Vier Männer stehen um einen goldenen Pokal in einem Stadion und jubeln.

Nach sechs Jahren als Übersetzer bei Eintracht Frankfurt hat Stéphane Gödde den Club verlassen. Im Interview spricht er über Sprachen lernen anhand von Fan-Liedern, seine begabtesten Eintracht-Schüler und sein schlimmstes Erlebnis im Fußball.

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Gödde: "Man lebt wie die Profis"

Ex-Eintracht-Dolmetscher Stéphane Gödde
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2016 stieg Stéphane Gödde bei Eintracht Frankfurt als Dolmetscher ein. Nach sechs Jahren und zwei Titeln ist für den fünfsprachigen Familienvater nun Schluss. Im Interview blickt er zurück.

hessenschau.de: Stephané Gödde, auf ihrem Twitter-Profilbild posieren Sie mit Europacup und Siegermedaille. Hat die Medaille einen Ehrenplatz?

Stéphane Gödde: Noch nicht, ich möchte sie nämlich immer in greifbarer Nähe haben. Ich wohne im Hessischen Ried, hier gab es viele Sommerfeste und Camps in den Fußballvereinen der Region. Da bin ich oft mit der Medaille hin und die Kids konnten dann Fotos mit der Medaille machen. Da haben viele Augen geleuchtet. Ich war übrigens vorerst der Einzige aus dem Staff, der neben Spieler- und Trainerteam ebenfalls eine Siegermedaille bekommen hat. Das war ein Abschiedsgeschenk, weil das Finale in Sevilla mein letztes Spiel mit der Eintracht war. Eine riesige Auszeichnung.

hessenschau.de: Sie waren seit 2016 bei der Eintracht, bevor Sie im Sommer 2022 aufhörten. Wie sah denn ein normaler Arbeitstag aus?

Gödde: Ich hatte ungefähr denselben Tagesablauf wie die Profis. Morgens kam ich zum Frühstück, da gab es dann die erste Möglichkeit, mit den Spielern zu sprechen. Oft ging es dann um ganz alltägliche Dinge, Versicherungsfragen, mal ein technischer Defekt am Fahrzeug, Hilfe beim Versenden von Paketen ins Ausland. Die Spieler wussten: Sobald sie mich sehen, können sie mich wegen sämtlicher Dinge ansprechen. Und eigentlich auch vorher schon per WhatsApp. Zusammen mit Teammanager Christoph Preuss, Viviane Schmidt und Rafa Francisco aus dem Integrationsbüro habe ich mich um die Spieler und ihre Anliegen gekümmert.

hessenschau.de: Wie ging der Arbeitstag weiter?

Gödde: Wenn die Mannschaft erst im Kraftraum gearbeitet hat, habe ich dort übersetzt. Aber eher weniger, die Übungen werden ja vorgemacht und die Spieler sollen sich auch untereinander helfen und kennenlernen. Dann ging es auf den Trainingsplatz, wo ich taktische Dinge und Anweisungen zu übersetzen hatte und daüfür kreuz und quer über den Platz rannte, um Sebastién Haller oder Rafa Borré ins Ohr zu flüstern, was sie zu tun haben. Wobei alle drei Trainer, die ich bei der Eintracht erlebt habe, sehr gut englisch sprachen, mein Platzsturm war also nicht jedes Mal notwendig. Übersetzt habe ich dann auch bei der Videoanalyse und Taktikbesprechung und auch mal im Einzelgespräch zwischen Trainer und Spieler. Da ging es nicht immer um Sportliches, oft waren das auch ganz normale Gespräche über das Befinden. Dann standen noch oft Sponsoren- oder Medientermine an, zu denen ich die Spieler begleitet habe. Zusätzlich habe ich versucht, bis zu drei Deutschkurse pro Woche anzubieten.

hessenschau.de: Wer war denn der sprachbegabteste Spieler, den Sie hatten?

Gödde: Zuletzt hat sich Gonçalo Paciência als großes Sprachtalent erwiesen. Und Gelson Fernandes war ja ohnehin ein echter Globetrotter, der hat so viele Sprachen gesprochen, dass er fast ein Dolmetscherkollege für mich war. Sehr gut war auch Simon Falette. Er kam ohne Deutsch- und Englischkenntnisse aus Frankreich und kniete sich richtig rein. Als er die Eintracht verlassen musste, – er wäre ja sehr gerne geblieben, war richtig verliebt in den Verein und die Fans – hat er beide Sprachen auf gutem Niveau gesprochen. Wir schreiben regelmäßig, erst letztens hat er sich bedankt, weil er nun in der Türkei spielt und da mit seinen Deutschkenntnissen richtig weit kommt. Wir schreiben dann übrigens auch auf Deutsch. Genauso wie mit Jesús Vallejo, der zwar auch nur ein Jahr hier war, aber mit ihm schreibe ich auch regelmäßig, auch auf Deutsch.

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Gödde: "Paciencia war ein Sprachtalent"

Ex-Eintracht-Dolmetscher Stéphane Gödde
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hessenschau.de: Von Simon Falette kursierte mal ein Video, in dem er Eintracht-Fanlieder sang. Haben Sie ihm die beigebracht?

Gödde: Ja, ich habe Eintracht-Lieder gerne in meinen Kursen benutzt. Man holt die Spieler da ab, wo sie sind, außerdem schafft es Identifikation mit dem Verein. Und das Vokabular ist gut geeignet, die Farben sind drin, ebenso Fußball-Begriffe. Und das ein oder andere Schimpfwort, das die Spieler dann benutzen können, wenn der Grammatik-Unterricht mal wieder zu schwer ist (Lacht.). Ich habe auch gerne Gesellschafts- oder Kartenspiele mit den Spielern gespielt, so haben sie spielerisch die Sprache gelernt. Das war gerade bei Spielern wichtig, die zuhause nicht ganz so fleißig waren. Generell hatte ich immer einen einfachen Deal mit den Spielern: Sobald sie Interviews auf Deutsch geben konnten, waren sie vom Unterricht freigestellt.

hessenschau.de: Wenn Falette und Co. die Musterschüler waren, wer waren denn die Lümmel von der letzte Bank?

Gödde: Guillermo Varela, unser Uruguayer aus der Saison 2016/17 war nicht ganz so fleißig. Ich hatte aber auch zu ihm ein gutes Verhältnis. Auch Ante Rebić hatte nicht immer die ganz große Lust. Aber er hatte Mijat Gaćinović, der perfekt für ihn gedolmetscht hat. Gaćinović war sowieso ganz wichtig. Er hat sehr schnell Deutsch gelernt und war dann so etwas wie der Integrationsbeauftragte für die Jungs vom Balkan.

hessenschau.de: Wie lief ihr Job während der Spiele ab?

Gödde: Vor den Spielen in der Kabine war ich eine Art Mädchen für alles, habe hier noch ein Armband abgetaped, da noch kurz etwas übersetzt. Bevor es rausgeht, richtet der Trainer die letzten emotionalen Worte ans Team. Da bin ich mit der Zeit aber dazu übergegangen, das nicht mehr zu übersetzen. Das sollte für sich sprechen, die Message kommt auch ohne Übersetzung an. Während der Spiele saß ich dann auf der Trainerbank auf dem letzten Platz in der Reihe und bin schnell aufgesprungen, wenn beispielsweise ein Spieler eingewechselt werden sollte, um ihm die Anweisungen des Trainers zu übersetzen.

hessenschau.de: Was waren dabei die größten Herausforderungen? Die Fußballsprache?

Gödde: Nein, inhaltlich bin ich da einigermaßen auf Ballhöhe. Die Geräuschkulisse ist herausfordernd, man muss sich sehr konzentrieren. Außerdem herrscht eine große Hektik. Und der Trainer sieht im Spiel natürlich sehr viel mehr als ich, weswegen die ein oder andere Anweisung auch überraschend kommt. Da muss man schnell im Kopf sein.

hessenschau.de: Sie sprechen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Kommt man da nicht durcheinander?

Gödde: In der Saison 2017/18 spielten wir im Pokal in Schweinfurt. David Abraham, der oft für die spanischsprechenden Spieler übersetzte, war rotgesperrt. Die Innenverteidigung bildeten Simon Falette und Carlos Salcedo. Bei der Teambesprechung setzte ich mich zwischen die beiden, Niko Kovac begann zu sprechen und ich versuchte in Windeseile, nach links spanisch und nach rechts französisch zu übersetzen. Ein wahnsinniger Stress, ich weiß nicht, wie viele Silben ich verschluckt habe. Und plötzlich fangen die beiden an, sich schlappzulachen. Als die Besprechung vorbei war, wollte ich wissen, was los ist. Und Salcedo sagte zu mir: "Danke, Stéphane, top Job. Aber ich spreche leider kein Französisch. Und Simon kein Spanisch." Ich war so im Stress, dass ich die Seiten vertauscht habe. Glücklicherweise endete das nicht im Pokal-Aus in Schweinfurt. Ganz im Gegenteil: Das war die Pokalsiegersaison.

hessenschau.de: Insgesamt hatten Sie eine erfolgreiche Zeit bei der Eintracht. Was war Ihr schönstes Erlebnis?

Gödde: Ein Pokalfinale, ein Europa-League-Halbfinale, ein Pokalsieg, ein Europacupsieg – ich bin sehr dankbar, dass ich in diesem Zeitfenster dabei war. 2017 hat mir die Niederlage gegen Dortmund im Pokalfinale noch den Sommer verdorben. 2018 war dann mein Grinsesommer, da musste ich mich disziplinieren, von Wolke sieben überhaupt wieder runterzukommen. Sowieso waren die beiden Titel der Wahnsinn. Wobei ich es schade fand, dass das Europa-League-Finale in einem so kleinen Stadion stattfand. Aber ich muss sagen: Ich bin mit dem Schicksal quitt. Als ich Markus Krösche und Oliver Glasner mitteilte, dass ich aus familiären Gründen aufhöre, habe ich ihnen gesagt: Ich wünsche mir, dass es nach dem 34. Spieltag noch ein Spiel für mich gibt. Das war noch vor der K.o.-Phase der Europa League. Dass das mit dem Europacupsieg so in Erfüllung gegangen ist, ist toll.

hessenschau.de: Neben all den schönen Erlebnissen, gab es auch schlimme?

Gödde: Vor meiner Zeit bei der Eintracht war ich zehn Jahre bei der Übersetzungsagentur "Clark Football Languages". So engagierte mich der französische Fußballverband für das Länderspiel gegen Deutschland im November 2015. Aus Platzgründen konnte ich nicht in den Innenraum, also blieb ich in den Katakomben und verfolgte das Spiel auf einem der vielen Fernseher, die dort hingen. Plötzlich gab es eine Detonation, ich dachte noch: "Hui, das war aber ein lauter Böller." Aber es kam mir nicht in den Sinn, dass es sich um etwas anderes als Pyrotechnik handeln könnte. Dann kam die nächste Detonation. Und nach und nach schalteten die Fernseher zu den Nachrichten und es wurde klar, was sich in der Stadt zutrug. Es war der Abend der Terroranschläge in Paris. Ein ganz schlimmes Erlebnis. Aber persönlich gab es noch ein schlimmeres.

hessenschau.de: Welches denn?

Gödde: Der Unfalltod des damaligen Wolfsburg-Profis Junior Malanda. Ich erfuhr aus der Presse von dem Autounfall, wenig später rief mich der VfL Wolfsburg an, für die ich zuvor schon immer mal freiberuflich gearbeitet hatte. Da wusste ich natürlich, was los ist. Ich musste dann für die Eltern von Malanda übersetzen, die nach Deutschland kamen. Wir nahmen sie in Empfang, fuhren mit ihnen zur Unfallstelle, wo sie mit der Polizei sprachen, anschließend zum Bestatter. Das war an Tragik nicht zu überbieten, das wünscht man wirklich niemandem.

hessenschau.de: Nun haben Sie nach sechs Jahren bei der Eintracht aufgehört, bei Twitter schrieben Sie, es würde kein anderer Verein in Frage kommen. Aber was wäre denn, wenn die AS Saint-Etienne anruft?

Gödde: (Lacht.). Meine Mutter ist gebürtige Stéphanoise, so nennt man die Einwohner Saint-Etiennes, deswegen bin ich auch Fan von ASSE. Ich war gerade erst in der Nähe von Saint-Etienne im Urlaub, mit meiner Familie. Ich wäre mit meinem Sohn auch ins Stadion gegangen, doch die AS hat gerade eine Zuschauersperre abzubrummen. Aber als Dolmetscher einsteigen würde ich nicht, auch wenn ich dem Klub die Daumen drücke. Nicht weil ASSE in der zweiten Liga spielt. Sondern weil wir hier im Ried total verwurzelt sind. Im Sommer 2020 gab es die Anfrage, ob ich mit Niko Kovac zur AS Monaco gehen wolle. Da habe ich dem Berater gesagt: Vielen Dank, aber ich habe den Erfelder Altrhein hier direkt vor der Haustür, was will ich im Yachthafen von Monaco?

hessenschau.de: Und was machen Sie nun, wo die Zeit bei der Eintracht zu Ende ist?

Gödde: Ich arbeite als Dolmetscher, Übersetzer und Sprachcoach. Im Urlaub habe ich mir überlegt, ob ich nach den vielen Jahren im Dienste der Eintracht-Spieler nun auch mal den Eintracht-Fans etwas anbieten kann. Die Frankfurter sind ja sehr reisefreudig und gesellig, vielleicht kann ich ja dazu beitragen, dass sie im Ausland sprachlich besser zurechtkommen. Ich biete nun Französisch, Italienisch und Spanisch an, für 18,99 EUR pro 45 Minuten. Gut möglich, dass ich da wieder mit Fangesängen einsteige.

Das Interview führte Stephan Reich