Neuer Schutz für Mütter "Fehlgeburten wurden viel zu lange bagatellisiert"
Wer in den ersten Monaten eine Fehlgeburt erlitt, hatte bislang keinen Anspruch auf Mutterschutz. Das hat sich nun teilweise geändert. Eine Betroffene und eine Psychologin erklären, warum das ein wichtiger Schritt ist – aber nicht weit genug geht.
Alles fing mit einer kleinen Blutung an. Harmlos, befand die Frauenärztin zunächst. Wenige Tage später zeigten die Tests erste Auffälligkeiten, Philine Walter-Altenhein musste stationär in der Klinik in Frankfurt-Höchst aufgenommen werden.
Als kurz darauf die Wehen einsetzten und ihre Fruchtblase platzte, war sie erst im sechsten Monat schwanger - zu früh für ihre kleine Tochter. "Wolke" wurde im Dezember 2023 in der 23. Schwangerschaftswoche tot geboren.
Walter-Altenhein durchlebte eine Geburt - und zeitgleich den Verlust ihres Kindes, das sie rund 150 Tage in sich getragen hatte. Dazu die drastische hormonelle Umstellung. Anspruch auf Mutterschutz - eine Schonzeit, in der der Arbeitgeber sie nicht beschäftigen darf - hatte sie trotz allem nicht.
Kein Anspruch auf Mutterschutz
Die damals 33-Jährige befand sich noch in Elternzeit, ihr erster Sohn war etwa ein Jahr alt. Auf Drängen des Arbeitgebers, so erzählt sie, habe sie die Elternzeit verlängert und die Ärzte nicht um eine Krankschreibung gebeten. "Ich hatte auch einfach nicht die Nerven dafür - und dann habe ich mich mehr oder weniger auf alles eingelassen, was er vorgeschlagen hat."
Wäre Wolke nur einige Tage später geboren - also nach der 24. Woche - hätten der jungen Frau aus Bad Soden (Main-Taunus) acht Wochen zur Regeneration zugestanden. So blieb ihr kein einziger Tag, ungeachtet der psychischen und physischen Folgen der Fehlgeburt.
Petition erfolgreich: Mutterschutz ab Woche 13
Eine Ausnahmesituation, in der Frauen bisher auf das Verständnis der Ärzte und deren Bereitschaft, die Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen, angewiesen waren. Das hat sich zum 1. Juni geändert: Betroffenen steht nach einer Fehlgeburt nun ab der 13. Woche Mutterschutz zu. Je nachdem, wie lange die Schwangerschaft angedauert hat, gilt er zwischen zwei und acht Wochen.
Hessens Gesundheitsministerin Diana Stolz (CDU) begrüßt die neue Regelung: "Das ist nicht nur ein starkes Signal an die von einem schweren Schicksalsschlag betroffenen Frauen, sondern auch ein richtiger und wichtiger Schritt, um ihnen den Raum für die Verarbeitung des Erlebten zu geben", teilte sie am Sonntag mit.
Die entsprechende Gesetzesänderung wurde bereits im Januar verabschiedet. Anstoß dafür war eine Petition von Natascha Sagorski, die selbst früh in der Schwangerschaft ein Kind verloren hat. Gemeinsam mit drei anderen Frauen sammelte sie im Jahr 2022 über 75.000 Unterschriften für ihre Forderung.
Ab dem 1. Juni tritt die Gesetzänderung zum gestaffelten Mutterschutz nach einer Fehlgeburt in Kraft. Betroffene Frauen dürfen damit für eine bestimmte Zeit nicht vom Arbeitgeber beschäftigt werden - es sei denn, sie möchten ausdrücklich arbeiten. Der Zeitraum richtet sich nach der Länge der Schwangerschaft. Frauen, die ihr ungeborenes Kind vor der 13. Woche verlieren, haben weiterhin keinen Anspruch auf Mutterschutz.
- Fehlgeburt ab der 13. Woche: bis zu zwei Wochen Mutterschutz
- Fehlgeburt ab der 17. Woche: bis zu sechs Wochen Mutterschutz
- Fehlgeburt ab der 20. Woche: bis zu acht Wochen Mutterschutz
Stirbt das Kind nach der 24. Woche oder wiegt es mehr als 500 Gramm, sprechen Ärzte von einer Totgeburt. In diesen Fällen galt auch bisher dieselbe Schutzfrist wie nach einer Entbindung: acht Wochen.
Gestaffelter Mutterschutz
Ab dem 1. Juni tritt die Gesetzänderung zum gestaffelten Mutterschutz nach einer Fehlgeburt in Kraft. Betroffene Frauen dürfen damit für eine bestimmte Zeit nicht vom Arbeitgeber beschäftigt werden - es sei denn, sie möchten ausdrücklich arbeiten. Der Zeitraum richtet sich nach der Länge der Schwangerschaft. Frauen, die ihr ungeborenes Kind vor der 13. Woche verlieren, haben weiterhin keinen Anspruch auf Mutterschutz.
- Fehlgeburt ab der 13. Woche: bis zu zwei Wochen Mutterschutz
- Fehlgeburt ab der 17. Woche: bis zu sechs Wochen Mutterschutz
- Fehlgeburt ab der 20. Woche: bis zu acht Wochen Mutterschutz
Stirbt das Kind nach der 24. Woche oder wiegt es mehr als 500 Gramm, sprechen Ärzte von einer Totgeburt. In diesen Fällen galt auch bisher dieselbe Schutzfrist wie nach einer Entbindung: acht Wochen.
Unter den Unterzeichnerinnen war neben Philine Walter-Altenhein auch die Psychologin Britta Wilke. In ihrer Praxis in Frankfurt hat sie sich auf die Behandlung von Frauen mit Geburtstraumen und Fehlgeburten spezialisiert. Dass die Gesetzesänderung nun gilt, ist für sie ein "grandioser und wirklich toller Schritt". Viel zu lange seien Fehlgeburten bagatellisiert worden.
"Eine Krankschreibung verweigern die Ärzte oft"
Für werdende Mütter gebe es eine relativ gute Unterstützung im Gesundheitssystem, so Wilke: "Aber in dem Moment, in dem eine Frau ihr Kind verliert, zählt sie irgendwie nicht mehr." Das sei für die Betroffenen eine tiefgreifende Erfahrung.
"Da wird medizinisch noch das Notwendigste gemacht, aber eine Krankschreibung verweigern die Ärzte oft, weil es dafür körperlich angeblich keinen Grund gibt", so Wilke. Sie müssten dann bei anderen Ärzten nachfragen, sich rechtfertigen oder andere Gründe wie Rückenschmerzen vorgeben, um krankgeschrieben zu werden.
Die Gesetzesänderung schließe diese Lücke im Mutterschaftsgesetz - und bringe dem Thema Fehlgeburt insgesamt mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Jede Frau, die das in Anspruch nehme und damit auch ein Stück weit öffentlich mache, trage dazu bei. Das mache deutlich: "Wir sind nicht alleine und wir dürfen zeigen, dass das Ganze uns schwer belastet und so damit umgehen, wie es uns richtig erscheint."
Ein Gefühl des Versagens
Eine Fehlgeburt treffe Frauen ganz unterschiedlich, je nachdem wie lange die Schwangerschaft gedauert habe, wie groß der Kinderwunsch gewesen sei, wie resilient sie insgesamt seien. "Das Erste, womit die Frauen kommen, ist unisono Traurigkeit." Hinzu kämen Schmerz und für viele auch das Thema Versagensgefühle - der Gedanke: "Ich kann etwas nicht, was eigentlich total normal ist."
Wie viele Frauen diesen Verlust erleiden, lässt sich nicht genau sagen. Bundes- oder landesweite Statistiken fehlen, Fehlgeburten vor der 24. Schwangerschaftswoche müssen dem Standesamt nicht gemeldet werden.
Studien zufolge passiert ein Großteil der Fehlgeburten, etwa 80 Prozent, in den ersten zwölf Wochen. Jede dritte Frau verliert in dieser sensiblen ersten Zeit ein ungeborenes Kind, schätzt der Berufsverband der Frauenärzte e. V..
Wilke: Schmerz hängt nicht von Schwangerschaftswoche ab
Daraus ergibt sich für Wilke auch ein deutlicher Kritikpunkt an der Gesetzesänderung: Frauen im ersten Trimester - und damit der Großteil der Betroffenen - haben weiterhin keinen Anspruch. "Vor der 13. Woche sind schon Gliedmaße ausgebildet, der Kopf ist ausgebildet, man sieht das Herzchen schlagen."
Schon da entwickle sich eine Bindung. Auch die Staffelung des Mutterschutzes sieht sie kritisch. "Das ist eher willkürlich - wie schmerzhaft eine Frau den Verlust empfindet, hängt eben nicht nur von der Länge der Schwangerschaft ab".
Der Verein Unsere Sternenkinder Rhein Main e.V. bietet unter anderem eine Trauerbegleitung und Workshops für betroffene Familien an. Zusätzlich gibt es Selbsthilfegruppen in Frankfurt, Friedberg, Kassel, Offenbach und Schlüchtern sowie eine Online-Gruppe. Verwaiste Mütter können spezielle Rückbildungskurse des Vereins besuchen. Auch der Kontaktkreis Traumkinder Kassel bietet Gesprächsgruppen und Einzelgespräche an.
Beratung und Informationen erhalten Betroffene zum Beispiel auch bei Pro Familia Hessen und der Diakonie Hessen.
Hilfe für Betroffene nach einer Fehl- oder Totgeburt
Der Verein Unsere Sternenkinder Rhein Main e.V. bietet unter anderem eine Trauerbegleitung und Workshops für betroffene Familien an. Zusätzlich gibt es Selbsthilfegruppen in Frankfurt, Friedberg, Kassel, Offenbach und Schlüchtern sowie eine Online-Gruppe. Verwaiste Mütter können spezielle Rückbildungskurse des Vereins besuchen. Auch der Kontaktkreis Traumkinder Kassel bietet Gesprächsgruppen und Einzelgespräche an.
Beratung und Informationen erhalten Betroffene zum Beispiel auch bei Pro Familia Hessen und der Diakonie Hessen.
Diesen Punkten stimmt auch Philine Walter-Altenhein zu. "Eine Fehlgeburt sollte meiner Meinung auch vor der 13. Woche nicht einfach übergangen werden." Aus emotionaler, aber auch körperlicher Sicht, fügt sie hinzu. "Eine Frau wird zur Mutter, sobald der Schwangerschaftstest positiv ist - und nicht erst, wenn sie ein Kind in den Händen hält."
Keine Pause für Partner
Walter-Altenhein weist auf ein weiteres Manko hin, denn eine betroffene Gruppe findet weiterhin keinerlei Beachtung. "Einen Vaterschutz oder ein Partner:innennenschutz, den gibt es eben leider nicht." Ihr Mann habe sich nach der Fehlgeburt krankschreiben lassen. Das habe zum Glück problemlos funktioniert.
"Auch das neue Gesetz geht gar nicht darauf ein, dass auch sie diesen Verlust nicht einfach so leicht wegstecken können", sagt auch Psychologin Wilke. Häufig müssten sie sich mit Ausreden krankschreiben lassen, "weil Ärzte nicht unbedingt anerkennen, dass sie auch unter der Fehlgeburt leiden könnten". Zudem sei es für die Frauen oft wichtig, dass der Partner zur Unterstützung an ihrer Seite ist.
Wunsch: Raus aus der Tabuzone
Beide wünschen sich vor allem eins: mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit für das Thema Fehlgeburt. Für Philine Walter-Altenhein zeigt sich das fehlende Bewusstsein dafür schon im Krankenhaus. Mehr als ein Faltblatt mit Informationen habe sie nicht bekommen, dabei seien so viele Fragen offen gewesen.
Die nächste Hürde: Das Gespräch mit dem Umfeld, der Familie, Freunden, Nachbarn. "Ich weiß gar nicht, wie viel ich einem anderen Menschen von meiner Trauer oder meiner Erfahrung zumuten kann, ohne auch dort Traumatisierung zu schaffen."
Auch das Gegenüber sei unsicher, welche Fragen erlaubt seien und was sie auf keinen Fall sagen dürften. "Da entsteht natürlich Distanz, wo eigentlich keine Distanz sein sollte."
Das Thema aus der Tabuzone holen und ihm Raum geben, Betroffene besser unterstützen, den Verlust nicht kleinreden - das fordert auch Wilke. Und vor allem: Der Frau nicht das Gefühl geben, sie habe versagt oder es sei ihre Schuld. "Denn das verursacht häufig die schwerwiegendsten Wunden."
Mit der Gesetzesänderung, finden beide, ist ein Schritt in die richtige Richtung getan. Dass viele weitere folgen werden, können sie nur hoffen.