"Chaos und Stille" im Kino Eine Frau zieht aufs Dach - und Darmstadt wird still

In "Chaos und Stille" erzählt Regisseur Anatol Schuster die Geschichte einer Frau, die sich radikal aus der Welt zurückzieht. Seine Heimatstadt Darmstadt wird dabei zum Resonanzraum für existenzielle Fragen nach Sinn, Stille und innerer Freiheit.

Klara auf dem Dach schaut einen Vogel an
Klara (Sabine Timoteo) hat sich auf das Dach ihres Hauses zurückgezogen und lebt dort in Stille Bild © Neue Visionen Filmverleih GmbH
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"Was waren die Gründe für ihre Abkehr von der Welt?", fragt sich der Komponist Jean eines Tages. "Wie konnte es dazu kommen, dass sie verehrt und verstoßen wurde?" Sie, das ist seine Vermieterin Klara. Klara hat ihr ganzes Hab und Gut aufgegeben und ist schweigend auf das Dach ihres Mehrfamilienhauses gezogen.

Ihr radikaler Schritt verändert nicht nur das Leben von Jean und seiner schwangeren Lebensgefährtin Helena. Bald wird das Haus zum lebendigen Epizentrum einer Sinnsuche, die sich auf die ganze Stadt ausweitet.

Darmstadt als Filmkulisse

Das introspektive, ruhige Drama stammt aus der Feder von Anatol Schuster. Der in Darmstadt geborene Regisseur ist für den Dreh seines Filmes im Herbst 2022 zu seinem Geburtsort zurückgekehrt.

"Darmstadt hat an sich schonmal eine Größe, die eine gewisse Anonymität hat", erzählt Schuster, der mittlerweile in Berlin lebt. Die Stadt in Südhessen sei mit ihren rund 170.000 Einwohnern gleichzeitig aber auch überschaubar genug, dass sich Menschen in anderen Kontexten wiederfinden könnten.

Die Darmstädter Schauplätze nehmen in der Erzählung zwar eine hintergründige Rolle ein, sie schaffen es jedoch erfolgreich dem Film eine authentische Atmosphäre zu geben. Fast dokumentarisch fängt Schuster den Charakter der Stadt ein. Ihre Obdachlosen oder ihre Straßenkunst, die gezeigt werden, geben der Stadt und den Bildern im Film eine Realität, die sich mit der fiktiven Handlung vermischt. Die Sehnsucht nach Stille wirkt im grauen herbstlichen Darmstadt echt.

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Südhessische Dächer

Der City-Tunnel, der Luisenplatz oder der Kiosk am weißen Turm vor dem Residenzschloss sind nur einige Orte der Heinerstadt, die sich auf der großen Leinwand wiedererkennen lassen. Innenaufnahmen einer Schule sind in Frankfurt entstanden, ein anderer Drehort war Groß-Umstadt.

Besonders schwer war es für Schuster, ein passendes Dach zu finden, auf das sich die von Sabine Timoteo verkörperte Klara zurückzieht. Letztendlich fand es der Filmemacher auf einem Hochhaus in der Eschollbrücker Straße in Darmstadt-West.

"Wir haben nach einem flachen Dach gesucht, das eine Höhe und eine Gefahr hat, aber sich zugleich auch so weit über die Stadt erhebt, dass man in einen anderen Modus kommt und sich ein Stille-Gefühl breit macht", erzählt Schuster im Gespräch mit dem hr.

Stille als Protest

Nach einiger Zeit auf ihrem Dach wird Klara zu einer lokalen Berühmtheit. Im fiktiven "Heiner TV" befragt eine Reporterin die Menschen zur vermeintlich merkwürdigen Frau, die sich zurückgezogen hat. "Die Frau hat recht, wir müssen verzichten, dem Planeten geht’s schlecht", sagt eine Passantin. Ein anderer behauptet, es sei Blödsinn. Klara sei kein Vorbild für Erwachsene und Kinder.

Schaulustige Menschen und Anhänger der asketischen Frau besetzen sogar das Treppenhaus von Jean und Helena. Klaras Stille wird zum Protest, ihr Rückzug ein Symbol. "Unter den Menschen, die sich uneinig darüber sind, was Klara dort macht, entsteht ein Chaos", sagt Schuster. Dadurch kämen innere Konflikte hoch.

Regisseur Anatol Schuster beim Filmgespräch in den Darmstädter Rex Kinos
Regisseur Anatol Schuster beim Filmgespräch in den Darmstädter Rex Kinos Bild © Petra Demant, hr

"Ich will etwas zum Klingen bringen"

Schusters Erzählung wirkt dabei oft suchend. Der Film wird mit nüchternen Bildern erzählt, mit oft abrupt endenden Szenen, und Gedanken und Gefühlen, die erkundet und nicht erklärt werden. "Chaos und Stille" erlaubt sich vermeintliche Leerstellen im Film und zieht sich oft in eine Stille zurück, die zum Zuhören zwingt.

"Am Ende soll keine große Botschaft stehen, die für alle klar und gleich ist", erzählt Schuster. Ihre entschiedene, klare Haltung, mit der sich Klara von den Dingen befreie und damit auch eine innere Freiheit erlange, soll vielmehr etwas anstoßen beim Publikum, und "etwas zum Klingen" bringen, verrät der Regisseur.

Jean, gespielt von Anton von Lucke, mit Baby im Arm
Der Komponist Jean (Anton von Lucke) will ein Stück über Stille komponieren Bild © Neue Visionen Filmverleih GmbH

Komponiert wie ein Musikstück

Der Klang von Stille zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Anton von Luckes Figur, der nachdenkliche Komponist Jean, versucht zeitgleich ein Musikstück über Stille zu komponieren und besucht dafür extra taubstumme Kinder.

Musik sei ihm besonders wichtig, erzählt Regisseur Schuster. Auch das Drehbuch sei stark aufgebaut wie eine Komposition, die aus vielen Instrumenten bestehe, mit wiederkehrenden Motiven wie ein lautes Darmstadt in Bewegung oder Stille als Störung.

"Chaos und Stille" greift mit diesen Stilmitteln eine Sehnsucht nach Stille auf und befasst sich erzählerisch damit, wie ein Rückzug uns auch menschlicher machen kann. Der Film lässt Raum für Leere, Irritation und für Ruhe und wagt einen Blick hinter den Vorhang unseres urbanen Dauerrauschens auf die Menschlichkeit dahinter. Wenn wir uns auf ein metaphorisches Dach zurückziehen, wer weiß, was dann noch in uns klingt?

Weitere Informationen

Kinostart für "Chaos und Stille"

Ab Donnerstag (5. Juni) ist der Film deutschlandweit in Kinos zu sehen. In Hessen läuft er unter anderem im Cinema und Mal Sehn Kino in Frankfurt, in den Rex Kinos in Darmstadt, in den Kasseler Bali-Kinos, dem Wiesbadener Caligari oder dem Kino-Center in Gießen.

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Sendung: hr2 kultur,

Quelle: hessenschau.de