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Hinterbliebene wussten nicht, was mit den Opfern geschieht

Vaska Zladeva vor dem Landtag mit einem Bild ihres ermordeten Cousins

Im Rahmen des Untersuchungsausschusses zum rassistischen Anschlag von Hanau haben zwei Rechtsmediziner ausgesagt. Ihr Fazit: Formal sei bei den Obduktionen der Opfer alles korrekt gelaufen. Die Sitzung zeigte vor allem eines: Gefühle und Rechtsstaat passen nicht immer zusammen.

Es war eine emotionale Sitzung erwartet worden am Freitagmorgen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum rassistischen Anschlag von Hanau. Der Grund: Es ging unter anderem um die Obduktionen der Opfer - ein Thema, das für die Angehörigen sehr sensibel ist. Der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD) hatte deshalb sogar eine Sanitäterin bestellt, für den Fall, dass Besucher Hilfe benötigten.

Sie kam allerdings nicht zum Einsatz, auch deshalb weil außer einem Vertreter der Opfer-Initiative 19. Februar an diesem Tag nur wenige Angehörige unter den Besuchern waren. Und so blieb es bei sehr nüchternen, aber kleinteiligen Zeugenbefragungen, die nur durch eine kurze Unstimmigkeit zwischen den Abgeordneten wegen einer Detailfrage unterbrochen werden mussten. 

Warum wurde die Mutter von Sedat Gürbüz nicht informiert?

Geladen war Polizeirat Michael Bornhausen, der für die Betreuung der Angehörigen damals zuständig war. Er selbst habe in Kontakt mit dem Bruder des getöteten Sedat Gürbüz gestanden, sagte er. Insgesamt drei Mal habe er mit ihm telefoniert, so Bornhausen.

Direkt beim ersten Gespräch habe er ihm erklärt, wie die Rechtslage bei der Obduktion sei. "Ich habe ihm gesagt, dass die Obduktion dafür da ist, um die Tat aufzuklären", so Bornhausen. Er habe den Bruder gebeten, mit der Familie zu sprechen und habe bei einem weiteren Telefonat auch die Zustimmung erhalten. 

Polizist: Wollte, dass die Freigabe der Leichname schneller geht

Die Grünen-Abgeordnete Vanessa Gronemann warf ein, dass Gürbüz' Mutter in ihrer Aussage vor dem Ausschuss berichtet hatte, sie habe nichts von einer Obduktion gewusst. Es ist ein Vorwurf, den viele Angehörige den Behörden machen. Warum habe Bornhausen nicht direkt mit der Mutter gesprochen, fragte Gronemann. Und: Könne es sein, dass der Bruder ihn nicht richtig verstanden habe, fragte Dirk Gaw von der AfD.

"Ich würde das ausschließen wollen", entgegnete Bornhausen. "Der Bruder sprach sehr gut Deutsch, er wirkte gefasst und ich habe mir Zeit genommen." Deshalb habe er es auch nicht für nötig befunden, noch einmal mit der Mutter zu sprechen.

Zudem sei eine Anhörung der Angehörigen vor einer Obduktion eigentlich nicht üblich. "Der einzige Grund, warum wir uns überhaupt damit beschäftigt haben, war, weil ich wollte, dass es schneller geht mit der Freigabe der Leichname für die Beerdigung", so Bornhausen.

Rechtsmediziner gibt Hauptkommissar recht

Marcel Verhoff, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt, bestätigte Bornhausens Schilderung. Sein Institut hatte die Obduktionen der Opfer durchgeführt. Als Sachverständiger sollte er dem Untersuchungsausschuss Auskunft darüber geben, welche Regularien und Standards es bei Obduktionen von Gewaltopfern gebe.

"Bei einem Todesermittlungsverfahren wird der Leichnam erstmal beschlagnahmt", erklärte Verhoff. Die Angehörigen hätten dann kein Zugriffsrecht mehr auf den Verstorbenen. Das sei zwar furchtbar, aber es gehe um das staatliche Interesse, den Täter zu verfolgen.

Vanessa Gronemann (Grüne) resümierte: Die Obduktionen seien zwar rechtlich korrekt gewesen, doch der Informationsaustausch zwischen Generalbundesanwaltschaft und dem hessischen Landeskriminalamt habe nicht funktioniert. "Wir bemängeln hierbei, dass nicht erkannt wurde, wie wichtig den Angehörigen eine umfassende Aufklärung in dieser traumatischen Situation gewesen wäre", so Gronemann.

Leiche mit Frischhaltefolie umwickelt?

Doch auch bezüglich der Obduktionen selbst hatten Angehörige Vorwürfe vorgebracht. Armin Kurtović, der Vater des getöteten Hamza Kurtović, soll von einer Injektionsnadel berichtet haben, die noch im Arm seines Sohnes steckte. In einem anderen Fall soll eine Leiche mit Frischhaltefolie umwickelt gewesen sein, weil sie angeblich nicht richtig zugenäht war.

Ziel sei es, dass die Angehörigen von den Folgen der Obduktion nichts sehen, so Verhoff. Doch das sei nicht immer möglich. Dass in einem Leichnam noch eine Braunüle gesteckt habe, schließe er aber aus. Ähnlich sagte auch Constantin Lux aus.

Der Mitarbeiter von Verhoff hatte selbst sechs Obduktionen beigewohnt. Als er die Leichname geprüft habe, seien alle Nähte dicht gewesen, sagt der Rechtsmediziner. Er könne sich auch nicht erklären, wieso einer der Körper in Folie eingewickelt gewesen sein soll. "Das ist absolut nichts, was wir machen würden im Institut."

Die Frage des Abschieds

Bleibt die Frage nach dem verpassten Abschied. Im November hatte einer von Lux' Kollegen ausgesagt, es habe ein Angebot an die Hinterbliebenen gegeben, die Toten im Institut nochmal sehen zu können. Die Angehörigen gaben jedoch an, dieses Angebot habe sie nie erreicht. 

Lux bestätigte, dass man sich im Institut auf die Angehörigen vorbereitet habe. Doch niemand sei gekommen. Weder Verhoff noch Lux konnten sagen, ob jemand die Hinterbliebenen über die Möglichkeit des Abschieds überhaupt informiert habe.

Der CDU-Abgeordnete Jörg-Michael Müller lobte in der Ausschusssitzung das Vorgehen der Rechtsmediziner als "vorbildlich". Er sah sich bestätigt, dass den Einsatzkräften bisher keine Fehler nachgewiesen werden konnten. "Der Obduzent ließ keinen Zweifel daran, dass auch bei noch schnelleren Erste-Hilfe-Maßnahmen durch die Einsatzkräfte keines der Opfer eine Überlebenschance gehabt hätte", so Müller.

Das Ausmaß der Verletzungen sei zu groß gewesen. Damit reagierte Müller auf mögliche Vorwürfe rund um den Tod von Kaloyan Velkov und Ferhat Unvar, bei denen der Verdacht im Raum stand, sie hätten möglicherweise überleben können, wenn sie früher versorgt worden wären.

Rechtsmediziner kann Unmut der Angehörige verstehen

Fazit der Sitzung: Offenbar ist bei den Obduktionen rechtlich alles korrekt gelaufen. Rechtsmediziner Verhoff kann den Unmut der Angehörigen trotzdem verstehen. "Wer so etwas Schreckliches erlebt, der kann nicht zufrieden sein und dem wird man auch nicht damit gerecht werden können, dass er anders behandelt wird."

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