Hessenlöwe in schwarz-grün

Die reine Liebe hat CDU und Grüne in Hessen nicht zusammengeführt. Doch lange herrschte geräuschloser Pragmatismus in der Koalition. Ein Jahr vor der Landtagswahl knirscht es nun hörbar - und ein Partner weist den anderen unsanft zurecht.

In knapp einem Jahr ist Landtagswahl. Seit sechs Monaten ist Volker Bouffier (CDU) nicht mehr Ministerpräsident. Und seit einem Jahr regiert in Berlin die Ampel mit SPD, Grünen und FDP. Etwa in der Mitte dieser Zeitleiste ereignet sich Unerhörtes in dem Bundesland, das mit der Wahl 2013 zum gelungenen Pilotprojekt für stabile schwarz-grüne Regierungsbündnisse geworden ist.

CDU und Grüne streiten in Wiesbaden - und das auf offener Bühne. Genauer gesagt: Die Grünen weisen Unionsminister öffentlich zurecht, weil sie sich nicht zum ersten Mal in jüngster Vergangenheit provoziert fühlen. Anlass war am Montag ein Besuch von Peter Beuth (Inneres) und Roman Poseck (Justiz) beim Landeskriminalamt in Wiesbaden.

"Befremdlich", "unsachlich"

Was beide dem Law-and-Order-Lager zuzurechnenden CDU-Politiker über die Vorratsdatenspeicherung sagten, holte den kleineren Koalitionspartner vergleichsweise deutlich aus der Reserve. "Befremdlich" fand Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner laut einer Pressemitteilung Zeit und Ort der Äußerungen Beuths und Posecks. Den Inhalt verstand er als "unsachliche Spitzen gegen die Bundesregierung".

Gemessen am bisher gepflegten Ton platzte Wagner damit geradezu der Kragen. Auslöser: Bei Verbrechen wie Kindesmissbrauch wünschen sich neben der CDU und ihren in Hessen für Sicherheitspolitik zuständigen Regierungsmitgliedern auch größere Teile der SPD samt deren Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine wirksame Form der Vorratsdatenspeicherung. In der Ampelregierung in Berlin bremsen neben der FDP auch die Grünen mit Hinweisen auf Bürgerrechte.

Klare Arbeitsteilung und ein Vertrag

Dass CDU und Grüne in Hessen gerade in der Innenpolitik ziemlich uneinig sind, ist kein Geheimnis. Dass die Grünen mit Innenminister Beuth nicht gut können auch nicht. Dass es trotzdem bislang in der Landesregierung reibungslos lief, lag an einer klaren Arbeitsteilung je nach Posten im Kabinett – und daran, dass der gemeinsame Kurs sich eng an die Absteckung durch den Koalitionsvertrag hielt.

Für die Grünen ist klar: Gegen die so lange erfolgreich gewahrte Koalitionsdisziplin haben Beuth und Poseck verstoßen - und das nicht zum ersten Mal. "Erneut" gäben die beiden beim Thema Vorratsdatenspeicherung nicht die Meinung der Koalition, sondern ihre eigene Meinung von sich. "Sie sprechen damit nicht für die Koalition und somit auch nicht für die Landesregierung", beklagt Wagner.

Mehr wollte er am Montag nicht sagen. Aber offenkundig ist: Die Grünen beobachten in den vergangenen Wochen einige Auftritte der CDU mit wachsendem Groll. Sie argwöhnen, da werde auf ihre Kosten der von ihnen eigentlich für den kommenden Sommer geplante Wahlkampfbeginn vorgezogen

Bürgergeld, Last Generation, Daten

Beim inzwischen im Bundesrat beigelegten Streit zwischen der Ampel und der Union in Berlin über das Bürgergeld hielten die Grünen ihren Ärger noch zurück. CDU-Fraktionschefin Ines Claus hatte ihn ausgelöst, als sie im hr sagte: Die CDU könne lediglich die Erhöhung der monatlichen Leistungen mittragen. Der Rest des Gesetzes müsse verschoben werden.

Das war zwar Linie der Bundespartei. Aber die Grünen waren not amused, wie es intern hieß. Für die Koalition in Wiesbaden gilt: Sind sich die Partner nicht einig, enthält sich Hessen im Bundesrat.

Als Justizminister Poseck zur gleichen Zeit sinnierte, die Klimaproteste der "Letzten Generation" könnten auch als Terror betrachtet werden, stellten sich die Grünen vernehmbar dagegen. Wenn der CDU-Mann geltendes Recht ändern wolle, müsse er schon in der Koalition darüber sprechen, sagte Wagner dazu. "Das hat er bislang nicht getan."

Nicht mehr verklausuliert

Wenn der Grünen-Fraktionschef nun von "befremdlichem“ Vorgehen Posecks und Beuths spricht, darf das als Steigerung verstanden werden - und als Warnung an Regierungschef Boris Rhein. Unter dessen Vorgänger Bouffier kam es in der Koalition öffentlich allenfalls diplomatisch verklausuliert zu Distanzierungen.

Rhein wird nachgesagt, dass er seinen Ministern mehr Spielraum lässt - und ihm eine Koalition mit SPD und FDP lieber wäre. Was die Spannung zwischen Schwarz und Grün neben Programmatischem in der Bundespolitik noch steigen lassen könnte: Bei der Landtagswahl sind sie harte Konkurrenten, es könnte so eng wie nie zuvor werden.

Neben dem Amtsinhaber Rhein und einer mutmaßlichen SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser darf sich Grünen-Politiker Tarek Al-Wazir Hoffnungen machen, Regierungschef zu werden. Zuletzt führte aber die CDU den hr-hessentrend recht deutlich an.

SPD spricht von "Koalitionsdämmerung"

Genüssliche beobachtet die oppositionelle SPD den Koalitionszwist. "Dass Schwarzgrün den bislang internen Streit jetzt öffentlich durch den Versand von Pressemitteilungen austrägt, ist von einer ganz neuen Qualität" - so freute sich Fraktionschef Günter Rudolph am Montag.

Rudolph spricht von "Koalitionsdämmerung". Intern gäben sich CDU und Grüne schon lange keine Mühe mehr, "ihre schweren inhaltlichen und persönlichen Differenzen zu überdecken". Sein Fazit: Offenkundig gelinge es den Koalitionspartnern nicht mehr, "die Fliehkräfte in den eigenen Reihen zu kontrollieren".

Kein vorzeitiges Ende in Sicht

An ein - vorzeitiges - Ende der Koalition denken die Regierungspartner freilich nicht. Bei der Bewertung ihrer Beziehungsprobleme liegen sie aber ziemlich auseinander.

Das Maß sei jetzt mal voll gewesen - so hört man es aus der Grünen-Fraktion. Aus der CDU heißt es dagegen ebenso wie aus der Staatskanzlei: "Die Stimmung in der Koalition ist entspannt." Am Montagabend stand eine reguläre Koalitionsrunde unter Leitung von Regierungschef Rhein in Wiesbaden an. Gelegenheit, diese beiden Lagebeschreibungen zusammenzubringen.

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