit für Patienten sei dadurch eingeschränkt. Genau das will das Land Hessen nach eigenen Angaben verhindern.

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