"Das ist sehr belastend" Wie Ermittler gegen Kinderpornografie kämpfen - und dabei an ihre Grenzen stoßen

Im Kampf gegen Kinderpornografie müssen Ermittler der Spezialeinheit "BAO Fokus" riesige Datenmengen an Videomaterial durchforsten. Wie das Team mit der Belastung umgeht und warum Naivität von Eltern und Kindern ein Problem ist, erklärt LKA-Mitarbeiter Daniel Knaup im Interview.

Eine Kriminaloberkommissarin beim Polizeipräsidium Mittelhessen sitzt in einem Büro vor einem Auswertungscomputer auf der Suche nach Kinderpornografie und Fällen von sexuellem Missbrauch.
Die Sichtung von Kinderpornografie ist für Beamte häufig belastend. Bild © picture alliance/dpa | Arne Dedert

Die Erwartungshaltung an die Ermittler der Spezialeinheit FOKUS ist klar: Sie müssen Videos mit teils schwersten Misshandlungen ansehen, und wenn es sein muss, auch zehnmal. Ohne Vor- oder Zurückspulen und ohne Überspringen. Das kann so belastend sein, dass die Einheit ihre Mitarbeitenden zeitweise in Kur schickt, wie Daniel Knaup vom Hessischen Landeskriminalamt (LKA) im Interview erklärt. 

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BAO-Ermittlungseinheit FOKUS

Die Besondere Aufbauorganisation (BAO) FOKUS geht in ganz Hessen mit über 300 Mitarbeitern und 160 Ermittelnden gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie vor. FOKUS steht für Fallübergreifende Organisationsstruktur gegen Kinderpornografie und Sexuellen Missbrauch von Kindern. Seit der Gründung im Oktober 2020 haben die hessenweiten Dienststellen der Einheit 7.890 Durchsuchungen durchgeführt, über 129.000 Beweismittel gesichert und 129 Haftbefehle vollstreckt.

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Knaup kennt die besonderen Belastungen dieser Ermittlungen. Er ist Sachgebietsleiter und kümmert sich insbesondere um die Koordination und Strategie. "Wir sind diejenigen im Hintergrund, die alles daransetzen, um den Ermittlerinnen und Ermittlern die Arbeit möglichst einfach und zielgerichtet zu gestalten", sagt Knaup über sein Team, das dem LKA unterstellt ist. 

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Das Gespräch führte Marlene App.

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hessenschau.de: Was sind die großen Stressfaktoren in ihrer Ermittlungseinheit? 

Daniel Knaup: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen täglich Videos und Bilder, die potenziell Missbrauchsdarstellungen enthalten, auswerten. Das bedeutet, dass sie sich belastendes Material im Zweifel auch mehrfach anschauen müssen. Sie müssen danach klar sagen können, ob Kinder- oder Jugendpornografie enthalten ist, das dann vor Gericht verwertbar darstellen können und das sowohl in Papierform in der Akte, als auch in einer persönlichen Aussage als Zeuge vor Gericht.

Interviewpartner Knaup LKA Hessen
Daniel Knaup vom LKA Hessen. Bild © Hessisches Landeskriminalamt

Außerdem ist da auch der Umgang mit den Geschädigten und Opfern selbst. Nicht selten kommen wir im Rahmen von Maßnahmen auch mit den Betroffenen in Kontakt und vernehmen zum Beispiel Kinder und Jugendliche als Opfer im Bereich von sexuellem Missbrauch. Da muss man hochsensibel und in sich gefestigt sein, um den Betroffenen Stabilität und Halt bieten zu können. Manchmal muss man Eltern die Nachricht überbringen, dass ihre Kinder Opfer eines Missbrauchs wurden, und damit eingestehen, dass man sie nicht schützen konnte – das ist auch sehr belastend. 

hessenschau.de: Mit welchen Problemen und Gedanken kommen Mitarbeiter auf Sie zu? 

Knaup: Wir sind hochsensibel für sexualisierte Gewalt, deswegen beschäftigt die Mitarbeitenden oft der eigene Umgang im sozialen Umfeld. Zum Beispiel hat man in der Verwandtschaft selbst kleine Kinder und stellt sich dann die Frage: Wie gehe ich mit den Kindern um?  

Wenn sich das Kind eines Bekannten auf meinen Schoß setzt, ich ein gutes Verhältnis mit ihm habe und mit ihm spiele, ist das schon übergriffig? Im Kopf können dabei Assoziationen aus unserem täglichen Dienstgeschäft entstehen. Das sind Gedanken, die einen beschäftigen können und bei denen ein Gespräch im Kollegenkreis und auch außerhalb des Büros ein Stück weit erden kann.  

Ich bin zum Beispiel selbst erst vor kurzem Vater geworden. Da war es für mich ganz, ganz wichtig, mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, die selbst auch kleine Kinder haben. Was haben die für Gedanken? Wie gehen die im Alltag damit um?

hessenschau.de: Wie versuchen Sie denn, ihre Ermittelnden zu entlasten?  

Knaup: Wir haben zum Beispiel in allen hessischen FOKUS- Dienststellen einen "Rauszeitraum" eingerichtet. Der dient dazu, Abstand von diesem tagtäglichen, belasteten Umfeld zu gewinnen, und sei es nur in der Mittagspause. Das ist ein Wohlfühlraum mit grünen Pflanzen und ruhiger Atmosphäre, in dem sich keine Gegenstände wiederfinden, die auf den ersten Blick einen dienstlichen Kontext herstellen würden. Es kann schon helfen, sich eine halbe Stunde reinzusetzen und den Kopf freizukriegen, sich mit den Kolleginnen und Kollegen über andere Themen unterhalten zu können, um dann auch wieder gestärkt in die Arbeit starten zu können.  

Auch wichtig ist hier das Thema Supervision, also die präventive psychologische Betreuung der Mitarbeitenden aller FOKUS-Dienststellen in Hessen. Unsere Mitarbeitenden können über die Gedanken, die sie bewegen, die sie vielleicht auch im Privaten haben, in den Austausch mit Psychotherapeuten gehen. Das Angebot bekommen wir vom Land Hessen zur Verfügung gestellt. So können wir daran arbeiten, uns selbst psychisch gesund zu halten.  

Und dann gibt es auch noch die "(R)Auszeit". Besonders belastete Kolleginnen und Kollegen, nicht nur von der FOKUS-Einheit, können eine Woche mit oder ohne Kind, je nachdem, wie es die familiären Umstände zulassen, in einen Kuraufenthalt gehen und Bewältigungsstrategien erlernen. Zudem gibt es weitere Dienstsportangebote.

hessenschau.de: Wie schätzen Sie ein, ob jemand den Belastungen beim FOKUS-Team standhalten kann oder nicht?  

Knaup: Wenn man Stresssymptome erkennt, ist es dann eigentlich schon zu spät. Wenn ich zum Beispiel vermehrt Krankheitstage bei meinen Mitarbeitenden feststelle, muss ich schauen, ob es ihnen noch gut geht und darauf einwirken, dass sie sich wieder stabilisieren. Spätestens dann muss man in den Austausch gehen und überlegen, wie man das Arbeitsumfeld verändert. Im Zweifel kann es auch zur Versetzung Betroffener kommen, denn die Gesundheit geht vor.

hessenschau.de: Und vor der Einstellung?  

Knaup: Im Einstellungsprozess gibt es im Grundsatz immer die Möglichkeit, eine Hospitation, vergleichbar mit einem Praktikum, in der Einheit durchzuführen. Wir achten darauf, wie der Interessent belastende Situationen in der Vergangenheit gemeistert hat. Es passiert öfter, dass wir dabei gezielt Kolleginnen oder Kollegen proaktiv ansprechen, die wir bereits kennen. Man bekommt schnell ein Gespür dafür, wer Interesse hat und mit dem Bereich auch umgehen könnte. Die Motivation ist bei den meisten sehr groß, weil wir mit unserer Arbeit die Schutzbedürftigsten unserer Gesellschaft schützen.  

hessenschau.de: Ist es für Sie selbst auch manchmal schwierig, eine professionelle Distanz zu halten?  

Knaup: Da muss man einfach die Professionalität wahren. Das gehört zu unserem Job dazu. Als Polizeibehörde müssen wir uns im Rahmen von Recht und Gesetz bewegen.

Was meiner Erfahrung nach zumindest auch im privaten Umfeld häufig verkannt wird, ist, dass wir im Schwerpunkt auch an Prävention, Aufklärung, und digitaler Naivität arbeiten müssen.

Dabei spielen bei uns Präventionsprogramme wie die "Schutzschildkampagne", "Gemeinsam sicher für Kinder und Jugend in Hessen" oder "Digital Native" eine große Rolle. Wir müssen Kinder und Jugendliche dafür sensibilisieren, wie sie mit ihren Daten und Bildern umgehen. Erwachsene sind da auch als Vorbilder in der Pflicht. Wenn ich beispielsweise ein Foto davon mache, wie mein Kind nackt am Strand spielt, ist das erstmal ganz unverfänglich. Was passiert dann aber, wenn das anschließend automatisiert in eine Cloud hochgeladen wird? 

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Neben den Ermittlungen sind das weitere Schwerpunkte, die uns auch ganz intensiv bewegen und begleiten. Da kann man im Vorfeld schon viel tun, um Kinder und Jugendliche davor zu schützen, Opfer zu werden und damit auch die Strafverfolgung in dem Bereich entlasten.  

hessenschau.de: Was würden Sie denn Eltern raten, wie sie sich im digitalen Raum besser schützen können? 

Knaup: Ich würde Ihnen mitgeben, einen hochsensiblen Umgang mit eigenen Daten und Bildern zu pflegen. Bevor ich ein Bild von meinen Kindern versende, insbesondere natürlich Aufnahmen, die den Intimbereich zeigen, Nacktaufnahmen oder Ähnliches, muss ich mir ganz bewusst machen, wo das hingeht.

Schicke ich das über einen sicheren Dienst an meinen Ehepartner oder lade ich es in meinen Social-Media-Status hoch, wo es jeder sehen und einen Screenshot machen kann? Lade ich es auf eine Online-Plattform hoch, wo ich im Zweifel vielleicht sogar Bildrechte abtrete? Die Auswirkungen sollte man sich vor der Versendung eines jeden Bildes bewusst machen.  

hessenschau.de: Das Thema Sexualität generell und auch die Themen Kindesmissbrauch und Kinderpornographie sind ja eher Tabuthemen. Welche Reaktionen bekommen Sie im Freundeskreis, wenn sie erzählen, woran Sie arbeiten?  

Knaup: Sehr unterschiedlich. Es gibt Reaktionen von Unverständnis, wie man in diesem Bereich arbeiten kann. Oft vor dem Hintergrund, dass Leute finden, dass das Strafgesetzbuch und auch die Rechtsprechung "zu lasch" seien. Man müsse als Mitarbeiter, der in diesem Bereich arbeitet, regelmäßig enttäuscht sein.  

Es gibt aber auch Anerkennung und Zuspruch, dass das genau das Richtige ist, diesen Deliktsbereich starkzumachen, weil man eben die Schwächsten in unserer Gesellschaft damit schützen kann.  

Ich stelle in privaten Gesprächen aber auch häufig fest, dass es eine eindimensionale Sichtweise auf den Bereich Kinderpornografie und sexuellen Missbrauch gibt. Leute stellen sich einen speziellen Phänotyp vor, der zuhause vor seinem Rechner hockt und sich so etwas anguckt. Aber die Fälle und Statistiken zeigen, wir bewegen uns da wirklich in der Bandbreite der Gesellschaft, auch in der Altersstruktur. Es ist immer wieder spannend, das im privaten Bereich zu diskutieren.  

hessenschau.de: Unter den Beschuldigten ihrer Einsätze sind oft auch Minderjährige. Ist es oft so, dass Kinder sich gegenseitig Bilder schicken und sich damit strafbar machen?  

Knaup: Das ist genau das Thema, was ich eben angesprochen habe. Wir erleben eine digitale Naivität in allen Altersgruppen. Im großen Teil herrscht da ein fehlverstandener Umgang mit Medien und von Grenzüberschreitungen. Deswegen haben wir vereinzelt auch Fälle von Kindern, die Sexualität im digitalen Raum erfahren und Bilder verschicken, die grenzüberschreitend sind.  

Insbesondere die amerikanischen Behörden melden solche Datenverkehre automatisiert nach Deutschland. Wir bekommen dann Verdachtsmeldungen zugeteilt, bei denen die Tatverdächtigen mutmaßlich in Hessen wohnen. Diesen Fällen müssen wir dann auch nachgehen.

hessenschau.de: Woher bekommen Sie noch ihre Hinweise?  

Knaup:  Manchmal fällt Eltern auf, dass ihre Kinder mit einschlägigen Bildern in Kontakt gekommen sind. Auch Lehrkräfte bekommen manchmal mit, dass in der Klasse Bilder kursieren. Die wenden sich dann auch an die Polizei und erstatten entsprechend Anzeige. 

hessenschau.de: Welche technischen Entwicklungen könnten Ihnen in Zukunft die Arbeit erleichtern? 

Knaup:  Die Künstliche Intelligenz macht auch vor der Polizei nicht halt. Wir müssen daran arbeiten, Künstliche Intelligenz und Automatisierungsprozesse bei uns zu implementieren, um die Mitarbeitenden da zu entlasten, wo es möglich ist.  

Wenn wir es schaffen, durch automatisierte Analyse und Kategorisierung das Material zu reduzieren, das sich unsere Mitarbeiter ansehen müssen, dann können wir unsere Arbeitsabläufe beschleunigen und werden dadurch gleichzeitig natürlich auch unserer Fürsorgepflicht gegenüber Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gerecht.

hessenschau.de: Müsste dann niemand mehr die Datenträger sichten? 

Knaup:  Wir werden immer darauf angewiesen sein, dass Menschen noch mal drüber schauen. Unsere Mitarbeitenden müssen zum Beispiel eine persönliche Aussage vor Gericht machen, denn sie schreiben zwar einen Auswertebericht, aber vor Gericht zählt die unmittelbare Aussage eines Zeugen. Es wird also immer notwendig bleiben, das Material genau anzusehen, aber vielleicht können wir es in Zukunft effektiver vorselektieren.

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Hilfe für Betroffene von sexualisierter Gewalt

Eine Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend ist das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch (0800 22 55 530).
Über die Website www.hilfe-portal-missbrauch.de können Betroffene anonym und kostenfrei Hilfe suchen.  

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Quelle: hessenschau.de