Rücken von Polizist und Polizistin

Rechtsextreme in Polizeiuniform? Bundesweit laufen 400 Verfahren, zahlreiche davon in Hessen. Innenminister Poseck spricht von einem "alarmierenden Zeichen". Ein Polizeiexperte warnt vor dem, was die Statistik nicht sagt.

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Polizisten unter Rechtsextremismus-Verdacht

hs
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Gegen 47 Bedienstete der hessischen Polizei laufen derzeit Disziplinarverfahren oder Ermittlungen wegen des Verdachts auf rechtsextremistische Umtriebe. Das geht aus aktuellen Zahlen hervor, die das Innenministerium in Wiesbaden am Donnerstag dem hr auf Anfrage mitgeteilt hat.

Seit Anfang 2020 wurden demnach 106 Vorgänge in Hessen als "rechter Verdachtsfall" geführt. Höhepunkt war 2021 mit 40 Verdachtsfällen.

Hessen stand seinerzeit wegen Polizeiaffären um die sogenannten "NSU.2.0"-Drohschreiben und interne Chats mit rechten Inhalten bundesweit im Fokus. Tatsächlich resultierten die Disziplinarverfahren "weit überwiegend" aus diesen Chatverfahren, wie das Innenministerium auf Nachfrage angab.

Inzwischen sind die Zahlen deutlich gesunken. 13 Verdachtsfälle führte die Polizei im vergangenen Jahr.

Rechte Chats schnell gelöscht?

Der Hamburger Polizeiwissenschaftler Rafael Behr, einst selbst in Hessen als Polizist aktiv, warnte davor, der Statistik zu viel Aussagekraft beizumessen. Es gebe ein großes Dunkelfeld. Ein Grund für den Rückgang sei gewiss geändertes Verhalten, nachdem rechte Chats aufgeflogen seien.

"Wir wissen, dass stärker ermittelt wurde. Auf der Täterseite ist man dadurch aber auch wieder vorsichtiger geworden", sagte Behr dem hr. Er vermutet zum Beispiel, das Chatgruppen aufgelöst wurden, nachdem solche mit rechtsextremen Inhalten aufgeflogen waren.

Schlagzeilen hatte nicht zuletzt ein Chat von Frankfurter Polizisten mit dem Titel "Itiotentreff" gemacht. Bilder, Texte und Kommentare richteten sich gegen Flüchtlinge, Juden, Frauen und Behinderte.

Bericht: Mindestens 400 Fälle bundesweit

Die Debatte ist erneut aufgekommen, nachdem RTL und das Magazin Stern am Donnerstag eine aktuelle Zahl der Verdachtsfälle in ganz Deutschland veröffentlicht hatten. Demnach wird gegen mindestens 400 Polizeibeamte der Länder ermittelt wird. Auf die Abfrage unter allen 16 Bundesländern hatten allerdings Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Thüringen keine Zahlen liefern können, wie es hieß.

Angesichts von 21.500 Polizisten, die es insgesamt in Hessen, sagte Innenminister Roman Poseck (CDU) zu den hierzulande derzeit 47 Verfahren: Die allermeisten Polizeibeamten stünden fest auf dem Boden des Grundgesetzes. "Sie treten tagtäglich mit großem Einsatz für unsere Rechts- und Werteordnung ein."

Innenminister: "Alarmierendes Zeichen"

Mit Blick auf die Verdachtsfälle sprach der Minister aber von einem "alarmierenden Zeichen" und betonte: "Die Zahl ist deutschlandweit zu hoch. Das gilt auch für Hessen." Es gehe nicht zuletzt um Vorbeugung. So setze die hessische Polizei in der Ausbildung einen Schwerpunkt auf Prävention gegen Rechtsextremismus und Rassismus in den eigenen Reihen.

Priorität hat für Poseck, sich von Rechtsextremisten bei den hessischen Sicherheitskräften zu trennen. Der CDU-Politiker erwähnte dabei auch die seiner Meinung nach fortschreitende Radikalisierung der AfD, "die jedenfalls in Teilen rechtsextrem ist".

"Abhängig von den weiteren Entscheidungen der Verfassungsschutzbehörden und der Gerichte kann sich schon bald die Frage stellen, ob ein Engagement in der AfD mit einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst vereinbar ist", sagte Poseck.

Entfernung aus Staatsdienst schwierig

Auch die oppositionellen Grünen im Landtag drängten angesichts der aktuellen Zahlen darauf, Menschen mit rechtem Gedankengut aus dem Staatsdienst zu entfernen. "Es geht um nichts weniger als um das Vertrauen in unsere Polizei und somit in unseren Staatsdienst", sagte ihre Innenexpertin Vanessa Gronemann dem hr.

Innenminister Poseck wies jedoch darauf hin, dass dabei auch die Gerichte mitmachen müssten. Das unterstrich auch Polizeiexperte Behr. Im Beamtenrecht gebe es sehr viele Schutzmechanismen für Täter. "Ein Entfernung aus dem Staatsdienst ist nur bei einer Strafe von mehr als zwölf Monaten möglich. Und das ist schon heftig."

Deshalb ist nach Meinung des Wissenschaftlers ein Kulturwandel innerhalb der Polizei besonders wichtig. Auf allen Ebenen – auch unter Kollegen – müsse direkt eingeschritten werden, wenn rechtsextreme Haltungen geäußert würden.

Gar nichts rechts, sondern Satire?

Wie schwer strafrechtliches Vorgehen ist, bekam die Staatsanwaltschaft im Fall des Polizisten-Chats "Itiotentreff" vergangenes Jahr zu spüren. Es waren Disziplinarmaßnahmen und auch Dienstenthebungen eingeleitet worden. Eine Anklage gegen Polizisten ließ das Frankfurter Landgericht nicht zu.

Der Straftatbestand der Volksverhetzung war demnach nicht gegeben, weil der Chat mit seinen laut Staatsanwaltschaft rechtsextremistischen, rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Einträgen nicht öffentlich war. Das "ZDF Magazin Royale" zeigte im vergangenen Jahr Inhalte des Chats.

Bei einem Teil der Einträge handelte es sich laut Landgericht zudem um Satire, die durch die Kunstfreiheit gedeckt sei. Die Fraktion der Linken im Landtag sprach damals empört von einem "Freifahrtschein für schlimmste Gewalt- und Vernichtungsfantasien".

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