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hr2 Der Tag: "Ausgezwitschert - Twitter, Musk und die Meinungsfreiheit"

Handy mit Twitter-Symbol, Elon Musk im Hintergrund

Hat es sich bald ausgezwitschert? Nach der Twitter-Übernahme des Milliardärs Elon Musk suchen Politiker und Politikerinnen aus Hessen nach Alternativen. Doch können - und wollen - sie auf das Netzwerk tatsächlich verzichten?

Twitter ist als Mittel politischer Kommunikation nicht wegzudenken. Einerseits ist der Kurznachrichtendienst für politische Akteure ein Weg, um Informationen zu verbreiten oder Themen zu setzen. Andererseits bietet Twitter Userinnen und Usern auch einen Raum, um sich zu informieren und am politischen Diskurs zu beteiligen. Ein Instrument also, das auch der eigenen Meinungsbildung dienen kann. Soweit die Vorteile.

Die Nachteile: Twitter beschleunigt Debatten, weil Inhalte und Themen schneller und breiter öffentlich gemacht werden können. In der Flut der Tweets fehlt oft eine Einordnung. Mindestens genauso problematisch: Inhalte werden nicht verifiziert. Obendrein ist es Twitter bisher nicht gelungen, Verschwörungstheorien und Desinformation sowie Hass und Hetze einzudämmen oder adäquat zu moderieren.

Nach der Übernahme durch den erratisch agierenden Milliardär Elon Musk ist ohnehin unklar, wie es mit dem öffentlichen Diskurs bei Twitter weitergeht. Das fragen sich auch hessische Politikerinnen und Politiker. Manche sind in Habachtstellung, andere (noch) gelassen - gemein haben viele aber: Sie beobachten die weitere Entwicklung.

Medienwissenschaftlerin: Befürchtungen sind berechtigt

Die Musk-Übernahme und ihre Folgen gäben aus verschiedenen Gründen Anlass zur Sorge, sagt Caja Thimm, Medienwissenschaftlerin an der Universität Bonn. Thimm forscht seit vielen Jahren zur Bedeutung von Twitter für den öffentlichen Diskurs. Twitter sei in dieser Hinsicht in Deutschland zwar nur ein Baustein, aber ein ganz wichtiger.

Diese Erfahrung hat auch die Frankfurter Politikerin Jutta Ditfurth (ÖkoLinX) gemacht. Sie ist seit 2016 aktiv bei Twitter und nutzt die Plattform ebenfalls, um Debatten anzustoßen und zu diskutieren. "Da konnte ich immer aufmischen und auch nachträglich noch erklären, wie etwas gemeint war", sagt Ditfurth.

Ditfurth: Tonart war schon immer problematisch

Ein entscheidender Vorteil sei für sie, dass man relativ leicht und schnell viele Menschen erreichen könne. Viele ihrer Tweets hätten mehr als 300.000 Userinnen und User erreicht. "Das hat eine weitergehende Ausstrahlung als eine Zeitung", betont die Stadtverordnete aus dem Frankfurter Römer.

Allerdings sei die Tonart bei Twitter schon immer problematisch gewesen. Ditfurth hat nach eigenen Angaben insgesamt rund 16.000 Leute blockiert, überwiegend rechtsradikale Meinungsvertreter und -vertreterinnen, zum Teil habe es zuvor Todesdrohungen gegen sie gegeben. Sie blockiere schnell und konsequent, das mindere das Problem. "Ich kann dann weiter diskutieren", sagt Ditfurth.

Ditfurth: "Will nicht aufgeben, sondern weiter kämpfen"

Das könnte sich aber bald ändern. Dass Musk an der Spitze von Twitter steht, wirkt sich laut Medienwissenschaftlerin Thimm schon deutlich aus. Ein Grund zur Sorge: Die kostenfreie Authentifizierung der Accounts ist weggefallen. Neuerdings kann sich jeder User für acht Dollar einen "blauen Haken" kaufen. Unmittelbar nach dieser Änderung tauchten viele Fake-Accounts von Prominenten auf. "Und das ist erst der Anfang der mangelnden Kontrolle über die Inhaber eines Accounts", sagt Medienwissenschaftlerin Thimm. Damit seien Tor und Tür etwa für Trolls, wie Internet-Unruhestifter genannt werden, geöffnet.

Bei vielen Politikern, aber auch bei vielen Journalisten, herrsche Unsicherheit, sagt Thimm. Die Zahlen derer, die nun parallel zu Twitter auch die (deutlich kleinere) Konkurrenz-Plattform Mastodon nutzen oder ganz dahin wechseln wollen, mehren sich. Für sie selbst komme das aktuell noch nicht in Frage, sagt Ditfurth. Als Soziologin wolle sie die Veränderungen bei Twitter von innen betrachten und verfolgen. "Meine Haltung ist auch: Ich will nicht aufgeben, sondern weiter kämpfen."

Landesregierung bald auch bei Mastodon

Ähnlich sieht man es bei der Staatskanzlei in Wiesbaden. Ein Ausstieg aus Twitter stehe derzeit nicht an, dennoch verfolge die Landesregierung die aktuelle Debatte um Twitter, teilte der stellvertretende Regierungssprecher Marco Kreuter auf Anfrage mit. "Konkrete Entscheidungen von Twitter, die sich direkt auf unsere Kanäle auswirken, sind uns bislang nicht bekannt. Sollte sich dies ändern, werden wir über mögliche Folgen beraten", so Kreuter.

Den Angaben zufolge steckt die Staatskanzlei aber schon in den Vorbereitungen für eine eigene Präsenz beim Microblogging-Dienst Mastodon. Damit wolle man "einen zusätzlichen datenschutzkonformen Informationskanal" anbieten, erklärte Kreuter. (Wie der alternative Kurznachrichtendienst Mastodon funktioniert, können Sie hier nachlesen.)

To leave or not to leave - das ist hier die Frage

Der Landtagsabgeordnete Bijan Kaffenberger hingegen hat schon die Entscheidung getroffen, Twitter zu verlassen. "Ich konnte mich nur noch nicht dazu durchringen", sagt der für Digitales zuständige SPD-Politiker. Die Debatten bei Twitter seien schon immer übermäßig enthemmt gewesen, und die Gesprächskultur im Allgemeinen nicht sonderlich debattenorientiert.

Nachdem Twitter nun auch die Hass- und Content-Moderation nahezu komplett eingestampft habe, könne das Gesprächsklima nicht besser werden. Auch deshalb könnte es ein Problem werden, dass viele Leute Twitter verlassen: "Künftig werden weniger Leute bei Twitter sein, die entsprechend moderieren oder Falschinformationen, Hass und Hetze melden", gibt Kaffenberger zu Bedenken.

Abgeordneter Kaffenberger: Neue Plattform ist notwendig

Auch die ÖkoLinX-Politikerin Ditfurth sieht irgendwann ihre Zeit bei Twitter zu Ende gehen. Den Schritt der Abmeldung gehen bisher aber die wenigsten. Auch das gehört zur Wahrheit in der aktuellen Diskussion um Twitter und mögliche Alternativen. "Wenn so viele Leute weg sind, dass eine lebhafte Debattenkultur nicht mehr möglich ist, werde ich Twitter auch verlassen", sagt Ditfurth.

Wie sie sieht auch der Landtagsabgeordnete Kaffenberger die Notwendigkeit einer neuen Plattform. "Eigentlich wäre es sinnvoll, wenn Politik und Medienöffentlichkeit ins Gespräch kommen und klären, wie sie kommunizieren wollen", meint der SPD-Politiker. Es gebe den Bedarf an Kommunikation und Austausch. Kaffenbergers Vorschlag hierfür: "eine öffentlich-rechtliche Plattform vor, die für alle offen ist und nicht mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft ist". Um diesen Bedarf zu bedienen, brauche es jedoch ein spannendes Geschäftsfeld.

Medienwissenschaftlerin: Social Media stärker regulieren

Ob sich am Ende tatsächlich eine neue Plattform durchsetzen wird, ist nach Ansicht von Medienwissenschaftlerin Thimm noch völlig offen. "Es kann sein, dass es Mastodon ist; es kann auch sein, dass eine völlig neue Plattform kommt. Alles ist momentan denkbar." Auch dass Elon Musk vielleicht noch bewusst werde, dass es so mit Twitter nicht funktionieren kann und er wieder dagegensteuere. Zuletzt hatte er eine Twitter-Pleite nicht ausgeschlossen.

Was in der aktuellen Lage aber jetzt schon eine Lehre sei, so Thimm: "Wir müssen nicht nur Twitter im Auge behalten, sondern Social Media allgemein stärker regulieren."

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