Liebe Bürger*innen des Odenwaldes, oder besser gesagt, der ganzen Welt,
schwere Zeiten liegen hinter uns, doch die Zeiten, die vor uns liegen, werden sicherlich noch viel schwerer und verrückter. Ich, Leopold Maximilian Werker, warne euch hiermit vor der größten Katastrophe der gesamten Welt, denn ein Verrückter hat soeben angefangen, die Zeit festzufrieren. Dies wird zu einem Stillstand der gesamten Galaxie führen. Deshalb rufe ich euch auf, euch dagegen zu wehren. Liest jemand diesen Text mit Bedacht, so soll er am Montag um 8.00 Uhr nächster Woche vor meiner Tür in der Bachstraße in Würzberg stehen. Dies war meine letzte Warnung!

Erstaunt richtet sich Siegfried auf und zieht seine Augenbrauen nach oben. Damit hatte er nicht gerechnet, als er seine Wohnung angefangen hatte zu renovieren und diese Anzeige in einer abtapezierten Zeitung fand. Nun, so denkt er, gibt es doch noch einen letzten Fall als Zeitforscher zu erledigen. Früher einmal war er nämlich ein bekannter Wissenschaftler, der sich mit der Zeit auseinandergesetzt hatte, doch nach seiner Pensionierung wollte er sich eigentlich aus dem Trubel zurückziehen und stattdessen die letzte Zeit seines Lebens bei einer Tasse Tee in diesem Haus irgendwo im Odenwald verbringen, doch seit er diesen Artikel fand, lässt er Siegfried keine Ruhe. Er will unbedingt herausfinden, was damals geschah. Plötzlich ertönt im Flur ein Geräusch. Kurz darauf läuft ein roter Kater ins Wohnzimmer und springt mit einem Satz auf das Sofa neben Siegfried. Der Kater lässt sich auf dem Schoß von ihm nieder, dabei rollt er sich zusammen und miaut dreimal laut. "Ich weiß, du willst auch wissen, was es mit der Anzeige auf sich hat! Sollen wir der Sache auf den Grund gehen?", fragt Siegfried und lächelt. Der rotgetigerte Kater gibt ein tiefes Brummen von sich. Er ist also auch einverstanden. "Na gut, dann fahre ich jetzt erstmal zum Michelstädter Stadtarchiv, um mich über die Anzeige zu informieren. Du bleibst am besten hier liegen und wartest, bis ich wiederkomme!", sagt er, während er den Kater von seinem Schoß hochhebt und ihn auf das grüne Sofa legt. Dann verlässt er mit schnellen Schritten das Haus und steigt in seinen alten Golf. Bald darauf ziehen an dem Auto große mystische Bäume, satte Wiesen und ein paar Felder vorbei. Das ist es, was Siegfried am Odenwald so mag, alles wirkt friedlich, denn hier tickt die Zeit irgendwie anders. Nach wenigen Minuten kommt er in Michelstadt an und beginnt sogleich, etwas über diesen Artikel herauszufinden. Mehrere Stunden verbringt er dort, mit ein wenig Erfolg. Am Ende hatte er herausgefunden, dass diese Anzeige aus dem Jahr 1904 war und von einem verrückt gehaltenen Professor geschrieben wurde. Glücklich fährt Siegfried nach Hause, um seinen Kater, Nero, abzuholen.

Dieser wartet schon aufgeregt an der Tür, als sie Siegfried öffnet, und springt auf den Beifahrersitz des Golfes. Dann fahren sie auf einen Wanderparkplatz im Odenwald, steigen aus und laufen etwa 200 Meter, bis sie vor einer alten Buche stehen bleiben. Dieser verknorpelte Baum ist die Tarnung einer Zeitmaschine, die Siegfried vor mehreren Jahren entworfen hatte. Ein kühler Windstoß lässt Siegfried frieren. Das letzte Mal, als er die Maschine benutzt hatte, kam er fast nicht mehr zurück, aber er will unbedingt wissen, ob Herr Werker Recht hatte. Nach einiger Überwindung hält er eine Metallscheibe, die wie ein Autoschlüssel funktioniert, an den Baum, welcher sich kurze Zeit später in eine Zeitmaschine verwandelt. Eine Tür klappt auf. Dann ertönt ein Zischen. Siegfried setzt sich etwas zögerlich auf einen Sessel in diesem Gerät. Etwas später springt Nero auf seinen Schoß. Der Wissenschaftler stellt auf einer Drehscheibe das Jahr 1904 und den Termin des Treffens in Würzberg ein. Einen Moment Stille. Danach dreht sich die Maschine immer schneller, wirbelt umher. Plötzlich wieder Stille. Das Gerät ist verschwunden.

Im Jahr 1904 angekommen, steigen Siegfried und sein Kater aus der Maschine aus und sehen sich in der "alten" Stadt Michelstadt um. In den Gassen ist Betrieb, überall laufen Leute umher und unterhalten sich. Von irgendwo kommt ein süßer Duft herbeigeweht. Siegfried sieht sich fasziniert um, fängt danach jedoch an, einige Leute nach Leopold Maximilian Werker zu befragen. Eine Frau kann ihm helfen, sie gibt ihm die Adresse von Leopold Werker und beschreibt ihm den Weg zum Haus in Würzberg. Sie warnt den Wissenschaftler jedoch, Leopold Werker sei zwar ein netter, aber nicht immer ernstzunehmender Mann. Bald darauf sitzt Siegfried in einer Kutsche und kommt eine Stunde später in der Bachstraße an. Vor ihm steht ein Haus mit gelben Schindeln. In einem Garten stehen wenige Stühle, auf denen Leute sitzen. Sie hören einem älteren Mann zu, der vor ihnen steht und wild gestikuliert. Leise betritt Siegfried den Garten und setzt sich auf einen freien Stuhl. Sein Kater kommt ihm zögerlich hinterher. Gespannt lauscht Siegfried Leopold Maximilian Werker, der gerade erst richtig in Fahrt kommt. "Deshalb, meine lieben Freunde, wird es Zeit, etwas gegen Viktor Stahl zu unternehmen. Er will uns unsere Zeit stehlen, uns festfrieren in dieser Zeit und damit unsere Zukunft gefährden. Viele Menschenleben sind bedroht! Bisher hält ihn jedoch niemand auf, weil es alle nicht wirklich ernst nehmen, aber Stahl hat schon angefangen! Wir müssen schnell handeln, nur so können wir diese Katastrophe verhindern", fordert er die Leute auf. Siegfried schaut ihn neugierig an. Nach seiner Rede verlassen die Zuhörer den Garten nach und nach. Die meisten Menschen schmunzeln nur. Siegfried entschließt sich jedoch, mit dem Mann zu reden und geht auf ihn zu. Nach einem ausgiebigen Gespräch mit Leopold weiß Siegfried nun, dass Leopold früher einmal mit Viktor befreundet war und dieser ihm von seinen grausamen Plänen erzählt hatte. Leopold will dies nun verhindern, indem er die anderen warnt und an einem Plan arbeitet. Ganz überzeugt ist Siegfried nicht. Auf die Frage, ob Siegfried und Nero für eine Nacht bei ihm schlafen könnten, antwortet der Erfinder aber mit einem gastfreundschaftlichen Lächeln.

Am nächsten Tag wird Siegfried von einem Klopfen geweckt. Der Erfinder steht aufgeregt vor der Tür. Sobald Siegfried diese öffnet, fängt er sofort an, zu erzählen: "Viktor hat heute Nacht schon Afrika, Süd- und Nordamerika, Asien, Australien sowie alle Inselstaaten eingefroren. Das hat er mir mitgeteilt! Nun ist er dabei Europa einzufrieren! Kommen Sie schnell, Sie müssen mir helfen. Nur so können wir überleben." Schnell gehen die zwei Männer in das Büro von Leopold. Dort zeigt er Siegfried eine Skizze von einer riesigen Uhr, die auf der Spitze der Michelstädter Stadtkirche angebracht ist. "Diese Uhr muss an die höchste Stelle in Michelstadt gebaut werden, dann kann die Welt nicht festgefroren werden, weil die Uhr die Zeit immer weiter ticken lässt!", erklärt der Erfinder. Im Anschluss zeigt Leopold noch die Uhr aus der Skizze, diesmal nur die reale Version. Sie ist riesig, doch es bleibt keine Zeit für lange Erklärungen oder die Frage, wie man sie auf die Kirche bekommt.

Dann geht alles schnell, Siegfried und Leopold transportieren die Uhr mühevoll mit einer Kutsche nach Michelstadt. Die Leute sehen die Uhr und schauen neugierig herüber, als sie jedoch Leopold entdecken, laufen sie weiter. Danach tragen die beiden die Uhr durch das enge Treppenhaus nach oben. Stufe für Stufe. Endlich oben angekommen, erwähnt Leopold, der Odenwald sei nun als einziges noch nicht eingefroren. Während die Sonne untergeht, versuchen die Männer die Uhr so schnell wie möglich zu montieren. Sie beachten dabei gar nicht, dass Nero wegrennt. Einige Zeit später haben sie es fast geschafft, wenn da nicht die eine Schraube fehlen würde. Enttäuscht sehen sich die Männer an, nun gibt es keine Hoffnung mehr! Die Welt ist verloren. Minute um Minute vergeht, während dessen breitet sich etwas Dunkles immer weiter Richtung Michelstadt aus.

Plötzlich springt ein roter Schatten die Stufen der Kirche nach oben: Nero! Siegfried ist überglücklich, ihn zu sehen, doch noch glücklicher wird er, als er entdeckt, was Nero in seinem Maul hat: Die fehlende Schraube! Mittlerweile erstreckt sich in der Ferne schon eine graue Wolke über die Stadt. Leopold befestigt die Schraube. Ein heller Lichtstrahl, breitet sich aus und zerstört das Finstere. Nero hatte die Welt gerettet!

Nach ihrer Aktion hatte Leopold nie wieder etwas von Viktor gehört. Wenige Tage später berichten die Zeitungen über einen eigenartigen Kälteausbruch, der sich über die ganze Welt zog, doch glücklicherweise nur von kurzer Dauer war.

Die Wissenschaftler verabschieden sich und Siegfried reist mit Nero schließlich in die Gegenwart zurück. Zuhause legt er sich auf einen Liegestuhl im Garten und schließt die Augen. Vögel zwitschern, der Wind weht durch die Zweige und von weiter Ferne hört man ein sanftes Schnurren. Nun weiß Siegfried, weshalb die Zeit im Odenwald so anders, so besonders, tickt.