Eintracht Frankfurt

Eintracht Frankfurt erlebt ein historisches Jahr und feiert einen der größten Erfolge der Vereinsgeschichte. Weil Spieler und Trainer ihr Herz in die Hand nehmen. Wo soll das noch hinführen?

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Eintracht Frankfurt: Helden für immer!

Collage: Die jubelnden Gewinner von Eintracht Frankfurt nach Schlusspfeif vom Spiel in Sevilla. Neben ihnen ein strahlender Axel Hellmann. Text: Eintracht Frankfurt - Helden für immer! Logo: Heimspiel
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Es ist ja erst ein Jahr her, aber man vergisst es schnell: Die Welt und die Welt des Fußballs war Anfang 2022 noch eine andere. Als Borussia Dortmund zum Rückrundenauftakt im Januar nach Hessen kam, durfte Eintracht Frankfurt gerade 250 Fans begrüßen. Die Pandemie hatte auch den Sport noch fest im Griff, das Spiel ging damals 2:3 verloren. Nicht sonderlich viel deutete an diesem grauen Januarabend auf ein spektakuläres Jahr 2022 für Eintracht Frankfurt hin.

2022, das wird für Eintracht Frankfurt vielleicht für immer das Jahr des größten Triumphes der Vereinsgeschichte sein. Im Frühjahr ist es aber zunächst: Ein Jahr der Trauer. Jürgen Grabowski, der wahrscheinlich größte Fußballer, der je für die Eintracht gespielt hat, verstirbt im März nach längeren gesundheitlichen Problemen. Und hinterlässt bei den Hessen eine riesige Lücke. "Dass Jürgen Grabowski verstorben ist, ist für uns alle unbegreiflich", sagt Präsident Peter Fischer. "Seine Aura wirkt bis in die Gegenwart", sagt Axel Hellmann. Kurz darauf wird eine Tribüne nach ihm benannt, die Jürgen-Grabowski-Gegengerade. Und als die Pandemie an Schrecken verliert, ist sie schnell wieder mit Fans gefüllt.

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Das emotionale Eintracht-Jahr 2022 in Bildern

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30.000 weißgekleidete Frankfurter in Barcelona

Sowieso, die Fans. Es ist schwer zu sagen, wo genau die Eintracht ohne ihre Fans im Jahr 2022 wäre. Es ist einfach zu sagen, wo sie nicht gewesen wäre: Im Finale der Europa League. Die Anhänger werden zum entscheidenden Faktor. In Sevilla, bei Betis, dürfen sie erstmals nach den Corona-Beschränkungen wieder dabei sein, die Spieler sehen nach Schlusspfiff mit glänzenden Augen gen Oberrang. Es ist ja "nur" ein Europacup-Achtelfinale, der Gegner nicht allzu glanzvoll, die Fans sind isoliert im obersten Eck des Stadions, aber man ahnt an diesem Donnerstag im März die Wucht, die die Fans von Eintracht Frankfurt entfalten können. Wie sie die Spieler mit ihren Gesängen, ihrer Lautstärke, ihrer Präsenz auf die Schultern heben können.

So erreicht Eintracht Frankfurt ungekannte Höhen. In Barcelona wird eine ganze Stadt von weißgekleideten Frankfurtern überflutet, ein Welle der Begeisterung, die die Favoritenrolle Barcas einfach wegspült – und die Eintracht zur Sensation im Camp Nou trägt. Die Bilder davon gehen um die Welt, beim FC Barcelona kommt es wegen der vielen Gästefans zum Eklat, 30.000 Frankfurter bringen einen Weltklub kurz ins Wanken. Und als dann West Ham im Halbfinale nach Frankfurt kommt, weiß jeder im Stadion: Die Eintracht ist nicht aufzuhalten. Dieses Stadion ist eine Festung, niemand wird sie einnehmen, wenn Spieler und Fans eine Einheit bilden.

Gemeinsam durch die Wüste von Sevilla

Auch deshalb fühlt sich dieser Titel an, als hätte jeder Frankfurt-Fan seinen Beitrag dazu geleistet. Zumal das Finale auch den Anhängern alles abverlangt. Die Hitze, die 40 Grad im Schatten, die unaushaltbaren Zustände im Stadion, in dem es schon zu Anpfiff nichts mehr zu trinken gibt. Die Eintracht-Fans, sie gehen gemeinsam durch die Wüste von Sevilla, weil sie am Horizont die Fata Morgana des Europacupsiegs sehen. Etwas, das nicht sein kann. Mit dem niemand je gerechnet hat. Und das sich dann, als Rafa Borré zum Elfmeter antritt, vor aller Augen doch materialisiert. "Schau dir das an. Wir sind alle die Helden. Schau dir das an", wird Kevin Trapp mit Tränen in den Augen nach dem Titelgewinn sagen. Er meint damit nicht nur die Spieler, er meint explizit die Fans.

Und was für ein Titel das ist. Wie epochal er zustande kommt. Trapp wird zum Helden, erst in der Verlängerung, dann im Elfmeterschießen. Sebastian Rode mit Wunde und Turban. Filip Kostic, der in seiner Karriere durch so viel Täler ging, ist endlich der Spieler, der er wirklich ist. Rafa Borré, schon gegen Barca und West Ham erfolgreich, schießt in Sevilla den entscheidenden Ball unters Tordach, und sich selbst in die Geschichtsbücher.

"Das kann doch kein Zufall sein"

Diese Truppe, die auf dem Papier nicht mit Barca mithalten kann, nicht mit West Ham, die aber in den Spielen ihr Herz in die Hand nimmt, es auf dem Platz lässt. Die für einen Verein spielt, von dem es so oft hieß, er würde im entscheidenden Moment versagen. Vor Fans, die die Schattenseiten des Fußballs gut kennen. Die die staubigen Trassen des Estadio Ramón Sánchez Pizjuán dann mit ihren Tränen wässern. Im Jahr, in dem Jürgen Grabowski starb. Hat es so kommen müssen? Ist das Teil der "Aura", die Hellmann meinte? "Das kann doch kein Zufall sein", sagt er später.

Am folgenden Tag ist Frankfurt ein Fahnenmeer. Erst gießt es wie aus Eimern, dann bricht die Wolkendecke auf, es ist eine kitschige Allegorie auf das Leben als Eintracht-Fan. All diese durchlebten Regentage, dann plötzlich all der Sonnenschein. Hunderttausende Menschen haben sich in der Stadt versammelt, sie säumen die Straßen von Kennedyallee bis zum Römer, tragen sich auf den Schulter, liegen sich in den Armen, zünden Rauchtöpfe und lassen die Korken knallen, klettern auf Ampeln und in die Bäume, singen und jubeln, als der Autokorso vorbeifährt.

"Und nur so haben wir das geschafft"

Ganz vorne Oliver Glasner, der den Cup in Armen hält, ihn in den Himmel reckt, den Fans reicht, die ihn berühren wie der Schatz, der er ist. Frankfurt erlebt eine rauschende Nacht, als die Mannschaft den Cup am Römer präsentiert, ist vor lauter Feuerwerk minutenlang nichts zu sehen.

Sowieso: Glasner. Zu Saisonbeginn läuft kaum etwas zusammen, das Team fängt sich erst nach Wochen voller bleierner Unentschieden. Im Training präsentiert sich der Coach akribisch, impft der Mannschaft seine Idee von Fußball ein. Das dauert. Aber es funktioniert. Auch weil er auf eine Mannschaft trifft, deren Teamgeist außergewöhnlich ist. Auf dem Römerbalkon sagt Glasner: "Man kann Titel gewinnen, indem man ganz vie Geld ausgibt. Oder man kann Titel gewinnen, indem man eine ganz große Einheit bildet. Eine große Einheit in der Mannschaft, eine große Einheit im Verein, eine große Einheit mit euch. Und nur so haben wir das geschafft." Er wirkt selig dabei, ganz bei sich. Einen Tag später fliegt er nach Mallorca.

Fußball 3000

Es ist dann, wie es immer ist, manche Gesetzmäßigkeiten des Fußballs verändert auch ein epochaler Cupgewinn nicht. Kostic geht zu Juve, zudem beendet Martin Hinteregger überraschend seine Karriere. Aber ein Kater setzt nicht ein, der Rausch bleibt. Mit Mario Götze und Randal Kolo Muani holen die Hessen zwei sensationelle Spieler an den Main, nach anfänglichen Schwierigkeiten spielt die Mannschaft den schönsten Fußball, den man in Frankfurt seit Dekaden gesehen hat.

Fußball 3000 ist das, Götze und Muani, Lindström und Kamada die Wiedergänger von Yeboah, Bein und Co. Nicht wenige sehen die Eintracht im Herbst und Winter als Spitzenmannschaft, sie brilliert gegen Leverkusen und Leipzig, besteht in Marseille und Lissabon, sie überwintert auf Tabellenplatz vier und in der Champions League. Aber Eintracht Frankfurt, eine Spitzenmannschaft? Für viele Fans klingt das nachgerade absurd, ungewohnt, mindestens aber unerwartet. Eine Fata Morgana am Horizont.