Eigentlich sollen Empfänger von Hartz IV alle Kosten fürs Wohnen und Heizen vom Amt bezahlt bekommen. Bei vielen reicht das Geld aber nicht, sie müssen draufzahlen. Das kommende Bürgergeld könnte die Situation verbessern - aber nur für ein Jahr.

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So geht es mit dem Bürgergeld weiter

"Hartz 4, das ward ihr": Eine Frau hält ein Schild bei einem Protest gegen eine SPD-Wahlkampfveranstaltung in Kassel im Jahr 2017.
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Jenny Schirmer aus Kassel war als Alleinerziehende länger von Hartz IV abhängig, das Geld fehlte an allen Ecken und Enden. In diesem Jahr beschloss sie, politisch etwas für Menschen in einer ähnlichen Situation zu verändern. Sie trat in die Linke ein und ist mittlerweile Stadtverordnete in Kassel.

Dabei will Schirmer auch mit einem Mythos aufräumen, den es zu Hartz IV - offiziell Arbeitslosengeld II (ALG II) - und auch zum Bürgergeld gebe, das ab Januar kommen soll: Dass die Empfänger eine warme Wohnung bezahlt bekommen und sich darauf ausruhen können. Denn in vielen Fällen zahlen Betroffene regelmäßig drauf, zeigen hessische Zahlen.

Bei jedem Dritten in Hersfeld-Rotenburg reicht Hartz IV nicht

Das Grundproblem ist, dass das Amt eigentlich die Kosten für Wohnen und Heizen übernimmt. Aber bei rund 14 Prozent der hessischen ALG II-Empfänger reicht das Geld vom Amt nicht für die tatsächlichen Wohn- und Heizkosten. Sie müssen die Differenz selbst aufbringen. Die Zahl hat die Bundesregierung im Sommer anlässlich einer kleinen Anfrage der Linken für das Jahr 2021 veröffentlicht. Hessen liegt demnach knapp unter dem Bundesdurchschnitt von 15,4 Prozent.

Innerhalb von Hessen gibt es allerdings große regionale Unterschiede: Während das Geld vom Amt bei mehr als jedem Dritten in den Kreisen Fulda und Hersfeld-Rotenburg nicht reichte, waren im Kreis Offenbach und im Main-Kinzig-Kreis nur weniger als sechs Prozent der ALG II-Empfänger betroffen.

Wenn das Geld vom Amt nicht reichte, mussten die Bedarfsgemeinschaften im Schnitt rund 110 Euro pro Monat zusätzlich aufbringen. In Hessen mussten im Jahr 2021 Betroffene insgesamt 31,5 Millionen Euro draufzahlen.

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Günstiger Wohnraum ist Mangelware

Einer der Gründe, warum es die Kostenlücke und regionale Unterschiede gibt, sei der fehlende günstige Wohnraum, argumentiert die Partei die Linke. Die Kommunen nähmen unterschiedliche Werte, um zu bestimmen, was "angemessener" Wohnraum in den Städten und Kommunen kosten darf.

Oft gebe es keine eigenständigen Konzepte, um diese Angemessenheit zu bestimmen, bemängelt die Partei und zitiert dazu eine Recherche des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Demnach wurde im Jahr 2020 in mindestens 24 Sozialgerichtsverfahren festgestellt, dass Kommunen zu niedrig bemessene Mietkosten veranschlagt hatten.

So können auch die Unterschiede in Hessen erklärt werden: Am Ende bestimmen die Kommunen nach unterschiedlichen Regeln, was eine angemessene Miete ist - und das deckt sich nicht überall mit den tatsächlichen Preisen und dem Angebot auf dem Wohnungsmarkt. Theoretisch müssten Betroffene eine Wohnung haben oder in eine umziehen, die zu dem passt, was das Amt zahlt - die fehlenden Sozialwohnungen werden dann aber in der Praxis zu einem Problem.

Regelsatzerhöhung "ein Witz"

Wer für das fehlende Geld für Heizung und Wohnen teils selbst aufkommt, muss den Regelsatz dafür nutzen. Der ist eigentlich für die Kosten des täglichen Bedarfs wie Essen und Kleidung vorgesehen. "Betteln oder vom Mund absparen" und zu den Tafeln gehen, seien für die Betroffenen aktuell die Alternativen, sagt Jenny Schirmer. Der Regelsatz beim ALG II beträgt aktuell bei Alleinstehenden 449 Euro, in Bedarfsgemeinschaften sind es 404 Euro pro Person.

Die Beträge stiegen 2022 um drei Euro an. Das sei schon wegen der Inflation nicht genug, sagt Schirmer, aber auch sonst reiche es kaum zum Leben. Auch die im Bürgergeld vorgesehenen 502 Euro Regelsatz seien "ein Witz", kritisiert sie. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte eigene Berechnungen angestellt und einen Regelsatz von 725 Euro gefordert.

Mit dem nun kommenden Bürgergeld ändere sich am Grundprinzip nichts, kritisierte der Verband am Dienstag: "Hartz IV bleibt Hartz IV". Linkenpolitikerin Schirmer sprach von "Bürgerhartz".

Bürgergeld bringt ein Jahr Schonfrist

Auch die Wohnproblematik wird das Bürgergeld wohl nicht lösen. Am Dienstagabend schlossen Ampel-Koalition und Union einen Kompromiss, nachdem das Bürgergeld im Bundesrat gescheitert war. Am Mittwoch dann die Einigung im Vermittlungsausschuss: Damit kann die Nachfolge für Hartz IV noch in dieser Woche in Bundestag und Länderkammer beschlossen werden.

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Einer der Streitpunkte war die sogenannte Karenzzeit, eine Art Schonfrist bei den Wohnkosten. Ursprünglich sahen die Pläne der Ampel-Koalition vor, dass die tatsächlichen Kosten für die Wohnung zwei Jahre lang ohne weitere Prüfung übernommen werden sollten. In der Kompromisslösung wurde die Karenzzeit nun auf ein Jahr gesenkt. Danach wird es für Betroffene so schwierig wie bisher.

Wohnen und Heizen sind nicht das einzige Problem

Das Problem mit der Kostenlücke kennt auch Komet Mhmoud vom Schlachthof Kassel, er arbeitet dort in der Migrationsberatung. Viele der Klienten bekämen ALG II. Dass das Geld vom Amt für die Wohnung nicht reiche, passiere oft: "Wir erleben das immer wieder, es ist ein großes Problem", sagt er. Zumal dann auch die Beratungsstelle an ihre Grenzen komme, denn es gebe kaum Hilfsmöglichkeiten.

Bei einer Beratung habe er vor Kurzem noch auf Umwegen helfen können, da habe die Abschlagszahlung des Energieversorgers bei 390 Euro gelegen. Mhmoud rief den Energieversorger an und verhandelte einen günstigeren Abschlag, am Ende reichte das Geld vom Amt doch noch aus. Aber das sei eine Ausnahme.

Das Problem seien derzeit aber längst nicht nur die Kosten für Wohnen und Heizen, sagt Berater Mhmoud. Auch die steigenden Preise machten den Betroffenen Probleme. Viele der Familien, die zur Beratung kommen, hätten zuletzt nach dem Bürgergeld und gehofft, dass es damit besser werde, sagt Mhmoud. Da war noch nicht bekannt, dass das Bürgergeld im Bundesrat durchfallen würde und die Ampel-Koalition in Verhandlungen mit der Union einen Kompromiss finden muss.

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