Hessens Schulen suchen Quereinsteiger Dramatischer Lehrermangel oder überschaubares Lehrermängelchen?

Lehrer verzweifelt gesucht: Rund 2.000 Stellen sind nach Einschätzung des Verbands Bildung und Erziehung in Hessen unbesetzt. Kultusminister Lorz kann kein größeres Problem erkennen.

Blick auf die Tafel aus der Froschperspeektive in einem leeren Klassenraum
Leere Stühle stehen in einem Klassenraum. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Stehen Hessens Schulen auf einem gesunden Fundament oder kurz vor dem Kollaps? Je nach Leseart und Ansprechpartner erhält man darauf ganz unterschiedliche Antworten. Der Lehrkräftemangel sei gerade im Rhein-Main-Gebiet "dramatisch", beklagt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und bezieht sich dabei auf rund 2.000 unbesetzte Stellen an den Schulen.

Im Kultusministerium hört man solche Aussagen ungern. Die Situation werde in der öffentlichen Diskussion "reißerisch dargestellt", beschwichtigt Minister Alexander Lorz (CDU). Alles in allem gebe es genügend Lehrkräfte in Hessen, sagt er. Punktuell könne es mal an einzelnen Schulen Schwierigkeiten geben, "wenn in der Region gerade ein Lehrer mit einer entsprechenden Fachlichkeit gesucht wird".

Kein Problem der reinen Zahlen

Dieser Fall tritt aus Sicht der Schulen öfter ein, als es der Minister wahrhaben wolle. Kurzfristige Ausfälle sorgten immer wieder für erhebliche Probleme, sagt etwa Schulleiter Knut Hahn von der Albrecht-Dürer-Schule in Weiterstadt (Darmstadt-Dieburg). Es gebe kaum ausgebildete Kräfte, die vertretungsweise Unterricht abhalten könnten. In manchen Fächern wie Informatik oder Naturwissenschaften stelle schon der normale Unterricht ein personelles Problem dar.

Das sieht auch der Landeselternbeirat so. Der Mangel zeige sich nicht nur in bestimmten Fächern, sondern auch von Region zu Region unterschiedlich, sagte der Vorsitzende Volkmar Heitmann dem hr am Donnerstag. Junge Lehrer ziehe es in die Großstädte, daher sei hier die Abdeckung deutlich besser als in ländlicheren Regionen. Auch sei das Problem stark von der jeweiligen Schulform abhängig. In Gymnasien fielen deutlich weniger Stunden aus als in Grundschulen. Am Ende jedoch sei der Unterrichtsausfall "über alle Schulformen und Klassenstufen beträchtlich".

"Herr Lorz sollte sich besser nicht ins Lehrerzimmer trauen"

"Überall ist die Lage angespannt", sagte auch der VBE-Landesvorsitzende Stefan Wesselmann zum Auftakt des Schuljahres. Als "angespannt" könnte man auch das Verhältnis zwischen Basis und Oberster Schulaufsichtsbehörde bezeichnen: Seit Beginn der Corona-Krise liegen Schulen und Lehrer mit Lorz im Clinch über Fragen der Gesundheit, Zuständigkeiten und Ausstattung der Schulen. Wesselmann empfahl dem Minister gar: "Herr Lorz sollte sich besser nicht in die Lehrerzimmer und auf die Elternabende an Schulen trauen, die vom Lehrkräftemangel besonders betroffen sind."

Im Schnitt sei an jeder Schule mehr als eine Stelle, die finanziell fest eingeplant ist, unbesetzt, schätzt der VBE. "Außerdem zeigt sich der Lehrkräftemangel an den 6.000 bis 7.000 befristeten Vertretungsverträgen – denn die meisten wurden nicht mit ausgebildeten Lehrkräften abgeschlossen, sondern mit Studierenden oder Menschen aus völlig anderen Berufen."

Quereinsteiger sollen die Not lindern

In Wiesbaden sieht man die Weiterbildung von Quereinsteigern als probates Mittel zur Linderung der Personalsorgen. Es würden beispielsweise Grafikdesigner zu Kunstlehrern geschult oder Physikerinnen aufs Lehren in den Fächern Physik oder Mathe vorbereitet, teilte das Lorz-Ministerium auf hr-Anfrage mit. 177 solcher Quereinsteiger seien momentan an den Studienseminaren für Referendariate eingestellt. Hinzu kämen Quereinsteiger, die bereits die geforderten pädagogischen Kenntnisse besitzen.

An der Albrecht-Dürer-Schule in Weiterstadt geht man gezwungenermaßen noch einen Schritt weiter. Dort, sagte Schulleiter Knut Hahn, leiteten teilweise Abiturientinnen und Abiturienten den Vertretungsunterricht für ihre jüngeren Mitschüler. Wenn sich an der Situation etwas ändern solle, müsste ihm zufolge das Rekrutierungssystem für Lehrkräfte grundlegend überarbeitet werden. Und das Land Hessen müsse anerkennen, dass Lehrende eben nicht unterrichten, sondern viel mehr leisten, etwa bei der Integration ukrainischer Geflüchteter. Das müsse auch entsprechend honoriert werden.

Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 13.10.2022, 6 Uhr

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Quelle: hessenschau.de/Fabian Weidenhausen, Sandra Winzer, Stefanie Hofmann

Ihre Kommentare Lehrermangel - aus Ihrer Sicht ein Problem?

39 Kommentare

  • Oh ja! Es gibt eindeutig zu wenige Lehrkräfte! Das hätte man schon vor Jahren sehen können und etwas ändern sollen.

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    Obermayr ISS in Schwalbach aT

  • Die Mängelverwaltung durchzog meine aktive Lehrerzeit, 1979-2019. Das Kultusministerium erfreute uns mit mathematischen Innovationen wie "80 Unterrichtsabdeckung = 100 " und mit jahrelanger Verweigerung von Besoldungsanpassung, von Kochschen Zusatzbelastungen abgesehen. Und dennoch hat das Kultusministerium die Gabe des wishful thinking beibehalten, die Krise offenbart sich, wenn man die Situation in Schulen anschaut.
    Herzlich begrüße ich die Initiative der SPD, A13 für Grundschullehrkräfte. Ach ja, das leider nicht ausschaltbare Gedächtnis erinnert sich an sehr viele Jahre SPD-geführter Landesregierung, in denen dies als unrealistische utopia behandelt wurde.
    Höchste Zeit, die richtigen Prioritäten zu setzen.

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