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Darmstädter Bauverein schlägt Alarm

Sanierungsarbeiten an einem Gebäude in der Frankfurter Platensiedlung

Corona und nun auch der Ukraine-Krieg haben in der Baubranche die Kosten explodieren lassen. Klimaeffiziente Sanierungsprojekte kommen vielerorts ins Stocken. Wohnungsgesellschaften fordern mehr Unterstützung.

In vielen Haushalten geht derzeit die Angst vor der nächsten Heizkostenabrechnung um. Gaspreise könnten sich durch den Ukraine-Krieg mehr als verdreifachen, warnte zuletzt die Bundesnetzagentur, generell wird Energie immer teurer - und somit auch das Wohnen. Dringlicher denn je müssten klimaneutrales Bauen und eine energieeffiziente Modernisierung bestehender Wohnungen vorangetrieben werden.

Doch das Gegenteil scheint der Fall: Hessens Wohnbaugesellschaften klagen über steigende Preise, Modernisierungsvorhaben werden deutlich abgespeckt oder auf die lange Bank geschoben. Klimaneutrales Wohnen droht zu einer unbezahlbaren Utopie zu werden.

"Unter den heutigen Bedingungen funktioniert es nicht", sagt etwa Monika Fontaine-Kretschmer, Geschäftsführerin der Wohnbaugesellschaft Nassauische Heimstätte Wohnstadt (NHW). Mit rund 60.000 Wohnungen in Frankfurt, Kassel und anderen Regionen ist die NHW Hessen größtes Wohnungsunternehmen.

"Absolut überhitzte Phase"

Ähnlich klingt es bei der kommunalen Bauverein AG aus Darmstadt, die für 17.000 Wohnungen verantwortlich ist. "Wir sind in einer absolut überhitzten Phase", klagt die Vorsitzende Sybille Wegerich. Die Gemeinnützige Wiesbadener Wohnbaugesellschaft (GWW) sieht "eine kaum dagewesene Challenge für die Wohnungswirtschaft", wie das Unternehmen auf Anfrage des hr mitteilte.

Die Ursachen liegen auf der Hand: "Wir hatten zuletzt nationale und internationale Ereignisse, die sich überlagern", erklärt die NHW-Vorsitzende Fontaine-Kretschmer. Sie spricht von Lieferengpässen durch die Corona-Pandemie, von dem Hochwasser im Ahrtal, der Schiffshavarie im Suezkanal und nicht zuletzt vom Krieg in der Ukraine.

Teures Material, wenige Handwerker, lange Lieferzeiten

Gerade bei Materialien wie Wärmepumpen, Dämmung oder Fenstern, die für energetische Maßnahmen wichtig sind, gebe es Lieferengpässe und damit verbundene Preissteigerungen. Stahl etwa sei um 40 Prozent teurer geworden, Holz um 20 Prozent und Fenster um über zehn Prozent. "Teilweise warten wir neun Monate auf Material."

Neben explodierenden Kosten habe die Bauwirtschaft zudem mit Handwerkermangel zu kämpfen. "Es fehlen Fachleute und die Firmen sind nach wie vor stark ausgelastet. Dies führt dazu, dass es kaum kostengünstige Angebote gibt und Termine oder Bauzeiten sich verzögern", klagt die GWW.

Rund drei Prozent der bestehenden Wohnungen müssten jährlich saniert werden, um die politischen Ziele hinsichtlich klimaneutralen Wohnens zu erreichen. Hessen strebt analog zum Bundes-Klimaschutzgesetz eine Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 an, Darmstadt spricht in seinem Klimaschutzkonzept sogar von 2035. Die Zahlen variieren von Kommune zu Kommune.

Sanierungsprojekte werden abgespeckt

Dass diese Ziele erreicht werden, ist angesichts der aktuellen Lage eher unwahrscheinlich. Die NHW plant mittlerweile nur noch "von Schritt zu Schritt", wie Fontaine-Kretschmer erklärt. "Wir müssen die Bauabläufe ein Stück weit entzerren. Dann wird vielleicht erst die Heizung eingebaut, die Fenster kommen dann zwei Jahre später."

Auch der Bauverein hat die Notbremse gezogen. "Wir können einfach nicht mehr im großen Stil sanieren", sagt Wegerich vom Darmstädter Bauverein. Geplante Projekte würden deutlich abgespeckt, nur noch das Nötigste könne umgesetzt werden. Und selbst dann sei kostendeckendes Arbeiten so gut wie unmöglich. "Das halten wir auf Dauer nicht durch." Eigentlich wollte der Bauverein in den kommenden vier Jahren rund 2.400 weitere klimaeffiziente Wohnungen bauen, in der jetzigen Situation sei dies allerdings nicht zu schaffen, fürchtet Wegerichs Vorstands-Kollege Armin Niedenthal.

Auf die Mieter und Mieterinnen können die Wohnbauunternehmen die Kosten nicht vollständig umlegen, das ist allein rechtlich nicht möglich. "Das wollen wir den Menschen auch nicht zumuten", sagt die NHW-Vorsitzende Fontaine-Kretschmer. Die Mieten seien ja jetzt bereits sehr hoch, hinzu kämen die aktuell stark steigenden Lebenshaltungskosten. Der Spagat zwischen klimaneutralem und bezahlbarem Wohnen werde immer größer.

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Mieterhöhung bei Modernisierungen

Gesetzlich ist geregelt, dass die Jahresmiete nach Modernisierungen um acht Prozent der auf die Wohnung entfallenden Modernisierungskosten erhöht werden darf. Höchstens darf sie aber innerhalb von sechs Jahren um drei Euro je Quadratmeter und Monat steigen. Mancherorts, etwa in Darmstadt, werden die Möglichkeiten zusätzlich durch einen Mietendeckel eingeschränkt.

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Um das nötige Tempo beim Sanieren wieder aufnehmen zu können, bedarf es einer zusätzlichen Förderung. Darin sind sich die Wohnbaugesellschaften einig. "Um kostendeckend zu arbeiten, bräuchten wir einen Zuschuss von 800 Euro pro Quadratmeter", hat Wegerich ausgerechnet – zusätzlich zu den bestehenden Förderprogrammen. Die NHW nennt dieselbe Zahl: "Die Förderung für klimaneutrales und energieeffizientes Wohnen muss deutlich erhöht werden", fordert Fontaine-Kretschmer in Richtung Bundesregierung.

Klimaziele sind bindend

Das Land Hessen hat die Problematik nach eigenen Angaben erkannt und wird in Kürze das Sonderprogramm "Klimabonus in der sozialen Wohnraumförderung" auf den Weg bringen, wie das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mitteilte. Zusätzlich zu bestehenden Förderungen will Hessen Neubau oder Modernisierung von sozialem Wohnraum mit 250 bis 650 Euro pro Quadratmeter fördern, wenn strengere energetische Standards als die Mindestvorgaben erreicht werden.

Das Land weist aber auch darauf hin, dass die vereinbarten Klimaziele auch für die Wohnbaugesellschaften bindend sind. "Erste Zieletappe ist für Hessen das Jahr 2030", sagt eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Dann soll die Emission von Treibhausgasen bereits um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert sein. Was passiert, sollten Unternehmen oder ganze Branchen dagegen verstoßen, ist allerdings unklar. Es gebe noch keine festgelegten Sanktionsmechanismen, so die Sprecherin.

Die Wohnbaugesellschaften plädieren unterdessen für ein Festhalten an dem großen Ziel der Klimaneutralität, nur über den Weg dorthin müsse nachgedacht werden. "Eventuell muss man die einzelnen Schritte noch einmal anpassen, denn im Moment müssen wir eher auf Sicht fahren und die jetzige Situation bewältigen", sagt Fontaine-Kretschmer von der NHW. Aber eines stehe fest: "Wenn wir klimaneutralen und bezahlbaren Wohnraum wollen, dann muss da Geld auf den Tisch."

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