Entlassungsaffäre Experte sieht Fürsorgepflicht im Fall Messari-Becker nicht verletzt
Das Land Hessen hat in der Entlassungsaffäre um Ex-Staatssekretärin Messari-Becker seine Fürsorgepflicht als Dienstherr nicht verletzt. Zu diesem Urteil kommt ein Sachverständiger im Untersuchungsausschuss. Auch ein anderer Zeuge entlastet die Landesregierung von einem Vorwurf.
Was ist wichtiger: der Schutz der Persönlichkeitsrechte oder das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Informationen? Um diese Frage drehte sich am Montagmorgen die Befragung des Rechtswissenschaftlers Prof. Michael Bäuerle, der an der Hochschule für Öffentliches Management und Sicherheit lehrt.
Im Fall der umstrittenen Entlassung von Ex-Wirtschaftsstaatssekretärin Lamia Messari-Becker ist Bäuerle der Ansicht, das Öffentlichkeitsinteresse habe Vorrang gehabt. Deswegen sei der Hinweis auf ein "nicht hinnehmbares Fehlverhalten" in der Pressemitteilung von Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) im Juli 2024 auch kein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht gewesen.
Jurist widerspricht Juristem
Damit widersprach Bäuerle dem Beamtenrechtler Thorsten Masuch. Dieser hatte sowohl gegenüber hessenschau.de als auch bei seiner Aussage im Untersuchungsausschuss im Januar Mansoori eine Pflichtverletzung als Dienstherr vorgeworfen. Die Entlassung der parteilosen Bau-Professorin Lamia Messari-Becker hätte der SPD-Mann laut Masuch nie und nimmer mit dem öffentlichen Vorwurf eines Fehlverhaltens begründen dürfen. "Durch diese Äußerungen ist die Fürsorgepflicht verletzt worden", befand Masuch im Januar.
Die geschasste Staatssekretärin sieht in dieser öffentlichen Mitteilung bis heute einen Angriff auf ihren bis dato tadellosen Ruf als Bauexpertin – vor allem, weil Mansoori Details zum angeblichen Fehlverhalten selbst nie nannte und Messari-Becker sich wegen ihrer Schweigepflicht als politische Beamtin erst als Zeugin im Untersuchungsausschuss öffentlich äußern durfte.
Messari-Becker soll versucht haben, Note der Tochter zu verändern
Inzwischen sind die Details weitestgehend bekannt. Es ging um die Abiturprüfung von Messari-Beckers Tochter. Die Noten waren schlechter als erwartet, die Tochter bat um einen Termin an der Schule in Begleitung ihrer Mutter. Wie die bei dem Gespräch auftrat und was sie sagte, empfanden viele als unangemessen. Das wurde bei früheren Zeugenbefragungen im Ausschuss deutlich.
Der Schulleiter schrieb einen Bericht ans Kultusministerium, das den Chef der Staatskanzlei informierte, der wiederum Kontakt mit dem Wirtschaftsministerium aufnahm. Die Entlassung hätte Mansoori zwar ohne Grund vornehmen können, denn bei politischen Beamten genügt der Hinweis auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis. Dass der Rauswurf an sich rechtens war, hat inzwischen auch das Verwaltungsgericht Wiesbaden festgestellt. Dass Mansoori dennoch auf das angebliche Fehlverhalten seiner damaligen Staatssekretärin hinwies, sei verständlich, so das Urteil von Verwaltungsrechtler Bäuerle.
Mansoori habe davon ausgehen können, dass entsprechende Nachfragen von der Presse ohnehin kommen würden. Demnach könne man beim Hinweis auf den Entlassungsgrund auch nicht von Rufschädigung sprechen, wie die Opposition es Mansoori mehrfach vorgeworfen hat. "Wenn es ein Fehlverhalten gegeben hat, ist es meines Erachtens in Ordnung, darauf hinzuweisen und in der Presseerklärung darauf Bezug zu nehmen", so Bäuerle.
Kein Verstoß gegen den Datenschutz bei Austausch unter Ministerien
Auch aus Sicht des Datenschutzes gab es beim Rauswurf offenbar kein Problem, so die Einschätzung des Hessischen Datenschutzbeauftragten Alexander Roßnagel bei seiner Befragung am Montag. Der Schulleiter sei laut Dienstordnung für Lehrkräfte sogar verpflichtet gewesen, das Kultusministerium als oberste Aufsichtsbehörde über Vorgänge zu informieren. Auch die Kommunikation zwischen den Ministerien: laut Roßnagel für eine "enge Zusammenarbeit" nötig und deshalb "datenschutzrechtlich gerechtfertigt".
Selbst als Wirtschaftsminister Mansoori seine Büroleiterin beauftragte, direkt in der Schule anzurufen, um den Vorfall bestätigen zu lassen, sei das wohl korrekt gewesen, so Roßnagel. Zwar hätte diese direkte Kommunikation eigentlich dem CDU-geführten Kultusministerium zugestanden, doch mit dessen Zustimmung durfte auch Mansooris Ressort selbst nachhören. Immerhin viermal telefonierten Wirtschaftsministerium und Schule daraufhin miteinander.
Der Satz mit der Exit-Tür
Ob es das angebliche Fehlverhalten in der Schule nun gegeben hat oder nicht, ist nach wie vor unklar. Weder der Datenschutzbeauftragte Roßnagel noch Jura-Professor Bäuerle konnten dazu am Montag etwas sagen. Messari-Becker bestreitet alle Vorwürfe. Mehrere Zeugenaussagen im Ausschuss lassen mindestens Zweifel an der Schilderung des Schulleiters zu, Messari-Becker habe im Elterngespräch folgenden Satz gesagt: "Ich bin eine Person des öffentlichen Lebens und erwarte eine Exit-Tür im Rahmen des rechtlich Möglichen".
Es ist aber vor allem dieser Satz, der seinen Weg durch die Ministerien machte und zur Entlassung der Staatsekretärin beitrug. Mansoori betonte allerdings stets, der Schulvorfall sei nur die Spitze des Eisbergs der Verfehlungen seiner Staatssekretärin gewesen. Zeugenaussagen zufolge habe Messari-Becker ihre Position als Staatssekretärin öfter zu ihrem Vorteil nutzen wollen.
So sagte ihre ehemalige Sekretärin im Ministerium am Montag aus, sie habe auf Bitten ihrer Chefin versuchen müssen, eine Lufthansa-Maschine aufzuhalten und einen schnelleren Termin in einer Zahnarztpraxis zu bekommen. "Ich habe mich sehr geschämt, dort anzurufen", so die Zeugin. Auch das stellt Messari-Becker anders da. Sie habe nur wissen wollen, ob das Flugzeug Verspätung habe und sie es noch erreichen könne. Auch beim Zahnarzt habe sie ihr Amt nicht ins Spiel gebracht.
Ex-Mitarbeiter schildert unangenehmes Arbeitsklima
Doch auch Messari-Beckers ehemaliger persönlicher Referent hatte im Ausschuss wenig gute Worte für seine ehemalige Chefin übrig. So sei der Grundton "sehr laut und ausfällig" gewesen. Sie habe ihren Staatssekretär-Kollegen Umut Sönmez (SPD) hinter dessen Rücken beleidigt, er selbst sei angeschrien worden. "Irgendwann stellt man fest, es reicht." Er habe nach kurzer Zeit um eine Versetzung innerhalb des Ministeriums gebeten.
Die Zeugenaussagen hinterlassen den Eindruck, dass die Zusammenarbeit mit der selbstbewussten Bauexpertin nicht immer einfach gewesen sein könnte. Stutzig macht Beobachter der Affäre allerdings der Zeitpunkt, zu dem die Beweise für Messari-Beckers angebliche charakterliche Verfehlungen gesammelt wurden. Die Suche im Wirtschaftsministerium begann nämlich erst, nachdem Mansoori längst den Entschluss gefasst hatte, sich von seiner Staatssekretärin zu trennen.
Opposition spricht von Schnüffelei und "Genossenfilz"
Das brachte dem Minister von Seiten der Opposition wiederholt Schnüffelvorwürfe ein - mit dem Ziel, Messari-Becker nachträglich in negatives Licht zu rücken. Im Fall einer Nachfrage im SPD-geführten Rathaus in Darmstadt sprach die FDP sogar von "Genossenfilz". Demnach soll Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) eine Notiz des Baudezernenten Paul Wandrey (CDU) ohne dessen Kenntnis an Mansooris Ressort weitergegeben haben.
Es geht um den Vorwurf, die Staatssekretärin habe bereits Anfang Mai 2024 in einer privaten Angelegenheit versucht, Einfluss auf die Baugenehmigung eines Nachbarn zu nehmen. Gespräche zwischen ihr und der Bauamtsleiterin bestreitet niemand. Messari-Becker behauptet aber, die Genehmigung sei längst erteilt gewesen und sie habe nur Auskunft gewünscht. Damals schon wurde der Oberbürgermeister informiert, sah aber keinen weiteren Handlungsbedarf.
Im August schickte er dann aber doch eine Mail mit Wandreys Notiz ans Wirtschaftsministerium. Warum er es plötzlich doch wichtig fand? Im Ausschuss sagte Benz dazu, es sei in der Kantine darüber gesprochen worden. Daraufhin habe er mit dem Minister über die Relevanz des Vorfalls gesprochen. Das Fazit: Relevant sei es deswegen, weil das kolpotierte Verhalten der Staatssekretärin darauf hingewiesen habe, dass sie sich einen Vorteil habe verschaffen wollen.
Landtagsfraktionen sehen sich in ihren Urteilen weiter bestätigt
CDU und SPD sahen sich am Montagabend durch die Zeugenbefragungen im Ausschuss bestätigt. "Vorwürfe widerlegt", so das Urteil von CDU-Obmann Holger Bellino. Auch SPD-Obfrau Lisa Gnadl zog das Fazit, es habe zu keiner Zeit ein Skandal stattgefunden. Für Mansoori sei es "zwingend notwendig" gewesen, sich von Messari-Becker zu trennen, "bevor das facettenreiche Fehlverhalten der damaligen Staatssekretärin zu einem Rufschaden für die gesamte Landesregierung führen konnte".
Die AfD sprach von einer "besorgniserregenden Atmosphäre" im Wirtschaftsministerium. "Es stellt sich jetzt die Frage, weshalb Minister Mansoori nicht schon früher eingeschritten ist und erst im Juli 2024 seine Staatssekretärin entlassen hat", so Obmann Klaus Gagel. "Kaweh Mansoori scheint schon in den ersten Monaten als Minister mit seinem Amt überfordert gewesen zu sein."