Dass Menschen mit sehr hohem Vermögen mehr Steuern zahlen sollen, finden linke Politiker und Forscher schon lange. Wohlhabende in der Initiative Taxmenow teilen diese Forderung. Ein südhessischer Millionär erklärt hier, warum.

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Millionär fordert höhere Steuern für Reiche

hs 30.04.2023
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Ein Prozent der Bevölkerung besitzt nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 35 Prozent des Vermögens in Deutschland. Die untere Hälfte der Haushalte besitzt laut Bundesbank lediglich 1,2 Prozent. Die Initiative Taxmenow ("Besteuere mich jetzt"), der ein paar Dutzend Wohlhabende angehören, setzt sich für mehr Steuergerechtigkeit ein: vor allem in Form einer höheren Besteuerung von Vermögen.

Peter Reese ist einer von ihnen. Er sagt, der Staat könne sich mindestens 80 Milliarden Euro von den Reichsten der Gesellschaft zurückholen - pro Jahr. Der 52-Jährige lebt in Südhessen und kam zu Wohlstand, als er seine Anteile an dem Vergleichsportal Verivox verkaufte.

hessenschau.de: Herr Reese, welche Möglichkeiten haben wohlhabende Menschen, dem Steuerrecht zu entfliehen?

Peter Reese: Es gibt zum einen jede Menge illegale Wege. Forscher wie der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman schätzen, dass bis zu 30 Prozent der Vermögenswerte weltweit illegal in Steueroasen versteckt liegen. Hier fordert unserer Initiative Taxmenow die Stärkung der Steuerbehörden und der internationalen Zusammenarbeit und einen internationalen Datenaustausch.

Darüber hinaus gibt es aber jede Menge legale Wege, um Steuern zu vermeiden. Reiche und sehr reiche Menschen profitieren von Steuergeschenken, etwa von Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer, der pauschalen Abgeltungssteuer bei Kapitalerträgen, dem gesenkten Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer oder von Steuerbefreiungen bei Gewerbemieteinnahmen.

hessenschau.de: Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Steuerrecht in Deutschland derart günstig für Wohlhabende entwickeln können?

Peter Reese: Im Zuge der Globalisierung, die auch viele Vorteile mit sich bringt, und der neoliberalen Ideologie ab den 1980er Jahren sind sehr viele Staaten weltweit dazu übergegangen, vor allem Arbeit und Konsum zu besteuern, etwa durch die Mehrwertsteuer. Die Steuern auf Kapital und Kapitalerträge wurden gesenkt oder gar abgeschafft. Dies ist die Agenda einer sehr reichen Elite, die den Blick auf die gesamte Gesellschaft verloren hat. Leider kursieren dazu viele Mythen und Falschinformationen. So wurde argumentiert, dass vom Wohlstand auch weiter unten etwas ankomme ("trickle down economics").

hessenschau.de: Sie prangern die große Kluft bei der Besteuerung zwischen oben und unten an. Was könnte die Politik dagegen tun?

Peter Reese: Wir fordern die Abschaffung der legalen Steuergeschenke für sehr reiche Menschen sowie eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen und bei Wertzuwächsen von Immobilien, eine Besteuerung von großen Vermögen und eine umfassende Steuer auf Erlöse aus Finanztransaktionen. Mit den Einnahmen könnten zum Beispiel die Ausgaben für Schulen verdoppelt werden.

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„Ab den 1980er Jahren wurden Arbeit und Konsum mehr besteuert. Die Steuern auf Kapital und Kapitalerträge wurden gesenkt oder abgeschafft.“
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Das Steuersystem muss wieder ausbalanciert werden. Die effektive Steuerbelastung muss mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zunehmen und darf eben nicht gerade beim reichsten Prozent der Bevölkerung radikal sinken. Die obersten 0,1 Prozent in der Vermögenspyramide sind nahezu komplett von der Steuer befreit - das ist absurd!

hessenschau.de: In Deutschland liegt rund ein Drittel des gesamten Vermögens bei nur einem Prozent der Bevölkerung.

Peter Reese: Diese Vermögenskonzentration ist auch das Ergebnis einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung des Steuersystems und in vielerlei Hinsicht sehr besorgniserregend. Zum einen sind viele Menschen hierzulande arm oder von Armut bedroht und werden dennoch besteuert, zum anderen stellt diese Vermögenskonzentration eine Gefahr für die Demokratie dar. Der Einfluss der Überreichen auf Wirtschaft, Medien und Politik ist unangemessen groß und muss dringend korrigiert werden.

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Mangelnde Steuergerechtigkeit

Nach Berechnungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit können Millionäre ihre Steuerbelastung deutlich unter diejenige von Durchschnittsverdienern drücken. In seinem Jahrbuch 2023 vergleicht das Netzwerk die Steuerlast eines Muster-Millionärs (Vermögen: 23 Millionen Euro, Einkommen: 1,6 Millionen Euro) mit der eines Ehepaars (gemeinsames Einkommen: 110.000 Euro). Die Normalbürger zahlen demnach 43 Prozent an Steuern und Sozialabgaben, der Millionär nur knapp 24 Prozent.

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hessenschau.de: Forderungen nach einer stärkeren Besteuerung von Reichen erscheinen manchen als eine reine Neiddebatte.

Peter Reese: Das Wort Neiddebatte ist nur eine Nebelkerze. Ich halte Steuergerechtigkeit für ein absolut berechtigtes Anliegen. Oder können Sie mir erklären, warum Milliardäre fast keine Steuern bezahlen, während die unteren 99 Prozent das selbstverständlich tun? Das System ist vollkommen aus dem Gleichgewicht gekommen.

Wohlstand für alle ist mir ein Herzensanliegen. Wir müssen als Gesellschaft und weltweit wieder die Voraussetzung dafür schaffen, dass möglichst viele Menschen sich Eigentum und Rücklagen aufbauen können. Ein Land selbstbewusster, unabhängiger Bürgerinnen und Bürger ist ein lebenswertes Land.

hessenschau.de: Wie sind Sie eigentlich zu Taxmenow gestoßen?

Peter Reese: Ich bin durch den Verkauf des Vergleichsportals Verivox 2015 auf das Thema Steuergerechtigkeit gestoßen. Nicht jeder Anteilseigner hat seinen Verkaufserlös damals sauber in Deutschland versteuert. Mehr darf ich dazu nicht sagen.

hessenschau.de: Debatten um Steuererhöhungen sind in Deutschland wie jene um ein Tempolimit auf der Autobahn tabubehaftet. Können Sie sich das erklären?

Peter Reese: Der öffentliche Diskurs ist leider noch zu oft gelähmt von Mythen. Steuergeschenke für Überreiche helfen nachweislich eben nicht der Wirtschaft und schaffen oder schützen auch keine Arbeitsplätze. Sie machen nur das Leben aller anderen Menschen im Land schwerer.

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„Steuergeschenke für Überreiche schützen nachweislich keine Arbeitsplätze - anders, als gerne behauptet wird.“
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Auch der Leistungsgedanke wird pervertiert, denn ohne gute Schulen, ohne Infrastruktur und einen funktionierenden Rechtsstaat kann kein Mensch im Land zu Wohlstand kommen. Viele Menschen sind stark in diesen Narrativen gefangen und wählen auch gegen das eigene Klasseninteresse.

hessenschau.de: Bei Taxmenow gibt es mehr als 60 Mitglieder. Warum wollen Sie alle freiwillig mehr leisten? Spenden Sie auch?

Peter Reese: Alle Mitwirkenden bei Taxmenow verbindet ein starkes Gefühl der Verantwortung. Wir spenden viel und investieren in sozialen und ökologischen Fortschritt ("impact investing"). Jenseits dessen ist uns allen aber bewusst, dass das Problem nicht mit Philanthropie beantwortet werden kann, sondern die Korrektur einer Fehlstellung im Steuersystem erforderlich ist.

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Höhere Steuern für Reiche

Nach Ansicht des Steuerexperten im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Stefan Bach, wird der deutsche Staat zur Bewältigung wichtiger anstehender Aufgaben wie Energiewende, Kindergrundsicherung und Aufrüstung der Bundeswehr um höhere Abgaben für Reiche nicht herumkommen. "Man könnte mit einem ausgewogenen Mix aus moderaten Steuererhöhungen auf hohe Einkommen und Vermögen durchaus ein Mehr-Aufkommen von 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr erzielen", sagte Bach im rbb-Magazin "Kontraste".

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hessenschau.de: Setzt der Staat zu sehr auf Freiwilligkeit und Spenden bei Menschen mit hohem Vermögensniveau?

Peter Reese: Der Staat treibt die Steuern bei den unteren 99 Prozent rigoros und kompromisslos ein. Den Überreichen stellt er es hingegen durch die vielen Ausnahmen und Schlupflöcher frei, ob, wo und wie viele Steuern sie bezahlen wollen. Philanthropie ist gut, löst aber das Problem der Steuerungerechtigkeit nicht. Sie ist zudem undemokratisch und erfolgt nach Gusto und Gutsherrenart. Leider ist sie auch oft schlicht der Versuch, Sozialprestige zu kaufen.

hessenschau.de: Sie sprachen einmal von "der guten alten Zeit unter Kohl". Aber fing die Bevorteilung großer Vermögen nicht gerade in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) an?

Peter Reese: Der Bezug auf Kohl ist mit Ironie zu verstehen. Aber es stimmt, dass unter Kohl (1982 bis 1998) viele der Steuergeschenke für Überreiche noch nicht existierten und es den Menschen im Land dennoch nicht schlecht ging. Der Kahlschlag kam dann unter seinem Nachfolger Gerhard Schröder (SPD, 1998 bis 2005).

Zitat
„Das Steuerrecht sieht für Überreiche zu viele Ausnahmen und Schlupflöcher vor.“
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hessenschau.de: Ein Argument ist bis heute: Müssen Wohlhabende zu viele Steuern bezahlen, investieren sie nicht mehr, und das kostet auf lange Sicht Arbeitsplätze.

Peter Reese: Dass Steuern für Überreiche Arbeitsplätze kosten, ist ein wissenschaftlich widerlegter Mythos. Leider wird die unbegründete Angst der Menschen auch im politischen Diskurs gerne eingesetzt.

hessenschau.de: Warum wollen kritische Millionäre wie Sie die Initiative ergreifen?

Peter Reese: In einer funktionierenden Demokratie müssen möglichst viele Menschen in ihrer jeweiligen Situation auch die gesamte Gesellschaft in den Blick nehmen und sich fragen, was sie verbessern können. Da liegt es auf der Hand, dass sehr reiche Menschen auf die katastrophale Fehlentwicklung im Steuerrecht hinweisen und als Kronzeugen aus der Innenperspektive des Großkapitals dieses Thema in den öffentlichen Diskurs einbringen. 

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